Sieben Hochhaustürme, der höchste misst 77 Meter, helle Sandsteinfassaden, Innenstadtlage – nicht in Chicago oder Paris befindet sich dieses Gebäude, sondern in der ostukrainischen Industriestadt Dnjepropetrowsk. Nach Angaben von Chabad Lubawitsch ist es das weltweit größte jüdische Gemeindezentrum. Am Sonntag wurde es eröffnet, der Andrang war groß. »Mit dem zehnstündigen Programm wollten wir möglichst viele Einwohner für unser Projekt interessieren«, sagte Oleg Rostowsew von der jüdischen Gemeinde Dnjepropetrowsk dem Magazin »Kommentari«.
Direkt am Ufer des Dnjepr umschließt das Menora-Zentrum die vor ein paar Jahren wiederaufgebaute Hauptsynagoge Goldene Rose. Es gilt als das höchste Gebäude der Stadt und überragt sogar den ehemaligen Amtssitz des Ministeriums für Eisenmetallurgie aus der Zeit, als die Ukraine noch eine Sowjetrepublik war. Auf 538.000 Quadratmetern bietet das Zentrum, dessen Architektur an eine Menora erinnern soll, nicht nur ein jüdisches Kulturinstitut, sondern auch das erste Holocaustmuseum der Ukraine.
Der gigantische Bau erinnert ein wenig an eine Stadt in der Stadt: Es gibt zahlreiche Wohnungen, vom kleinen Apartment bis hin zum Luxus-Penthouse, jede Menge Bürofläche, eine Bank sowie ein Nobelhotel, dazu mehrere Restaurants und Cafés. Doch es soll keine herkömmliche Shoppingmall sein. Ein Teil der Gewinne der Unternehmen wird in gemeinnützige Projekte fließen, schreibt Kommentari.
oligarchen Zu verdanken hat Dnjepropetrowsk das Gebäude zwei Söhnen der Stadt. Vor mehr als zehn Jahren hatte der Unternehmer Gennady Bogolubow die Idee für den Bau. In Zusammenarbeit mit seinem Geschäftspartner Igor Kolomoisky entstand das Zentrum. Beide Männer gehören zu den Oligarchen des Landes. Laut Forbes hat Bogolubow ein Vermögen von 2,8 Milliarden Dollar; Kolomoisky, der auch Präsident der European Jewish Union ist, bringt es gar auf 6,5 Milliarden. Im Portfolio ihrer Firmengruppen finden sich Banken, Chemie- und Stahlbetriebe, Medien und Lebensmittelfabriken. Bogolubow lebt in London, Kolomoisky in der Schweiz.
Bogolubow schwärmte wiederholt davon, wie man nachts vom Flugzeug aus die Lichter der sieben Türme erblicken kann, berichtete das ukrainische Programm von Radio Liberty. Ursprünglich sollte das Gebäude bereits vor zwei Jahren fertig sein, aber durch die Wirtschafts- und Finanzkrise sowie politische Veränderungen in der Ukraine wurde der Eröffnungstermin mehrere Male verschoben. Örtlichen Medien zufolge soll der Bau rund 45,7 Millionen Euro gekostet haben.
Bevor das Zentrum am Sonntag der Öffentlichkeit übergeben wurde, versammelten sich am Dienstag vergangener Woche rund 300 geladene Gäste zu einer Eröffnungszeremonie. Unter ihnen waren führende jüdische Vertreter aus der Ukraine, Russland, Westeuropa und Israel.
»Das Menora-Zentrum ist die richtige Antwort auf das, was Nationalsozialisten und Kommunisten vergeblich versuchten: die jüdischen Gemeinden in der Ukraine und in der ehemaligen Sowjetunion zu zerstören«, sagte der israelische Diasporaminister Yuli Edelstein. Israels sefardischer Oberrabbiner Shlomo Amar befestigte die Mesusa an dem neuen Haus. Der Oberrabbiner von Dnjepropetrowsk, Samuel Kaminetzki, hob hervor, dass in den 20er- und 30er-Jahren eine prominente Person in der Stadt der Sowjetdiktatur standhielt: Rabbiner Levi Jizchak Schneerson, der Vater des Lubawitscher Rebben.
verantwortung Auch Berlins Botschafter in der Ukraine, Christoph Weil, war zur Eröffnungsfeier nach Dnjepropetrowsk gekommen. Er erinnerte an die Verantwortung Deutschlands für die Schoa. Im Jahr 1941 wurden rund 20.000 Juden in Dnjepropetrowsk von den Erschießungskommandos der Nationalsozialisten ermordet. Damals waren von den rund 500.000 Einwohnern der Stadt etwa 80.000 Juden. Heute lebt rund eine Million Menschen in der Stadt, um die 50.000 davon sind jüdisch.
Das neue Haus möchte auf rund 3000 Quadratmetern die Geschichte der osteuropäischen Juden zeigen. Später sollen Wechselausstellungen hinzukommen. Der erste Saal informiert über jüdische Traditionen sowie über jüdisches Leben in Osteuropa vor der Schoa.
Der größte Teil des Museums widmet sich dem Holocaust. Auch die bislang wenig beleuchtete Seite der Ukraine und die Kontroversen um wichtige politische Akteure und Gruppen, die mit den Nazis zusammenarbeiteten, bekommen hier Raum. So wird beispielsweise die Rolle der Ukrainischen Patriotischen Armee (UPA) facettenreicher als bislang dargestellt. Auch jüdische Ukrainer haben damals mit der UPA für die Unabhängigkeit des Landes gekämpft.
Den meisten gilt die UPA bis heute als Hort nationalistischer und antisemitischer Extremisten. Doch es gab Ausnahmen. So rettete der UPA-Anführer Fedir Wowk während der Besatzung Juden aus Dnjepropetrowsk vor den Mordkommandos der Nazis. Die Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem ehrte Wowk mit dem Titel »Gerechter unter den Völkern«. Ihm und anderen Gerechten soll in dem neuen Zentrum besondere Aufmerksamkeit zukommen.