Rudolf Augstein war ein Tyrann – wenn er die Stirn in Falten legte, fragte sich jeder im »Spiegel« bang, welches Donnerwetter ihm wohl drohte. Henri Nannen war ein Diktator – er warf in der Wut auch schon einmal mit Schreibmaschinen nach Mitarbeitern des »Stern«. Könnten solche Manieren, so fragen wir vor Kühnheit zitternd, etwas damit zu tun haben, dass die Herrschaften als Nazis sozialisiert worden waren?
Arthur Ochs Sulzberger, der dieser Tage in New York zu Grabe getragen wurde, war als Herausgeber jedenfalls anders. Seine Freunde nannten ihn liebevoll »Punch«, und er gehörte zu den sanften Riesen. Er rauchte Pfeife, trug die Schultern hochgezogen und thronte nicht in seinem Büro im 14. Stock der New York Times – er arbeitete einfach dort.
»A. Sock« Wenn ihm etwas an seinen Redakteuren nicht gefiel, dann kanzelte er sie nicht vor versammelter Mannschaft ab. Statt dessen schrieb er einen Leserbrief, den er mit »A. Sock« unterzeichnete, einer Anspielung auf die amerikanische Redewendung »Let’s sock ‹em« – Geben wir’s ihnen.
Am deutlichsten gab er es der amerikanischen Regierung, als er 1971 – der Vietnamkrieg dauerte noch an – beschloss, dass die New York Times die hochgeheimen Pentagonpapiere veröffentlichen würde. Manche sahen das als Landesverrat, Sulzberger betrachtete es als Akt des Patriotismus. So führte er das Erbe seines Großvaters Arthur Ochs weiter, eines Juden aus Bayern, der die New York Times 1896 gekauft und zu einer unabhängigen, überparteilichen Zeitung gemacht hatte.
Als »Punch« Herausgeber wurde, war die New York Times ein beachtliches Lokalblatt; als er in Rente ging, war die Zeitung zu einem Giganten herangewachsen. Ein Gigant war in vieler Hinsicht auch er selbst. Als er nach langer Krankheit starb, war er 86 Jahre alt.