Ich laufe durch die Straßen von Metz, eine der friedlichsten Städte der Welt, aber jedes Mal, wenn eine Tür zuschlägt, zucke ich zusammen. Für uns ist noch immer der 7. Oktober. Ziel von allem, was ich tue, ist, dass von den Geiseln gesprochen wird. In dieser nun sinnlosen Welt, ist es das Einzige, das mich hält.
Mein Mann und ich hatten eine tolle Zeit auf dem Nova-Festival verbracht. Am 7. Oktober gegen 7.30 Uhr am Morgen wollten wir nach Hause. Da rief mich eine Freundin an und sagte, dass das gesamte Gelände voller Terroristen sei. Wir suchten die Polizei, dann sahen wir Verletzte, hörten Schüsse.
»Allahu Akbar«-Rufe und Schüsse
Wir haben uns in unserem Wohnwagen verbarrikadiert, sieben Leute. Zwei Minuten später hörten wir »Allahu Akbar«-Rufe und Schüsse. Es begannen sechs Stunden Albtraum. Wir sagten kein Wort, sahen uns mit aufgerissenen Augen an. Wir hörten das Massaker, die Schreie, die Schüsse. Nach anderthalb Stunden war Stille, wir dachten, die Terroristen hätten uns übersehen, dann hörten wir, dass sie noch da waren.
Sie rüttelten an unserer Tür, bekamen sie aber nicht auf. Dann hörten wir Schreie, zwei Schüsse, einen Körper, der zu Boden fiel, und begriffen, dass dieser Mensch uns das Leben gerettet hatte. Wir hörten, wie mehr und mehr Terroristen ankamen, hörten sie vor Freude in die Luft schießen und singen. Draußen waren 40 Grad, wir schwitzten. Irgendwann beschossen sie den Wohnwagen, eine Kugel sauste am Kopf meines Mannes vorbei, die zweite traf die Klimaanlage.
Wir rührten uns nicht. Wir sahen uns an, zitterten und hatten Zeit, über enorm viele Dinge nachzudenken.
Wir rührten uns nicht. Wir sahen uns an, zitterten und hatten Zeit, über enorm viele Dinge nachzudenken. Es war so heiß, dass ich Angst hatte zu ersticken. Um 12.30 Uhr hängte sich ein Terrorist ans Fenster und sagte: »Hier sind noch Lebende. Kommt!« Ich nahm mein Telefon und schrieb einem Freund: »Wir sind gleich dran. Sag meinen Eltern, dass ich sie liebe.« Ich hatte nicht den Mut, mich selbst bei ihnen zu melden. Dann machte ich mein Telefon aus.
Erst dachten wir, das Festival sei attackiert worden, dann begriffen wir, dass es der ganze Süden war. Wir hatten Videos von Geiseln gesehen und wussten, was uns erwartet. Mein Mann hielt die Tür zu. Er sagte: »Ich liebe dich.« Ich wartete darauf, dass die Tür sich öffnet und eine Kugel meinen Körper durchschlägt.
Lieber sterben, denn als Geisel genommen zu werden
Ich wollte lieber sterben, denn als Geisel genommen zu werden. Ich bin nicht religiös, aber ich dachte an meine Großmutter, die nicht mehr lebt, und bat sie, mich zu beschützen. Ich habe nicht mehr damit gerechnet, dass ich am Leben bleiben würde. Ich wollte einfach, dass es schnell zu Ende ist, dass ich nicht vorher vergewaltigt werde.
Während ich das dachte, versuchten die Terroristen erneut, die Tür aufzubrechen, dann die Wände, schafften es aber nicht. Der Wohnwagen hing an unserem Auto. Wir hörten, wie sie die Autofenster einschlugen, und begriffen, dass sie uns nach Gaza fahren wollten. Aber sie konnten ohne Schlüssel nicht starten. Schließlich hörten wir, dass sie eine Flüssigkeit über den Wohnwagen kippten, sie wollten uns lebendig verbrennen. Da realisierte ich, dass mein Kopf auf einer Gasflasche lag.
Umso besser, dachte ich, dann gehe ich gleich mit in die Luft. Doch einige Sekunden später gab es kein Feuer, sondern Stille. Dann hörten wir Schusswechsel. Die israelische Armee war da. 45 Minuten dauerte der Kampf. Wir lagen am Boden und hatten Angst, dass eine der Kugeln uns trifft. Dann wieder Stille und plötzlich eine Sprachnachricht: »Sagt uns, wo ihr seid. Wir haben das Gelände zurückgewonnen, ihr könnt raus!«
Als die Tür aufging, wollte ich sie sofort wieder schließen. Sie hatten das Tor zur Hölle geöffnet. Der Boden war übersät mit Leichen von jungen Menschen, die bis zum Morgen getanzt hatten. Wir rannten an den Körpern vorbei. Ich will nicht ins Detail gehen, aber ich konnte deutlich erkennen, wer direkt getötet und wer vorher gefoltert worden war.
Vor dem 7. Oktober haben mein Mann und ich über Kinder gesprochen. Das tun wir nicht mehr.
Wir kamen am Abend zu Hause an. Ich lebe in Ramla, in einem gemischten Wohnhaus. Meine Schwiegereltern und unsere arabischen Nachbarn erwarteten uns. Meine Nachbarin war die Erste, die mir um den Hals fiel. Sie fing an zu weinen, weil sie nicht wusste, ob sie uns je wiedersehen würde. »Es tut mir leid, was du erlebst hast, aber du musst wissen, das ist nicht der Islam«, sagte sie. Ich hatte großes Glück, an diesem Tag am Leben zu bleiben, und dass sie es waren, die mich am Ende dieses Tages umarmten.
Am 8. Oktober fragten israelische Medien, ob ich erzählen wolle, was ich erlebt habe. Das Letzte, was ich wollte, war, vor einer Kamera zu stehen. Dann riefen meine Cousins aus Frankreich an, die Hälfte meiner Familie lebt dort. Sie fragten, wie es mir gehe, doch in jedem Gespräch ging es auch darum, was in Frankreich, in ganz Europa los war. Dass die Polizei präsenter denn je vor jüdischen Schulen, vor Synagogen steht. Das haute mich um! Wie kann es sein, dass, nachdem wir auf so grausame Weise attackiert wurden, sich meine Familie in Frankreich bedrohen lassen muss, weil sie jüdisch ist?
Die Leute in Europa verstehen die Realität in Israel nicht
Als mein Vater mich bat, mit französischen Medien zu sprechen, begriff ich, dass ich keine Wahl hatte, und willigte ein. Denn die Leute in Europa verstehen die Realität in Israel nicht. Sie brüllen »Apartheid«, obwohl ich in Israel mit meinen muslimischen Nachbarn Seite an Seite gelebt habe. Auf dem Festival wurden auch muslimische Freunde von mir ermordet. Wir alle haben dort zusammen getanzt.
Das Problem ist, dass die meisten Leute noch nie in Israel waren. Sie informieren sich in den sozialen Netzwerken und meinen, alles zu verstehen. Besonders schockiert hat mich der Unterschied zwischen den Reaktionen der Muslime in Israel und denen in Europa. Die Leute in Europa verstehen nicht, dass der Kampf der Palästinenser und der der Hamas zwei verschiedene Dinge sind. Die Palästinenser wollen einen eigenen Staat. Das ist ihr Recht. Die Hamas will Israel auslöschen. Die Leute begreifen nicht, dass man gegen die Hamas und für die Palästinenser sein kann. Ich habe zum ersten Mal Angst in Frankreich. Das finde ich traurig, nicht nur als Jüdin, sondern vor allem als Französin.
Die schlimmsten Reaktionen sind all die Hassnachrichten, die ich bekomme. Diese Menschen sehen uns nicht als Opfer. Sie denken, dass wir den 7. Oktober wohl verdient haben. Ich war nie besonders politisch. Aber jetzt sind meine Freunde Geiseln in Gaza. Ich versuche, ihre Stimme zu sein. Ich habe keine Wahl mehr. Jeder, der mir zuhört, ist wichtig. Ich glaube an Frieden. Ich will die Hoffnung nicht aufgeben.
Ich habe noch immer nicht den Weg gefunden, um nach Hause zu gehen. Die Angst überwiegt.
Natürlich spreche ich die ganze Zeit mit meiner Familie in Israel. Aber ich habe noch immer nicht den Weg gefunden, um nach Hause zu gehen. Die Angst überwiegt.
Beim Filmfestival in Cannes auf dem roten Teppich zu stehen, in einem Kleid mit den aufgenähten Fotos meiner Freunde, die als Geiseln nach Gaza verschleppt wurden, hat mich stolz gemacht. Das war eine Idee vom Kollektiv des 7. Oktober der Côte d’Azur. Meine einzige Bedingung war, dass die Bilder von Eliya Cohen und Elkana Buhbut vorn auf dem Kleid zu sehen sind: Mit ihnen war ich Stunden vor dem Angriff zusammen. Ich schaute auf das Kleid und dachte: Was ich mache, ist für euch. Das hat mir Kraft gegeben. Ein paar Minuten auf dem roten Teppich reichten aus, damit die Welt darüber sprach. Ich bin glücklich über alles, was Menschen dazu bringt, über die Geiseln zu reden.
Alle wollen, dass dieser Krieg endet
Alle wollen, dass dieser Krieg endet, niemand mehr als wir, aber dazu müssen die Geiseln nach Hause kommen. Bei allem, was ich tue, denke ich daran, wie es sein wird, wenn sie zurückkommen, und wie es sein wird, ihnen davon zu erzählen.
Unsere Leben haben am 7. Oktober aufgehört. Ich habe meinen Job und meine Wohnung verloren. Davor haben mein Mann und ich über Kinder gesprochen. Das tun wir nicht mehr. Wozu Kinder in diese Welt setzen? Wie weiterleben, nachdem wir den Tod akzeptiert hatten? Es gibt nichts mehr, was Sinn macht. Nur diese Aktionen, um von den Geiseln zu sprechen. Wir brauchen Menschen, die sprechen.
Aufgezeichnet und übersetzt von Anina Valle Thiele. Laura Blajman Kadar hält Vorträge, gibt Interviews und hat ein Buch über ihr Überleben geschrieben: »Croire en la Vie« (Glaube an das Leben).