Die Spekulationen um die Todesumstände des argentinischen Staatsanwalts Alberto Nisman (51) halten an. Hat er sich selbst in den Kopf geschossen, oder wurde er ermordet? Der tödliche Kopfschuss sei aus nächster Nähe abgegeben worden, sagte Staatsanwältin Viviana Fein am Sonntag in Buenos Aires. Es gebe weiterhin keine Hinweise auf die Beteiligung eines Dritten. An diesem Donnerstag wird Alberto Nisman auf einem jüdischen Friedhof in Buenos Aires beerdigt.
Nisman war am 18. Januar tot in seiner Wohnung aufgefunden worden. Als Sonderstaatsanwalt war er seit 2004 für die Aufklärung des Anschlags auf das Gebäude des jüdischen Hilfswerks AMIA im Juli 1994 zuständig. Damals waren 85 Menschen getötet und etwa 300 verletzt worden. Für den Anschlag macht die argentinische Justiz den Iran verantwortlich.
Kirchner Wenige Tage vor seinem Tod hatte Nisman Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner und Außenminister Héctor Timerman beschuldigt, die Aufklärung des Anschlags zu behindern, indem sie mit dem Iran geheim verhandelt und Absprachen getroffen hätten. Nisman erstattete Anzeige und forderte die Vernehmung von Präsidentin und Außenminister.
Mittlerweile hat der Journalist, der als Erster über Nismans Tod berichtete, Argentinien in Richtung Israel verlassen. »Ich gehe, weil mein Leben in Gefahr ist. Meine Telefone werden überwacht, und ich werde verfolgt«, sagte Damian Pachter, der in Buenos Aires für die englischsprachige Tageszeitung The Buenos Aires Herald und die israelische Haaretz schreibt. »Ich werde erst zurückkehren, wenn meine Quellen mir sagen, dass sich die Umstände geändert haben. Ich glaube nicht, dass dies unter dieser Regierung der Fall sein wird.«
Pachter hatte am 18. Januar kurz vor Mitternacht getwittert: »Mich erreicht gerade die Nachricht, dass sich in der Wohnung von Staatsanwalt Nisman ein Zwischenfall ereignete.« Er löste damit einen Alarm bei den argentinischen Medien aus. Warum Pachter mutmaßlich als Erster und von wem informiert wurde, gab er nicht bekannt.
Autopsie Staatsanwältin Fein hatte bereits am Tag nach dem Auffinden des leblosen Nisman verkündet, dass die Untersuchungsergebnisse auf eine Selbsttötung deuten. »Nach der Autopsie gibt es keinen Zweifel daran, dass Nisman sich selbst erschossen hat«, sagte sie. Präsidentin Kirchner machte sich die Selbstmordthese umgehend zu eigen. »Was bringt einen Menschen zu der furchtbaren Entscheidung, aus dem Leben zu scheiden?«, schrieb sie Anfang vergangener Woche auf Facebook.
Drei Tage später dann die Wende: Vom »Selbstmord, der (davon bin ich überzeugt) keiner war«, schrieb die Präsidentin in einem öffentlichen Brief. Zudem erklärte die Regierungspartei, der Mord sei ein Komplott aus Medien, Teilen der Justiz und des Geheimdienstes gegen die Präsidentin.
Geheimdienst Am Montagabend trat Kirchner erstmals vor die Öffentlichkeit. In einer Fernsehansprache machte sie den Geheimdienst für das Geschehen verantwortlich und warf ihm eine »Komplizenschaft« mit Staatsanwälten und Journalisten vor. Als Konsequenz kündigte sie die Auflösung des Geheimdienstes an.
Was die Präsidentin letztlich zu dem Kurswechsel veranlasste, ist ebenso Gegenstand der Spekulation wie die wirklichen Todesumstände selbst. Möglicherweise reagierte sie auf den wachsenden Unmut eines Großteils der Bevölkerung, der nicht glauben kann, dass Nisman freiwillig aus dem Leben schied. Landesweit war es bereits am Tag nach dem Tod zu Demonstrationen gekommen, die Empörung und Ängste ausdrückten. So skandierten auf einer Veranstaltung der jüdischen Gemeinde vor dem AMIA-Gebäude zahlreiche Teilnehmer »Asesina, asesina« (»Mörderin, Mörderin«).
Verschwörung Nisman hatte am 14. Januar ein politisches Erdbeben ausgelöst, als er öffentlich ankündigte, die Präsidentin wegen einer »kriminellen Verschwörung« anzuzeigen. Einen Tag später traf sich der Staatsanwalt mit Vertretern der AMIA und des jüdischen Dachverbands DAIA. Deren Reaktionen waren danach auffallend reserviert. Nisman, las man zwischen den Zeilen, hatte keine Beweise vorgelegt.
Ohnehin war der Staatsanwalt in der jüdischen Gemeinde nicht gerade beliebt. Zu dürftig waren für viele die Resultate seiner mehr als zehnjährigen Ermittlungsarbeit. Er kümmere sich mehr um seine Karriere als um Aufklärung, lautete der Vorwurf hinter vorgehaltener Hand.
Wahrheitskommission Dass Außenminister Timerman hinter den Kulissen mit dem Iran verhandelte, ist seit März 2011 bekannt. Damals berichtete die Zeitung Perfil, die Regierung Kirchner könnte dazu bereit sein, die Ermittlungen gegen den Iran auszusetzen. Als Gegenleistung würde der Iran seine Handelsbeziehungen mit Argentinien intensivieren. Im Februar 2013 unterzeichneten Timerman und sein iranischer Kollege Ali Akbar Salehi ein Memorandum, dessen Kernpunkt die Bildung einer Wahrheitskommission ist. Deren Aufgabe sei es, alle von Argentinien und dem Iran vorgelegten Dokumente im AMIA-Fall zu prüfen und die von Interpol gesuchten Iraner in Teheran zu vernehmen.
Die vereinbarte Wahrheitskommission sollte, so Nisman, insgeheim als Hebel dienen, die 2007 von der argentinischen Justiz erlassenen und von Interpol übernommenen Haftbefehle aufzuheben. Dies sei justiziabel, so die Auffassung des Staatsanwalts, denn es führe zur Straffreiheit der mutmaßlichen Täter.