Es ist nicht überliefert, wie Benjamin Ferencz reagiert hat, als am 17. März dieses Jahres der Internationale Strafgerichtshof Wladimir Putin wegen Kriegsverbrechen anklagte. Doch es ist anzunehmen, dass der 103-jährige Anwalt die Nachricht in seinem Heim in Florida mit einem gewissen Maß an Genugtuung zur Kenntnis genommen hat. Drei Wochen vor seinem Tod am 7. April durfte Ferencz noch erleben, dass sein Lebenswerk in der Welt nachwirkt.
Gewiss, der Haftbefehl gegen Putin wird vermutlich wirkungslos bleiben. Doch die Tatsache, dass es überhaupt eine internationale Instanz gibt, die Putin für seine Aggression gegen das ukrainische Volk zur Rechenschaft zieht, war ein ganz persönlicher Triumph für Benjamin Ferencz.
Diktatoren Beinahe 35 Jahre lang hatte Ferencz unermüdlich daran gearbeitet, einen Strafgerichtshof zu etablieren, der Diktatoren und Tyrannen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit belangen kann. Schon 1980 plädierte er in seinem Buch A Common Sense Guide to World Peace (Mit gesundem Menschenverstand zum Weltfrieden) leidenschaftlich dafür, ein solches Gremium zu schaffen.
Im Jahr 2002, als Ferencz immerhin auch schon 82 Jahre alt war, war es dann endlich so weit. Der Internationale Strafgerichtshof nahm in Den Haag seine Arbeit auf, und Ferencz hielt das Eröffnungsplädoyer im ersten Fall, den das Gericht verhandelte.
Für Ferencz war das Gesetz die wichtigste Grundlage für ein friedliches Miteinander.
Für Ferencz war die Gründung des Gerichtshofs ein »Triumph der Menschlichkeit«, wie er in einem Interview im Jahr 2020 sagte. »Ohne das Gesetz, ohne Rechtsstaatlichkeit hat die Menschlichkeit keine Chance.«
Die feste Überzeugung, dass das Gesetz die wichtigste Grundlage für ein friedliches, zivilisiertes Miteinander der Menschheit ist, war tief in Benjamin Ferenczʼ Biografie verankert.
nürnberger prozesse Ferencz wurde berühmt, als er im Jahr 1947 in einem Nachfolgeprozess zu den Nürnberger Prozessen die Anklage gegen die berüchtigten SS-Einsatztruppen führte, die für den Massenmord an Juden und anderen Verfolgten in Polen und der Ukraine vor der Gründung der Vernichtungslager verantwortlich waren.
Ferencz war damals gerade einmal 27 Jahre alt. Doch der kleine Mann trat in Nürnberg mit einem moralischen Selbstbewusstsein auf, das damals schon die Welt beeindruckte. Obwohl er keine Prozesserfahrung hatte, führte er gegen die SS-Mörder eine Anklage, die gerade deshalb so überzeugend war, weil sie nicht von Hass und Rachsucht geleitet war, sondern vom festen Glauben an Recht und Gesetz. »Ich habe damals einfach gewusst, dass das, was ich tue, das Richtige ist«, sagte Ferencz im Jahr 2020.
Die Haltung war umso bemerkenswerter, als Ferencz allen Grund zu Hass und Zorn gehabt hätte. Als Mitglied einer Sondergruppe der US-Armee zur Untersuchung von Kriegsverbrechen war Ferencz bei der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mauthausen dabei. Die Eindrücke brannten sich dem jungen US-Feldwebel tief ein. »Ich habe Leichenberge gesehen und dazwischen Menschen, die noch lebten und die uns mit ihren Augen angefleht haben, sie zu retten.«
anklage Doch Ferenczʼ Reaktion darauf war nicht etwa Schockstarre. Der Ermittler konzentrierte sich auf seinen Job, suchte die Verwaltungsräume der Lager auf und stellte so viele Unterlagen sicher, wie er nur konnte, um später eine Anklage führen zu können.
Vom Holocaust wusste der junge Jurist damals schon lange, auch wenn große Teile der amerikanischen Öffentlichkeit noch immer die Augen verschlossen.
Zu dem Job in der Untersuchungskommission war Ferencz auf Empfehlung eines ehemaligen Professors gekommen. Unter Sheldon Glueck hatte Ferencz, bevor er sich zur Armee meldete und als Unteroffizier in Frankreich und Belgien gegen die Deutschen kämpfte, in Harvard internationales Kriegsrecht studiert. Als General George Patton noch vor der deutschen Kapitulation eine Gruppe zusammenstellte, um deutsche Kriegsverbrechen zu untersuchen, war Ferencz deshalb ein offensichtlicher Kandidat.
Vom Holocaust wusste der junge Jurist damals schon lange, auch wenn große Teile der amerikanischen Öffentlichkeit noch immer die Augen verschlossen. »Jeder, der das wissen wollte, konnte es wissen«, sagte Ferencz 75 Jahre später. »Man musste ja nur in die Zeitung schauen.« Für die Pogrome in Europa war Ferencz nicht zuletzt durch seine Familiengeschichte sensibilisiert. Ferencz wurde 1920 in einem transsylvanischen Dorf in eine jüdische Familie geboren. Die Familie floh vor wiederholten Verfolgungen im damaligen Rumänien.
Wie Hunderttausende osteuropäische Einwanderer siedelte sich die Familie an der Lower East Side von New York an. Als ungelernte, analphabetische Arbeiter führten die Eltern von Ferencz hier zunächst einen harten Überlebenskampf. Doch Benjamin Ferencz schloss die Schule ab und studierte Kriminologie am City College von New York – motiviert nicht zuletzt durch die Zustände auf der Lower East Side. Dort tat er sich als Student so stark hervor, dass er an die juristische Fakultät von Harvard, die renommierteste Universität des Landes, berufen wurde.
Karriere Die Anklage gegen die Einsatzgruppen in Nürnberg bestimmte die weitere Karriere von Ferencz. Ferencz blieb nach dem Krieg in Deutschland und wirkte als Jurist nicht zuletzt dabei mit, die Ansprüche von Opfern des Holocaust gegen die deutsche Regierung auszuhandeln. Auch an der Formulierung des Reparationsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel war Ferencz maßgeblich beteiligt.
Schon als Student trat er hervor und wurde an die juristische Fakultät von Harvard berufen.
Nachdem Ferencz im Jahr 1956 in die USA zurückgekehrt war, trat er in die Praxis des Chefanklägers von Nürnberg, Telford Taylor, in New York ein. Gemeinsam führten sie die Klage gegen den Flick-Konzern und gegen Krupp wegen Verwendung von Zwangsarbeit im Dritten Reich.
strafgerichtsbarkeit Ab Ende der 60er-Jahre, nicht zuletzt unter dem Eindruck des Vietnam-Krieges, konzentrierte Ferencz seine Anstrengungen zunehmend auf die Schaffung einer weltweiten Strafgerichtsbarkeit. Die Tatsache, dass sein Heimatland sich diesen Bemühungen nie anschloss und bis heute nicht im Internationalen Strafgerichtshof vertreten ist, schmerzte Ferencz sehr.
»Die USA behalten sich das Recht vor, ungestraft unschuldige Menschen zu töten«, sagte er verbittert im Jahr 2020, als Donald Trump noch Präsident war. »Wir hatten einmal eine führende Rolle dabei, das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit zu etablieren. Doch wir haben diese Autorität verspielt.«