Eine Stunde hielt das Chabad-Center auf der Karibikinsel St. Martin den furiosen Stürmen von Hurrikan Irma stand. Mit einer Windgeschwindigkeit von fast 300 Kilometern erreichte der Wirbelsturm am Mittwoch vergangener Woche um vier Uhr morgens die Küstenlinie der Insel.
»Der Wind war absolut schrecklich«, sagt Rabbi Moishe Chanowitz dem Internetportal chabad.org. »Man konnte es hören und den Druck in den Ohren spüren. Ich dachte, die Fenster würden jeden Augenblick explodieren.«
inferno »Dann begann das Inferno.« Zuerst habe die Tür gebebt, dann riss der Wind Bretter mit sich, die zur Sicherheit davorgenagelt worden waren. »Ich konnte den Schatten des Sturms sehen.« Stunden zuvor am frühen Abend war Moishe Chanowitz mit seiner Frau Sara und den fünf Kindern, darunter ein Säugling, auf Rat von Einheimischen, die den furchtbaren Hurrikan 1995 erlebt hatten, aus seinem Haus ins Chabad-Gemeindezentrum umgezogen.
Türen und Fenster wurden mit Holzbrettern zugenagelt. Auf einem provisorischen Bettenlager verbrachte die Familie die Nacht. Als sich die Tür durch die Kräfte des Windes Stück für Stück auflöste, rafften Sara und Moishe Chanowitz Bettzeug und Matratzen zusammen und flüchteten in die noch nicht vollendete fensterlose Mikwe im Inneren des Gebäudes. Die Tür verbarrikadierten sie mit einem großen Gefrierschrank.
»Als wir unser letztes Kind in die Mikwe gebracht hatten, flog die Haustür davon«, erzählt der Rabbiner. »Es war schrecklich.« Sechs Stunden wütete der Wirbelsturm der Kategorie fünf auf der Saffir-Simpson-Hurrikan-Skala. Er war einer der schwersten in der Geschichte der Insel. Erst am späten Nachmittag, als der Sturm weitergezogen war, konnte Familie Chanowitz ihr Mikwe-Asyl verlassen und sah die Folgen der Katastrophe, die sie verschont hatte: Viele Fenster und Türen des Chabad-Zentrums waren zerstört, Wasser drang ins Gebäude ein. Es wird Wochen dauern, bis die Schäden behoben sind. »Aber die Mikwe hat uns gerettet«, sagt Chanowitz.
augenzeugin Auf der französisch-niederländischen Insel kamen acht Personen ums Leben, fast alle Gebäude hat der Wirbelsturm schwer beschädigt. »Es ist, als wäre jemand mit einem Rasenmäher über die Insel gegangen«, sagte eine Augenzeugin dem niederländischen Rundfunk NOS.
Der Princess Juliana International Airport, das wichtigste Flugdrehkreuz in der Region, wird auf Wochen geschlossen bleiben. Fluggastbrücken wurden aus ihrer Verankerung gerissen, das Terminal liegt in Schutt, die Check-in-Halle war vollständig überflutet. Im Hafen der Insel wurden Segeljachten und Container wie Legospielzeug übereinander geschoben. Nach Schätzung von Experten wird es Monate dauern, bis er wieder in Betrieb gehen kann.
Schlimm wütete der Hurrikan Irma auch auf den britischen und amerikanischen Virgin Islands. Die Infrastruktur auf den Inseln ist schwer in Mitleidenschaft gezogen. Im US-Teil der Jungfraueninsel hat es auch Tote gegeben. Etwa 400 Juden leben auf der Inselgruppe. Die Synagoge der liberalen Hebrew Congregation of St. Thomas wurde nicht beschädigt. Doch schwere Schäden erlitt das örtliche Chabad-Zentrum, berichtet Asher Federman, der Chabad-Gesandte auf der Insel, in einem Telefonat mit der Jüdischen Allgemeinen. Federman musste mit seiner Frau Henya und den neun Kindern Zuflucht in einem Ärztehaus suchen, seine Wohnung ist weitgehend unbewohnbar.
gottesdienst »Es gab nur wenige Evakuierungs- und Hilfsmöglichkeiten«, sagt Federman. Aber am Schabbatabend habe es zusammen mit 15 Personen der jüdischen Gemeinde einen »bewegenden Gottesdienst und Kiddusch« gegeben. »Wir sind enger zusammengerückt.« 60 bis 70 Prozent der Insel seien zerstört. Auf Strom werde man monatelang verzichten müssen, schätzt der Rabbiner.
In Sosúa, der in den 40er-Jahren von Juden gegründeten Kleinstadt an der Nordküste der Dominikanischen Republik, wurden durch Irma lediglich einige Straßen überschwemmt und Bäume umgeknickt. »An der Synagoge und dem jüdischen Museum gibt es keine Schäden«, berichtete Gemeindemitglied Jo Benjamin der Jüdischen Allgemeinen.
Auch die konservative Shaare-Zedek-Synagoge in San Juan auf Puerto Rico erlitt keine Schäden, meldet Diego Mendelbaum, der Direktor des Jewish Community Center. Gravierende Schäden sind bisher auch nicht aus den jüdischen Gemeinden auf Kuba bekannt geworden.