Sie haben ihm einen gelben Stern auf den Rücken geklebt und ihn als ›Judenschwein‹ beschimpft», vor laufender Kamera beschreibt eine jüdische Mutter, wie ihr Sohn in der Schule von muslimischen Mitschülern gemobbt wurde. Ihr Gesicht ist verschwommen, die Stimme klingt verzerrt. «Weder Lehrer noch der Direktor kümmern sich darum, das Thema ist wohl ein zu heißes Eisen», beklagt die Mutter. Aus Angst vor mehr Mobbing wollte die junge Norwegerin lieber anonym bleiben, ebenso wie andere jüdische Eltern, die das staatliche norwegische Fernsehen NRK vor einigen Wochen zum Thema «Antisemitismus unter Norwegens Muslimen» befragt hatte.
«Damals begann ein Albtraum.» Trotz unkenntlich gemachter Stimme hört man dem jüdischen Vater die Erregung an. Eines Tages sei sein Sohn schreiend und außer Atem zu Hause angekommen – verfolgt von einer muslimischen Jugendgang, die dem Kind auf dem Heimweg aufgelauert hatte, um ihn als «Dreckjuden» zu attackieren und ins Gebüsch zu schubsen. Die Familie ist inzwischen in eine andere Osloer Wohngegend umgezogen, doch auch an der neuen Schule werde seine jüngste Tochter von älteren muslimischen Schülern gemobbt, weil sie Jüdin ist, so der Vater.
schlüsselerlebnis Die Reportage, die NRK nach den Abendnachrichten, zur besten Sendezeit, ausstrahlte, habe vielen norwegischen Fernsehzuschauer die Augen geöffnet, meint Irene Levin, Professorin für Sozialwissenschaften an der Osloer Universität. «Das Erschütternde daran war, dass Eltern und Lehrer anonym bleiben wollten, so verbreitet ist die Angst.»
In Norwegen leben rund 2.000 Juden, sie sind die kleinste Minderheit im Land der Fjorde. Ohne ihre eigenen Traditionen aufzugeben, haben sie sich den strengen norwegischen Integrationsnormen wie Sprache und Outdoor-Kultur schnell angepasst. Selbst in schwierigen Verhandlungsphasen mit der Regierung in den 90er-Jahren, bei denen es um Status und Ent- schädigung ging, konnte sich kein norwegischer Jude vorstellen, die geliebte norwegische Heimat jemals zu verlassen.
Dass die Liebe lange einseitig blieb oder vonseiten der norwegischen Gesellschaft gar immer wieder angezweifelt wurde, liegt laut Levin an einem Geflecht aus norwegischen Empfindlichkeiten, unzureichenden Geschichtskenntnissen und zunehmend einseitiger antiisraelischer Berichterstattung, wenn es um den Nahostkonflikt geht.
«Die norwegischen Medien lassen wenig Raum für die eigentlichen Hintergründe des Konflikts. Wie kann die Öffentlichkeit sich ein differenziertes Bild verschaffen, wenn sie Israelis entweder als aggressive Militärs oder fanatische Ultraorthodoxe kennenlernt», fragt die Soziologin Levin. Seit der ersten Intifada gehört es in Norwegen zur Tradition, sämtliche Nahost-Korrespondenten in arabischen Ländern zu platzieren. Keiner von ihnen berichtet aus Jerusalem, Tel Aviv – oder Sderot.
umfrage Vergangene Woche, kurz nach der israelischen Militäraktion gegen die Gaza-Flottille führte das Osloer InFact-Institut eine Umfrage durch. Demnach boykottieren 9,5 Prozent aller Norweger Produkte aus Israel. 33,5 Prozent gaben an, sie würden es gern tun. Nur 27,6 Prozent hätten keine Meinung zum Thema Israel-Boykott, so das Ergebnis der Studie, zu der mehr als 1.000 Norweger befragt wurden.
Irene Levin erklärt die verbreitete antiisraelische Haltung der Gesellschaft mit der norwegischen Ablehnung jeglicher Okkupation. «Seit dem Einmarsch deutscher Truppen in Norwegen vor genau 70 Jahren ist Okkupation so etwas wie ein rotes Tuch für Norweger, aus Prinzip», so die Soziologin. «Klar, dass dies einem gewissen antisemitischen Unterton Raum gibt, wenn man sich unhinterfragt mit den Okkupierten identifiziert», meint Levin. Bereits seit Jahren macht die Sozialwissenschaftlerin in ihren Forschungsarbeiten immer wieder auf die komplexe Problematik aufmerksam.
Umso mehr begrüßt Levin, dass Politiker nun über die Parteigrenzen hinweg in dieser Frage zusammenarbeiten wollen. Mehr Aufklärung sollen vor allem zwei Studien bringen, eine vom Außenministerium und eine von der jüdischen Gemeinde. Doch die hat derzeit mit ihrer eigenen Zerrissenheit zu kämpfen, seitdem Gemeindechefin Anne Sender in einem Interview mit der norwegischen Zeitung Dagbladet sowohl die israelische Politik als auch Chabad «wegen Radikalisierung» scharf angegriffen hatte. Ob Missverständnis oder Ausrutscher, viele Gemeindemitglieder reagier- ten auf Senders Aussagen angesichts des Mobbingskandals mit Befremden.
Lehrer «Mir ist bewusst, dass ›Jude‹ in den Schulen ein Schimpfwort ist, vor allem in Oslo», sagt Kari Helene Partapuoli, Chefin des Antirassismus-Zentrums. «Viele Lehrer nehmen Hakenkreuze an den Wänden nicht ernst. Andere schauen einfach weg. Aber den meisten fehlt oft das Werkzeug, um auf Konflikte dieser Art systematisch zu reagieren», meint Partapuoli. Sie appelliert an die «gemeinsame Verantwortung» von Lehrern und Eltern, «Kindern gute Werte wie ethnische und religiöse Toleranz» zu vermitteln.
Dass es daran vor allem unter Norwegens Muslimen hapert, zeigte eine Sequenz der viel debattierten NRK-Reportage besonders deutlich. Nach einem Kameraschwenk auf Hochhausbalkone in Oslos Einwanderervororten und deren Parabolantennen bleibt der Zuschauerblick an einem palästinensischen Kinderprogramm kleben. Ein Zeichentrickhase schreit hysterisch «Tod den Juden» auf Arabisch, Kinder halten flammende Propagandareden, der Holocaust wird verhöhnt. Vor allem dieser Part sorgte in der norwegischen Öffentlichkeit für Entsetzen.