New York

»Shtai!« und »Zits!«

Seit einigen Jahren erlebt Jiddisch ein Revival – neuerdings sollen es sogar Hunde verstehen

von Alicia Rust  04.09.2022 10:19 Uhr

»Yiddish for Dogs«: Die gemeinnützige Organisation »Workmen’s Circle« veranstaltet im Central Park Sprachkurse der besonderen Art. Foto: privat

Seit einigen Jahren erlebt Jiddisch ein Revival – neuerdings sollen es sogar Hunde verstehen

von Alicia Rust  04.09.2022 10:19 Uhr

New Yorker greifen gern und häufig auf jiddische Begriffe zurück. Sie gehören im »Big Apple« ganz selbstverständlich zum allgemeinen Sprachschatz – und das erstaunlicherweise auch unter Menschen, die sonst mit dem Judentum überhaupt nichts zu tun haben.

So wird ein Bagel in Manhattan oder Brooklyn ganz selbstverständlich mit »Lox« (Lachs) und »Schmeer« (Frischkäse) serviert und nicht mit »Salmon« und »Creamcheese« wie im Rest der USA. Ein New Yorker Umzugs- und Logistikunternehmen nennt sich passenderweise »Schlepp« und fragt seine Kunden auf der Homepage: »What do you need schlepped?« – und jeder New Yorker versteht sofort, was gemeint ist. In keiner anderen amerikanischen Stadt enthält die Alltagssprache so viele jiddische Wörter.

Sprachschatz Eine Menge New Yorker, auch außerhalb der orthodoxen Community, sprechen inzwischen wieder verstärkt Jiddisch – und widerlegen damit die allgemeine These, dass es sich um eine »aussterbende Sprache« handelt. Andere verwenden die Sprache eher bruchstückhaft oder ergänzend zum herkömmlichen Sprachschatz. Vor allem unter jüngeren New Yorkern sind jiddische Begriffe neuerdings sehr angesagt – ohne dass diejenigen, die sie verwenden, ahnen, welchen Ursprungs sie sind.

Wer es sich zu Hause so richtig gemütlich macht, fühlt sich beispielsweise sehr »haimisch«. Auch »Schmutz«, »Klutz« (Klotz, Rüpel), »Schmock«, »Schnaps«, »Drek« oder »Schubser« gehören inzwischen fest in die Alltagssprache der New Yorker.

Der Run auf die Sprache hat unter anderem mit Corona zu tun.

»Shtisel« Das allgemeine Interesse an Jiddisch wurde auch durch Serien wie Unorthodox der Regisseurin Maria Schrader oder die israelische Fernsehserie Shtisel geweckt. »Wer sich mit der Sprache beschäftigt, möchte oft mehr über die Kultur erfahren«, sagt Ben Kaplan. Und das funktioniere nun einmal auch über die verschiedenen Kanäle der Unterhaltung. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Kurse beim YIVO Institute von rein digitalen Sprachkursen. »Denn wir vermitteln nicht nur Vokabeln und Grammatik, sondern sehr umfassend auch die gesamte Geschichte und Kultur.« Konversationskurse seien ebenfalls sehr gefragt. Allein durch die Pandemie oder die Unterhaltungsindustrie ist diese Entwicklung allerdings kaum zu erklären.

Während viele aus der Großeltern- oder Elterngeneration in New York noch sehr darum bemüht waren, sich zu assimilieren, um sich somit an den »American Way of Life« anzupassen, gehe es heute verstärkt um die Frage nach der eigenen kulturellen Herkunft und die eigene Identität. Viele Juden, die sich zuvor nicht näher damit befasst haben, entdecken gegenwärtig ihre Wurzeln wieder. »Für sie gehört Jiddisch zum Prozess der Selbstfindung«, sagt Kaplan.

Nebenbei gebe es aber auch noch andere Gründe für New Yorker, Jiddisch zu lernen. »Wir haben Professoren, Literaten, Archäologen, Kunsthistoriker oder Bibliothekare – also jene Gruppen, die sich beruflich intensiver mit dem Judentum beschäftigen oder die das Thema zumindest am Rande streifen«, sagt Ben Kaplan. Menschen, die Jiddisch sprechen, könnten sich überall auf der Welt miteinander unterhalten, ganz gleich, wie stark es von der jeweiligen Landessprache eingefärbt sei. Deshalb sei es auch kein Wunder, dass Jiddisch von Kosmopoliten derart geschätzt wird.

Auch die Medien haben im Laufe der Zeit zur Verbreitung des Jiddischen unter den New Yorkern beigetragen. In den 1920er-Jahren gab es in der Stadt fünf jüdische Tageszeitungen: »Forverts«, »Der Tog«, »Der Morgen Zhurnal«, »Morgen Frayhayt« und das »Yidishe Tagblat«. Der Forverts entwickelte sich schon bald nach Erscheinen zu einer der ersten überregionalen Zeitungen in den USA. Ende der 1930er-Jahre hatte das Blatt sogar zeitweise eine höhere Auflage als die »New York Times« – was zur Popularität jiddischer Begriffe, die fortan das amerikanische Englisch bereicherten, maßgeblich mit beitrug.

CHAREDIM Während der jiddische Nachrichtenaustausch heutzutage vor allem in digitaler Form stattfindet, verbreitet sich die Sprache besonders unter Charedim stetig weiter, auch bedingt durch die hohe Anzahl ihrer Kinder. Nach einem Rückgang zwischen 1980 und 2007 um bis zu 50 Prozent steigt die Zahl der Sprecher in New York zurzeit wieder an.

Doch Jiddisch wäre wohl kaum jüdisch, wenn nicht auch Humor eine Rolle spielen würde. Der Trend zur kulturellen Wiederbelebung der Sprache macht auch vor Hunden nicht halt – genau genommen vor den Hundehaltern, die seit 2018 gelegentlich an Kursen »Jiddisch für Hunde« im Central Park teilnehmen können.

Veranstalter ist die gemeinnützige Organisation »Workmen’s Circle«. Mit mehr als 800 Schülern pro Jahr handelt es sich um das größte Jiddisch-Sprachprogramm der Welt. Die Nachfrage nach »Yiddish for Dogs« ist größer als das Angebot. Offenbar sind viele New Yorker von der Idee begeistert, ihrem Hund »Shtai!« (Bleib!) oder »Zits!« (Sitz!) beizubringen.
»Wir haben nach neuen Möglichkeiten und Wegen gesucht, um Leute, die am Jiddischen interessiert sind, auf eine unterhaltsame und informelle Weise miteinander in Kontakt zu bringen«, sagt Ann Toback, Geschäftsführerin des New Yorker Ablegers von »The Workmen’s Circle«.

Durch die jiddische Hundeschule seien Leute aus sämtlichen Kulturen zusammengekommen, freut sich Toback. Für viele Menschen, die vielleicht nicht über die Zeit für einen richtigen Sprachkurs verfügten oder die noch Manschetten davor hätten, sei ein solcher Kurs eine tolle Möglichkeit zum Austausch mit anderen am Jiddischen interessierten Menschen gewesen. Diese Sprache sei etwas, das die Menschen im Herzen tragen, warum sollte das nicht auch für die Kommunikation mit den eigenen Vierbeinern gelten?

»Bei solchen Angeboten steht sicherlich mehr der Spaß im Vordergrund als eine fundierte Vermittlung von kulturellen Werten oder sprachlichen Feinheiten«, sagt Eddy Portnoy. Er selbst übersetzte unlängst – inspiriert von seiner Tochter – den Titelsong der beliebten Zeichentrickserie »SpongeBob« – ins Jiddische.

Die Übersetzung erregte großes Interesse, sie schaffte es sogar in israelische Medien. Schließlich wurde Portnoys Übersetzung von der TikTokerin Cameron Bernstein – einer Kommunikationsstipendiatin des Yiddish Book Center – eingesungen. Seither verbreitet sich der »SpongeBob«-Titelsong auf Jiddisch – vielfach kopiert und in unterschiedlichsten Variationen – viral über den gesamten Erdball.

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