Sein erster Patient sei er selbst gewesen, sagte der amerikanische Psychiater Aaron Temkin Beck, der in den 60er-Jahren die Verhaltenstherapie revolutionierte. Er wurde 1921 in Providence, Rhode Island, als jüngstes von drei überlebenden Kindern jüdischer Einwanderer aus Russland geboren. Im Alter von acht Jahren brach er sich den Arm. Weil es zu einer Sepsis kam, musste er einen Monat im Krankenhaus bleiben. Dort entwickelte er eine Blut- und Verletzungsphobie.
Panische Angst stieg in ihm auf, wenn er Äther roch. Doch als sein erster Therapeut brachte er sich selbst bei, die Angst zu überwinden, indem er sich auf andere Dinge konzentrierte und erkannte, dass es eine Verbindung zwischen Gedanken und Gefühlen gab.
forschung Dieses selbsttherapeutische Erlebnis betrachtete Beck als Kern seiner gesamten Forschung. Deren bekanntestes Ergebnis ist die Kognitive Verhaltenstherapie, die bis heute als Revolution im Umgang mit Depressionen gilt. Im Laufe vieler Therapiesitzungen stieß Beck immer wieder auf negative Gedankenmuster bei Depressiven, die er auch als »thoughtless thinking«, gedankenloses Denken, bezeichnete.
Später definierte er diese Denkmuster als »Kognitive Triade«. Ein solch depressiver Dreiklang bezieht sich auf das Selbst (»Ich bin nicht gut genug«, »Ich bin hässlich«), die Welt (»Keiner liebt mich«) und die Zukunft (»Es wird immer so schrecklich bleiben, wie es ist«).
Aus diesen Erfahrungen entwickelte Beck seine Kognitive Verhaltenstherapie, die – im Unterschied zur reinen Freudschen Lehre – die Ursachen von Depressionen nicht ausschließlich in der Kindheit sieht, sondern versucht, die starren Denkstrukturen der Patienten aufzubrechen. Für Beck lagen die Ursachen für jene depressionstypische Angst und die negativen Gefühle seiner Patienten in deren verzerrtem Denken.
Fortan galt in seiner Behandlung von Depressiven der Blick nach vorn.
Fortan galt in seiner Behandlung von Depressiven der Blick nach vorn. Mit konkret definierten Therapiezielen, Arbeitsblättern und Hausaufgaben werden die Patienten gefordert und gefördert, zu ihrer Selbstheilung beizutragen. Für viele war Becks Ansatz eine Offenbarung. Keine jahrelangen, quälenden Psychotherapien mehr – in nur zwölf Sitzungen erzielte Beck große Genesungsfortschritte.
Zweifel an Freuds Kernthese, psychische Störungen könnten durch das Freilegen lang verschütteter Kindheitserinnerungen gelöst werden, hatten Beck schon als junger Psychiater 1954 an der University of Pennsylvania befallen. Er stand der Rolle des Therapeuten skeptisch gegenüber.
ANSATZ Im Laufe der Jahrzehnte passten Therapeuten den grundlegenden Ansatz der kognitiven Verhaltenstherapie an verschiedene Zustände von Depressionen bis hin zu Panikattacken, Essstörungen, Schlaflosigkeit, Sucht und Schmerzen an. Im Laufe seiner 70-jährigen Karriere hat Beck rund 600 Aufsätze und 25 Bücher geschrieben oder als Co-Autor mitgearbeitet und Klassifikationssysteme entwickelt, um Symptome bestimmter Erkrankungen messbar zu machen und deren Suizidrisiko abzuwägen. Sein jüngstes Projekt, an dem er bis weit über 90 Jahre arbeitete, war die »Erholungsorientierte kognitive Therapie«, um Menschen bei der Behandlung von Schizophrenie zu helfen.
1994 gründete Beck gemeinsam mit seiner Tochter Judith das Beck Institute for Cognitive Behavior Therapy in Philadelphia, um Therapeuten auszubilden und die Methode weiterzuentwickeln. Mittlerweile wird sie auch zur Behandlung von Sucht, Essstörungen oder Schmerzen verwendet.
Aaron Beck starb am 1. November im Alter von 100 Jahren. Er hinterlässt seine Frau Phyllis, mit der er mehr als 70 Jahre lang verheiratet war, sowie vier Kinder, zehn Enkel und zehn Urenkel.