Das kann es doch nicht gewesen sein. So etwa lässt sich die Reaktion der jüdischen Vertreter auf die Stellungnahme der Schweizer Regierung im Herbst 2016 zu den aus dem Ruder laufenden Sicherheitskosten der jüdischen Gemeinden zusammenfassen.
Die Regierung hatte zwar eingeräumt, dass auch die jüdische Gemeinschaft in der Schweiz vermehrt der Terrorgefahr ausgesetzt ist. Doch eine finanzielle Beteiligung an den entsprechenden Kosten lehnte die Regierung in Bern kategorisch ab. Sie riet vielmehr dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG), eine Stiftung ins Leben zu rufen, die sich aus »namhaften Summen« speisen sollte. Dieser Rat provozierte die als besonnen geltende Neue Zürcher Zeitung zu dem lakonischen Kommentar, eine solche Idee habe mehr als ein (an- tisemitisches) »Geschmäckle«.
Historisch Bewusste fühlten sich da gar an die Schoa erinnert. Damals mussten die jüdischen Gemeinden für die Kosten der Flüchtlinge, die es in die Schweiz schafften, aufkommen. Das widersprach massiv dem Gleichheitsgedanken aller Bürger, wurde aber durchgezogen.
Terroranschlag SIG-Präsident Herbert Winter drückte es in einem Zeitungsbeitrag so aus: »Müssen in der Schweiz wirklich erst Juden bei einem Terroranschlag ermordet werden, bevor der Staat endlich handelt?«
Für sein »Nein« erhielt der Bundesrat in den sozialen Medien und den Foren der Printmedien vereinzelt den Applaus gewisser Unverbesserlicher. So meinte etwa ein »Mann des Volkes«, der (offenbar jüdische) Chef eines bekannten Unternehmens solle bei den Sicherheitskosten doch »helfen«, was für ihn sicher »locker aus der Portokasse« möglich sei. Ein anderer schrieb, bevor man den Juden in dieser Sache helfe, »sollen sie sich doch einmal wie Bürger verhalten und uns nicht immer das Gefühl vermitteln, man müsse mit ihnen Mitleid haben und ihnen eine besondere Behandlung zukommen lassen!«.
Im Großen und Ganzen überwog jedoch im politischen Establishment des Landes deutlich die Kritik an der Haltung der Berner Regierung. So formulierte der Präsident der (bürgerlichen) Christdemokratischen Partei, bei der Lektüre dieses Berichts sei »Fremdschämen« einfach unvermeidlich.
Der SIG selbst legte noch im vergangenen Jahr das juristische Gutachten eines ehemaligen Zürcher Regierungsrates vor. Darin zerpflückte dieser die Haltung der nationalen Regierung, nicht zuletzt deren Argument, Terrorprävention sei in der Schweiz ohnehin Sache der Kantone.
Dies stehe im Gegensatz zu anderen Maßnahmen, zum Beispiel der Bekämpfung der Gewalt in Fußballstadien, die der Schweizer Staat durchaus als seine Aufgabe ansehe. »Warum dort ja und hier nicht?«, fragt der Gutachter. Staat und Kantone müssten ihre Anstrengungen auf diesem wichtigen Gebiet koordinieren.
Eine Genfer Völkerrechtlerin schrieb, der Staat als Ganzes habe die Pflicht, alle seine Bürger vor Ungemach zu schützen und könne sich da nicht hinter den Kantonen verstecken.
Ständerat Und im Berner Ständerat, der kleinen Kammer des Schweizer Parlaments, versuchte der zurzeit einzige jüdische Abgeordnete, der Zürcher Sozialdemokrat Daniel Jositsch, ebenfalls noch im vergangenen Jahr, eine finanzielle Unterstützung der Gemeinden zu erreichen. Doch er unterlag mit seinem Anliegen.
In der Westschweiz, wo etwa ein Viertel der Schweizer Juden lebt, kocht das Thema eher auf kleiner Flamme. In Zürich und Ba-sel, den Städten mit den größten jüdischen Gemeinden des Landes, sieht das anders aus: Die Israelitische Cultusgemeinde Zü-rich (ICZ) als größte jüdische Gemeinde der Schweiz und die ebenfalls stark betroffene Israelitische Gemeinde Basel (IGB) hoffen nun auf Hilfe vonseiten der kantonalen Parlamente.
Sowohl im Parlament der Stadt als auch in dem des Kantons Zürich wurden Vorstöße unternommen, die helfen sollten, die gestiegenen Sicherheitskosten mithilfe des Kantons aufzufangen. Rund 1,5 Millionen Franken geben die jüdischen Gemeinden in Zürich pro Jahr für die Sicherheit aus. Die ICZ beziffert den Anteil der Sicherheitskosten am Gesamtbudget auf fast 20 Prozent.
Wie ernst die Zürcher Parlamentarier die Sache nehmen, zeigt die Tatsache, dass der Anstoß gemeinsam von der weit links stehenden Alternativen Liste (AL), die in Zürich den (jüdischen) Polizeidirektor stellt, und der klar bürgerlichen Freisinnigen Partei (FDP) kam – einer Koalition, die politisch sonst fast nie zusammenfindet.
Defizit Auch im üblicherweise politisch eher beschaulichen Basel rumort es hinter den Kulissen. Hier hatte der Gemeindevorstand im vergangenen Sommer ebenfalls beschlossen, das Sicherheitskonzept deutlich nach oben zu fahren. Dies hat ebenfalls finanzielle Konsequenzen: Es droht ein Defizit in Millionenhöhe, was die 1000-Seelen-Gemeinde kaum noch allein stemmen kann. Die in anderen Jahren spätestens Anfang Januar stattfindende Gemeindeversammlung, die das Budget absegnen muss, wurde vorsorglich auf Ende Februar verschoben.
Vielleicht kommt bis dahin auch in Basel Hilfe aus der Politik. Schon früher bezeichnete es ausgerechnet der kantonale Präsident der rechten Schweizer Volkspartei (SVP) als »Skandal«, dass die jüdischen Gemeinden in dieser Frage alleingelassen würden. Und die Parteipräsidentin der (bürgerlichen) Liberalen, einer Partei, die in der Schweiz nur noch in Basel existiert, sagte vergangenes Wochenende in einem Zeitungsinterview, es könne nicht sein, dass die Juden für ihre Sicherheit selbst zahlen müssten: »Wir werden schließlich alle auch geschützt.«
Der Basler Musiker und Komponist David Klein wiederum machte in der Basler Zeitung einen durchaus unkonventionellen Vorschlag: Die kantonale Regierung, so der immer wieder einmal für seine Äußerungen etwa zur Nahostpolitik aneckende Klein, solle ab jetzt die Sicherheitskosten der IGB aus einem Spezialfonds als »Schwerpunktprojekt« unterstützen. So würden aus »jüdischen Mitbürgern« echte Bürger.