Laptop heißt »Shoys-komputer», Smartphone »klug-mobilke« oder einfach »smartfon«. In den USA ist in diesem Sommer ein neues Jiddisch-Englisch-Wörterbuch mit Tausenden modernen Begriffen herausgekommen. Denn auch das Jiddische will und muss mit der Zeit gehen.
Jiddisch wird nicht mehr viel geschrieben und gesprochen. Dabei war es rund tausend Jahre lang die Alltagssprache der ost- und mitteleuropäischen Juden. Es entstand zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert im deutschen Sprachraum. Geschrieben wird Jiddisch mit hebräischen Schriftzeichen. Vor dem Holocaust sprachen es etwa elf Millionen Menschen.
»blitspost« Jede Sprache erfinde laufend neue Begriffe, sagt Gitl Schaechter-Viswanath, Mitherausgeberin des neuen »Comprehensive English-Yiddish Dictionary« mit rund 50.000 Wörtern. Die Mitarbeiter hätten für das Nachschlagewerk jiddische Begriffe für moderne Phänomene gesucht. Zum Beispiel »blitspost« – das ist »E-Mail« auf Jiddisch. Denn wolle eine Sprache Bestand haben, dürfe sie nicht einfach das Englische übernehmen. 5000 Exemplare sind gedruckt worden.
In den USA war Jiddisch einst weit verbreitet als Sprache jüdischer Einwanderer. Heute kämpft es um Bedeutung. Laut dem US-Statistik-Amt »Census Bureau« haben im Jahr 2010 in den USA 155.000 Menschen zu Hause Jiddisch gesprochen – 1980 allerdings waren es noch doppelt so viele. Das »goldene Zeitalter« für die Sprache war Anfang des 20. Jahrhunderts. Damals gab es in den USA zahlreiche jiddische Filme, Theater, Rundfunk und Zeitungen.
Nach Einschätzung der Abteilung für Jüdische Studien an der Rutgers Universität in New Jersey sprechen außerhalb der USA heute noch etwa 250.000 Menschen in Israel jiddisch und 100.000 im Rest der Welt.
»Jiddischisten«, Menschen, die sich um den Erhalt der Sprache bemühen, erleben in den USA gegenwärtig eine Art Renaissance. Gleichzeitig wachse auch das Interesse an der reichen Kultur der Vergangenheit, erklärt Aaron Lansky, Gründer des »Yiddish Book Center« in Amherst in Massachusetts.
Bücher Das Leben europäischer Juden vor dem Holocaust könne man wohl nur verstehen, wenn man sich mit der Sprache befasse, sagte Lansky. Als Student habe er in den 70er Jahren mühsam begonnen, in den USA jiddische Bücher zu sammeln. Manche Ältere sprachen und lasen noch Jiddisch, doch die meisten Nachkommen wollten »richtige« Amerikaner sein und konnten wenig anfangen mit den verstaubten Werken. Das Zentrum habe mehr als eine Million Bücher gerettet, sagt er. 12.000 stünden mittlerweile online und seien zwei Millionen Mal heruntergeladen worden, von Menschen aus aller Welt.
Das neue Jiddisch-Englisch-Wörterbuch von Schaechter-Viswanath und dem Sprachexperten Paul Glasser hat eine lange Entstehungsgeschichte. Sie erinnere sich an viele Schuhkartons mit Indexkarten auf dem Esstisch, sagt Schaechter-Viswanath: Ihr Vater war der in Rumänien geborene und 2007 verstorbene Linguist Mordkhe Schaechter. Unermüdlich habe er jiddische Wörter gesammelt. Sie habe ihm geholfen und seine Arbeit fortgesetzt. Für sie, sagt Schaechter-Viswanath, sei Jiddisch »etwas sehr Kostbares«.
Junge Juden zeigten zunehmend Interesse an ihren Wurzeln und damit auch an der Sprache, hat sie beobachtet. Ihre drei Kinder hat sie auf Jiddisch groß gezogen. Manchen nicht-religiösen Juden helfe die Sprache beim Finden ihrer jüdischen Identität, sagt sie.
Harvard Auch der Musiker Henry Sapoznik ist in einem jiddischsprachigen Elternhaus aufgewachsen. Seiner Ansicht nach muss man Jiddisch nicht als »bedrohte Sprache« ansehen. Jiddische Musik und Kultur fasziniere auch viele Menschen, die der Sprache nicht mächtig seien. In den USA bieten rund 20 Universitäten Jiddisch als Studienfach an, darunter die renommierten Hochschulen Harvard und Columbia.
Die Sprache lebt in den USA vornehmlich in ultra-orthodoxen chassidischen Gruppierungen, die sich oft von der Umwelt abgrenzen. Die meisten befinden sich im Stadtviertel Brooklyn in New York. Drei Viertel der jiddischsprachigen Menschen in den USA wohnen in oder um New York City, ermittelte das Statistikamt.
Dort bieten Behörden 2016 selbst Wahlregistrierungsformulare für die Präsidentenwahl auf Jiddisch an. Doch vielleicht hätten die Beamten dafür das neue Wörterbuch zu Rate ziehen sollen: Der jüdische Informationsdienst jpupdates.com bemängelt, die Formulare seien voller Fehler.