Schon lange vor dem Urteilsspruch gegen den ukrainischen KZ-Wachmann John Demjanjuk durch das Münchener Landgericht stand die Position der »Partei der Regionen« fest. In mehreren öffentlichen Stellungnahmen begrüßte die Partei des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch, dass Demjanjuk und anderen Helfern der Nationalsozialisten der Prozess gemacht wird.
»Das Urteil des Gerichts vom 12. Mai zeigt, dass der Mord an fast 30.000 Juden im Vernichtungslager Sobibor, an dem Demjanjuk beteiligt war, nicht vergessen ist«, sagt Alexander Feldmann, selbst Jude und parteiloses Mitglied der Parlamentsfraktion der Partei der Regionen. Feldmann ist davon überzeugt, dass »der fortschrittliche Teil« der ukrainischen Gesellschaft auf die Verurteilung gehofft habe.
Medien Der fortschrittliche Teil, wohlgemerkt. Die öffentliche Meinung in der jungen unabhängigen Ukraine ist nicht so einheitlich, wie das der Präsidentenpartei in diesem Fall sicherlich lieb wäre. Überwiegend nachrichtlich berichteten die führenden Medien über den Prozess. Und die großen politischen Parteien bezogen entweder deutlich Stellung gegen Demjanjuk, wie etwa die Partei der Regionen und die Kommunistische Partei der Ukraine, oder sie veröffentlichten keine offiziellen Statements.
»Die Ukraine ist ein kompliziertes Land, und natürlich gibt es nicht nur eine Meinung in der Gesellschaft«, sagt Michail Pogrebinski, Direktor des Kiewer Zentrums für Politik- und Konfliktforschung. Die Nationalisten hätten den Prozess gegen Demjanjuk von Beginn an kritisiert. Rostislaw Nowoschenzew etwa von der Ukrainischen Republikanischen Partei, die zum Parteienbündnis »Unsere Ukraine« um Ex-Präsident Viktor Juschtschenko gehört, zweifelte die Echtheit von Demjanjuks SS-Ausweis an. In einem langen Interview mit der Agentur Ukrainische Nachrichten nennt er zahlreiche Details, die das Dokument angeblich als Fälschung des sowjetischen Geheimdiensts KGB entlarven. Ziel der Fälschung: Der Ukrainer Demjanjuk solle zum SS-Helfer gemacht und die Ukraine international bloßgestellt werden.
Oleg Tjagnibok von der Swoboda-Partei bezeichnete den Prozess als politisch motivierte Schmähkampagne gegen die Ukraine. Nach dem Münchner Urteilsspruch erklärte die Führung der ultranationalistischen Partei, sie wolle einen Antrag an das Gebietsparlament in der westukrainischen Stadt Lwiw (Lemberg) stellen. Das Parlament, in dem Swoboda vertreten ist, solle Präsident Janukowitsch auffordern, sich für Demjanjuks Freilassung einzusetzen.
Tatsächlich, so Pogrebinski, würden die Thesen der Extremisten nur von einer kleinen Minderheit in der ukrainischen Gesellschaft geteilt. Die große Mehrheit habe den Prozess gegen Demjanjuk immer unterstützt. »Dennoch war der Urteilsspruch eher im Westen ein Ereignis. Hier in der Ukraine war er es weniger«, sagt Pogrebinski. Das liege auch daran, dass er von einem anderen Vorfall überschattet wurde: Am 9. Mai, dem traditionellen Gedenktag des Kriegsendes in der Sowjetunion und bis heute einem der wichtigsten Feiertage in vielen postsowjetischen Ländern, störten Nationalisten die Feierlichkeiten in Lwiw. Die Übergriffe richteten sich nachweislich gegen sowjetische und russische Symbolik. Dennoch erklärten Politiker der nationalistischen Parteien später, Moskau habe den Vorfall inszeniert. Zudem sei das zeitliche Zusammentreffen mit dem Urteilsspruch in München kein Zufall. Es sei nicht das erste Mal, dass Russland versuche, die Ukraine zu schwächen. Und Deutschland wolle seine Schuld auf einen Sündenbock abladen, anstatt gegen die eigenen überlebenden Kriegsverbrecher vorzugehen.
Ängste »In jedem Land gibt es ungesunde Meinungen«, urteilt Alexander Feldmann. Parteien wie Swoboda nutzten Ängste in der Bevölkerung, um ihre Vorhaben durchzusetzen. Eines der nächsten Ziele der Ultrarechten könnte es sein, vor den Parlamentswahlen 2012 Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Forderung, Demjanjuk freizulassen, verurteilte die Partei der Regionen deutlich. Sie gefährde das Ansehen der Ukraine und die positive Zusammenarbeit mit der EU, den USA und Israel.
An der Richtigkeit des Münchener Urteils und am klaren Bekenntnis seiner Fraktion zu ihm lässt Feldmann keinen Zweifel aufkommen. »Alle Länder auf dieser Welt müssen so handeln, wie es Deutschland jetzt tut. Das ist ein zivilisierter Weg«, findet Feldmann. Länder, die nicht gegen die nationalsozialistischen Täter vorgingen, seien im Irrtum. Der Münchener Urteilsspruch komme zudem zum richtigen Zeitpunkt. »Am 29. September jährt sich das Verbrechen von Babi Jar zum 70. Mal«, so Feldmann. Auch an der Erschießung von mehr als 33.000 Juden in der Schlucht innerhalb der heutigen Stadtgrenzen von Kiew waren ukrainische Milizen beteiligt. »Das Münchener Urteil ist ein deutliches Signal an die Täter«, sagt Feldmann. »Verbrechen gegen die Menschlichkeit verjähren nicht.«