Rund 300 orthodoxe Rabbiner aus verschiedenen Gemeinden und Organisationen in den Vereinigten Staaten, Kanada und Israel haben vor Kurzem eine zweiseitige Stellungnahme veröffentlicht. Darin fordern sie orthodoxe Juden auf, im Falle des Verdachts eines sexuellen Missbrauchs umgehend bei den Behörden Anzeige zu erstatten. Eine vorherige Konsultation rabbinischer Gremien sei nicht erforderlich.
Mit sehr deutlichen Worten beschreiben die Rabbiner in ihrem Aufruf, welche Folgen ein sexueller Übergriff für das betroffene Kind hat. Aktueller Anlass für die Veröffentlichung seien Selbstmorde von Opfern, heißt es im Vorwort der Erklärung. Ausdrücklich zitiert wird aus der Tora der halachische Hintergrund des Schreibens: »Du sollst nicht untätig bleiben, wenn das Blut deines Nächsten vergossen wird« (3. Buch Mose 19,16).
opfer »Jeder, der jemanden missbraucht, ist ein potenzieller Mörder«, erläutert dazu Rabbiner Hershel Billet, ehemaliger Präsident des Rabbinical Council of America, die Position der unterzeichnenden Rabbiner. »Er zerstört mit seiner Tat die Seele seines Opfers und verursacht damit unter Umständen dessen Tod.«
Die Rabbiner fordern orthodoxe Gemeinden und Schulen auf, Maßnahmen zu ergreifen, um Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen. In einem Zehn-Punkte-Plan formuliert die Erklärung konkrete Vorschläge. Dazu gehört die Einführung regelmäßiger Schulungen sowohl des Personals als auch von Gemeindemitgliedern. Dies soll dabei helfen, sexuellen Missbrauch zu erkennen und im Falle eines Verdachts darauf zu reagieren.
Außergewöhnlich offen äußern sich die Rabbiner zu bisherigem Verhalten orthodoxer Gruppen gegenüber Opfern: »Wir verurteilen jeden Versuch, Verdachtsfälle von sexuellem Missbrauch zu unterdrücken.« Dieses Verhalten sei schädlich und unmoralisch.
Halacha Weiter heißt es: »Wir verdammen den Missbrauch der Halacha und eines vorgeblichen Schutzes der jüdischen Gemeinschaft, um Opfer zum Schweigen zu bringen und Zeugen davon abzuhalten, Anzeige zu erstatten.« Im Gegenteil, laut Halacha sei es notwendig, den Verdacht eines Missbrauchsfalls sofort und ohne Umwege den Strafverfolgungsbehörden anzuzeigen, betonen die Rabbiner mehrmals in dem Text. Es sei verboten, Betroffene, deren Familien oder etwa Zeugen sozial auszugrenzen.
Zu den Unterzeichnern gehören Rabbiner der Orthodox Union, des Rabbinical Council of America und der Yeshiva University in New York.