Mach eine Kunstinstallation – du hast völlige Freiheit, wir legen dir nichts in den Weg.» Das war der Auftrag, den der amerikanische Künstler und Kunstlehrer Pete Silverstein vor zwei Jahren von der Synagoge in der nordniederländischen Stadt Groningen bekam. Damit begann für ihn das künstlerische Ringen. Denn was sollte oder wollte er machen? Schließlich wurden es Teller für den Sedertisch, 16 Stück.
«Dass ich diesen Auftrag von der Synagoge bekam, war für mich nicht überraschend, denn ich bin jüdisch. Ich stamme aus einer Reformfamilie in Providence im Nordosten der USA. Wir waren nicht sonderlich religiös, jedenfalls ich nicht, aber wir haben zu Hause immer die jüdischen Feste gefeiert. Vor allem der Sederabend war uns wichtig.»
Meistens saßen an die 16 Familienmitglieder, Freunde und Bekannte am Tisch und erlebten auf ihre Weise die Geschichte des Auszugs aus Ägypten.
Bei den Silversteins war dann immer etwas los. Meistens saßen an die 16 Familienmitglieder, Freunde und Bekannte am Tisch und erlebten auf ihre Weise die Geschichte des Auszugs aus Ägypten. Diese Abende inspirierten ihn. Er wollte für 16 imaginäre Tischgenossen Teller herstellen.
«Nach dem Majolikaverfahren», erklärt der amerikanische Künstler, der am Harens-Lyceum in Groningen Kunst unterrichtet, aber eigentlich Keramikdesigner ist. «Als ich in den 90er-Jahren nach Holland kam, habe ich zuerst an der Hochschule der Künste in Utrecht studiert, bin dann aber nach Amsterdam zur Rietveld Academie gewechselt. Da war ich wie ein Fisch im Wasser. Eine herrliche Zeit war das. Später bin ich dann mit meiner damaligen Frau nach Groningen gezogen. Sie stammt aus der Stadt.»
Majolika Etwa fünf Monate hat es Silverstein gekostet, um eine brauchbare Idee zu entwerfen. Danach stand er vor der zweiten Hürde. «Finde ich überhaupt Mitarbeiter? Das Majolikaverfahren ist aufwendig – allein könnte ich das nicht, neben meiner Tätigkeit als Lehrer. Oder es hätte zu viel Zeit gekostet.»
Da kamen Silversteins Schüler ins Spiel. Die müssen für ihren Abschluss alles Mögliche tun: zeichnen, modellieren, Filme schneiden oder mit Keramik arbeiten – aber man muss die Schüler dafür interessieren. In der Oberstufe sei das so eine Sache, sagt Silverstein. «In dem Alter macht man gerne nichts oder nichts, was sein muss. Also, das war eine Herausforderung.»
Außerdem ist Holland eines der säkularsten Länder der Welt. Viele Kinder wachsen sozusagen ohne Gott auf und wissen rein gar nichts von Religionen und Konfessionen. «Christentum» ist fast schon ein Fremdwort, geschweige denn Judentum. Also musste Silverstein erst einmal erklären, was es mit Pessach und dem Sederabend auf sich hat.
«Von allen meinen Schülern wusste ich schließlich drei zu begeistern. Für mein Vorhaben waren das eigentlich zu wenige. Aber zum Glück wollte die Freundin von einem der Schüler auch mitmachen. Und so haben wir angefangen. Zwei Jahre hat es gedauert, fast jeden Freitagnachmittag haben wir zweieinhalb Stunden gearbeitet. Aber die Schüler waren begeistert.»
Moses Der Künstler zeichnete die Motive, die er auf den Tellern abbilden wollte. Und seine «Lehrlinge» machten daraus Schablonen aus Plastik, die als Muster dienen sollten. Diese Muster wurden schließlich auf die Teller übertragen und mit Holzkohle liniert. So entstand die endgültige Abbildung.
«Wir haben viel darüber diskutiert, was eigentlich auf den Tellern stehen sollte und wie. Zum Beispiel: Wie stellt man Moses da? Ein Mann mit einem schwarzen oder grauen Bart? Man weiß ja nicht, wie er ausgesehen hat. Da sind wir auf die Idee gekommen, inmitten des Tellers ein Handy zu malen. Der Bildschirm sollte silberfarben sein, damit man sich darin spiegeln kann. So sieht jeder, der auf den Teller schaut, sich selbst und kann sich wie Moses fühlen, der sein Volk in die Freiheit führt.»
Auf den Tellern sieht man ein Lamm, eine Heuschrecke, aber auch einen Atompilz oder ein totes Kaninchen samt einem Schädel.
Auch die anderen Zeichnungen entstanden aus der Zusammenarbeit zwischen Silverstein und seinen Schülern. Auf den Tellern sieht man ein Lamm, eine Heuschrecke, aber auch einen Atompilz oder ein totes Kaninchen samt einem Schädel. Das Schicksal der Erstgeborenen? «Auch ich habe bei dieser Arbeit viel gelernt – vor allem, dass man loslassen muss, wenn man zusammenarbeitet. Manchmal haben die Schüler etwas anders gemacht, als ich es im Kopf hatte. Aber da habe ich mir gesagt: Das ist halt so, und so ist es richtig.»
ausstellung Die Ausstellung in der Groninger Synagoge hat letztendlich viel Beachtung gefunden. Es wurde ein Tisch gedeckt mit 16 Tellern, wie früher bei den Silversteins zu Hause. Auf jedem Teller wird die Geschichte des Auszugs mit einer traditionellen oder gegenwartsbezogenen Abbildung illustriert, und jeder kann sich wie Moses fühlen.
Und was macht Pete Silverstein jetzt, nach der Ausstellung, mit den Tellern? Benutzt er sie zu Hause? «Nein», sagt er. «Das Majolikaverfahren ist ziemlich teuer. Ich habe nicht nur Zeit, sondern auch einiges Geld in diese Teller investiert.» Am liebsten würde er sie in Museen oder Synagogen ausstellen. «Und wenn sich ein oder mehrere Käufer fänden, wäre auch das schön.»