Argentinien

Seit 18 Jahren ungesühnt

Gedenken: Kundgebung in Buenos Aires Foto: dpa

Am 18. Juli jährte sich der Tag des Anschlags auf das jüdische Gemeindezentrum Asociación Mutual Israelita Argentina (AMIA) von 1994, der 85 Menschenleben forderte und über 300 Menschen verletzte. Und wie jedes Jahr heulte um 9.53 Uhr die Sirene bei der Gedenkveranstaltung vor der AMIA in der Pasteur-Straße 633 im Zentrum der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires.

Doch das Aufheulen der Sirene war von den schrillen Tönen in den Tagen vor der Gedenkveranstaltung überlagert. Auslöser war die Entscheidung, erstmals keinen Redner der Angehörigen der Anschlagsopfer zuzulassen.

kritik Die Auseinandersetzung, die zum Ausschluss von der Rednerliste führte, dauert schon ein Jahr an. In seiner Rede auf der Gedenkveranstaltung 2011 hatte Sergio Burstein von der Vereinigung »Angehörige und Freunde der Opfer des AMIA-Anschlags« nicht nur den Bürgermeister der Stadt Buenos Aires, Mauricio Macri, scharf angegriffen, sondern auch den Rabbiner Sergio Bergman. Macri wollte mit dem Polizeikommissar Jorge Palacios ausgerechnet jemanden zum Chef der neuen Stadtpolizei machen, der beschuldigt wird, zur Verschleierung bei den Attentatsermittlungen beigetragen zu haben. Palacios soll den Halter des vor dem AMIA-Gebäude abgestellten Kleinbusses, in dem die Bombe installiert war, telefonisch vor einer anstehenden Hausdurchsuchung gewarnt haben. Letztlich verzichtete Palacios aufgrund der Kritik auf den Posten.

Bereits im September 2009 war Burstein mit der Erklärung an die Öffentlichkeit getreten, dass eines seiner Telefone abgehört worden sei, und beschuldigte Macri als Auftraggeber der illegalen Abhöraktion. Seither tobt ein juristisches Tauziehen um die mögliche Verstrickung des Bürgermeisters von Buenos Aires in die Sache.

Liste Rabbiner Bergman geriet in die Kritik jüdischer Gemeindemitglieder, nicht nur, weil er ausgerechnet für die Macri-Partei 2011 ins Stadtparlament einzog, sondern weil er, so sagt Burstein, die ihn kritisierenden Familienangehörigen wissen ließ, dass er eine Liste mit ihren Namen besitze. »Das ließ uns schaudern, wie in der schrecklichsten Zeit der Militärregierung und der schwarzen Listen«, sagte Burstein in seiner damaligen Rede.

Es ist außerdem kein Geheimnis, dass Rabbiner Bergman mit dazu beigetragen hat, dass bis heute die Neuwahl des Präsidiums der AMIA verhindert wurde und der orthodoxe AMIA-Präsident Guillermo Borger noch immer das Amt bekleidet. Das Echo der schrillen Töne klingt deshalb auch im Jahr danach noch nach. Obwohl Burstein dieses Jahr als Redner nicht vorgesehen war, wurden die Vertreter der Angehörigen kurzfristig von der Rednerliste auf der Gedenkfeier gestrichen, obwohl sie ihren vorgesehenen Redetext – wie gefordert – zuvor den AMIA-Verantwortlichen vorgelegt worden war.

Redner Einziger Redner am vergangenen 18. Juli war so AMIA-Chef Guillermo Borger. Die Angehörigen hatten sich geweigert, mit auf der Tribüne zu stehen. Weder Präsidentin Cristina Kirchner noch Bürgermeister Mauricio Macri waren beim Gedenkakt an den schwersten Terroranschlag in der argentinischen Geschichte anwesend.

Die Angehörigen der Opfer trafen sich am Vorabend vor der AMIA. Unter der Losung »18 Jahre + 85 Tote = 0 Schuldige« klagten sie von Staat und Justiz Aufklärung über das Verbrechen ein – und fügten eine Anklage hinzu: »Sie haben sich verschworen und uns ausgeschlossen, damit wir nicht ihre Freunde anprangern«, heißt es in der Erklärung der Familienangehörigen. Gemeint sind die AMIA und der jüdische Dachverband DAIA. »Die Rede des AMIA-Präsidenten war beschämend, in keinem Moment bezog sie sich auf die Opfer des Attentats«, kommentierte Sergio Burstein die Ansprache auf der offiziellen Gedenkveranstaltung.

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