Die Kommentatoren des Moskauer Fernsehsenders »Doschd« (Regen), ein aufmüpfiger digitaler Spartenkanal in Russlands staatlich gelenkter Fernsehlandschaft, nehmen kein Blatt vor den Mund. Die Lobeshymnen auf das neue Jüdische Museum und Zentrum für Toleranz in der Hauptstadt waren noch längst nicht verklungen, da kamen sie zu einem ernüchternden Urteil: »ein jüdisches Disneyland«.
4-D-Kino Was die Kritiker auf den Plan gerufen hat, wird deutlich, wenn man sich ansieht, was die Besucher erwartet, die ab Montag das Museum besuchen können. Im 4-D-Kino lernen sie etwas über die Ursprünge des Judentums. Die Sessel schaukeln, und wenn sich das Rote Meer teilt, spritzt Wasser ins Publikum. In einem virtuellen Café im alten Odessa kann man sich mit lange verstorbenen Schriftstellern unterhalten. Neben den Schriften des Arztes und Journalisten Leon Pinsker taucht auf der Tischplatte auch eine Multiple-Choice-Frage auf: Was würden Sie tun, wenn Ihr Geschäft während eines Pogroms zerstört wird? a) aufgeben und in den Westen emigrieren, b) in meiner Heimatstadt bleiben und versuchen, das Geschäft wiederaufzubauen, c) einer jüdischen Bürgerwehr beitreten und mich auf das nächste Pogrom vorbereiten, d) ich stehe noch unter Schock.
Ralph Appelbaum, der New Yorker Designer, der die Ausstellung entwarf, setzt auf ein Lernen mit Spaßfaktor, trotz des schwergewichtigen Themas. Historische Exponate wie Bücher oder Gegenstände aus Synagogen sind immer Teil multimedialer Installationen. »In diesem Museum haben wir fast keine Artefakte, die ganze Geschichte wird durch Medien erzählt. Wir wollten ein Museum schaffen, das jungen Menschen hilft, sich in die Geschichte einzufühlen«, sagte Appelbaum bei der offiziellen Einweihung vergangene Woche. Laut Organisatoren ist das Moskauer Museum das größte jüdische Museum weltweit, es soll künftig in einen Atemzug genannt werden mit den Museen in New York und Berlin.
Schmuckstück Elf Jahre haben Planung und Bau des Museums und Toleranz-Zentrums gedauert. Es ist ein privates Museum – mit viel Rückendeckung vom Staat. Mit Zustimmung von Präsident Wladimir Putin übergab die Moskauer Stadtregierung im Jahr 2001 die sogenannte Bachmetjewskij-Garage in Moskaus Norden an die Föderation der jüdischen Gemeinden in Russland (FJCR). Es handelt sich um ein ehemaliges Busdepot, erbaut in den 20er-Jahren von dem legendären Architekten Konstantin Melnikow. Das Gebäude ist eines der bedeutendsten Denkmäler des russischen Konstruktivismus, die breite rot-weiße Backsteinfassade ein Schmuckstück in der oft so grauen Moskauer Klotzarchitektur.
Wladimir Putin spendete vor einigen Jahren ein Monatsgehalt, um den Bau des Museums anzukurbeln. Neben ihm reihen sich jede Menge weiterer illustrer privater Sponsoren ein – viele von ihnen stehen dem Präsidenten nahe. Sie machten das etwa 40 Millionen Euro teure Projekt erst möglich. Einer der Spender ist Wiktor Wekselberg, laut dem Bloomberg-Milliardärs-Index der reichste Mann Russlands. Die gesamte Familie seines Vaters wurde während der Schoa im Westen der Ukraine an einem einzigen Tag erschossen. »Ich hoffe, dieses Museum wird Außenstehenden klarmachen, welch gute jüdische Gemeinschaft in Russland während der Putin-Ära entstanden ist«, sagte Wekselberg zur Einweihung.
Vor allem wegen solcher Aussagen bewerten viele Kommentatoren die Eröffnung des Museums als politisches Statement. Die Botschaft an die Ausgewanderten und ihre Nachfahren: Kommt zurück nach Russland! Die jüdische Bevölkerung Moskaus ist seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion zusammengeschmolzen. Noch 1989 gaben bei einer Volkszählung 500.000 Befragte an, dass sie Juden seien. Bei der letzten Zählung 2010 waren es nur noch 150.000. Die wahre Zahl liege allerdings höher, teilen jüdische Organisationen mit.
schattenseiten Noch nie hätten sich die Juden in Russland so sicher gefühlt wie in diesen Tagen, sagte Russlands Oberrabbiner Berel Lazar bei der Eröffnung des Museums. Im Gegensatz zu ihm sprach Wladimir Putin in diesen Tagen auch über die Schattenseiten der russischen Gesellschaft. Das Museum bezeichnete er als Beitrag zum Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit. Es gebe weiterhin Antisemitismus im Volk, nicht jedoch auf staatlicher Ebene.
Wenige Tage vor der Eröffnung hatte in Moskaus Zentrum der alljährliche »Russische Marsch« stattgefunden. Dabei trugen Nationalisten antisemitische Plakate, und auf der Bühne wurde Hitlers Deutschland als Vorbild gepriesen. »Uns ist klar, dass dieses Museum für Teile der russischen Gesellschaft eine Provokation darstellt«, sagte Museumsdirektorin Natalja Fischmann in einem Interview. Folgerichtig ist es mit einem hohen, massiven Zaun gesichert.
spieltrieb Mit flimmernden Bildschirmen und interaktiven Ausstellungsstücken sagen die Organisatoren des Museum dem Antisemitismus den Kampf an. Sie appellieren dabei an den Spieltrieb des Menschen – in der Hoffnung, damit den Verstand zu erreichen. Ein Tastendruck, und schon erscheint im Spiegel vor dem Besucher sein eigenes Antlitz – gekleidet ins Gewand eines Schmieds aus dem 19. Jahrhundert. Ein Klick auf eine Torarolle in einer virtuellen Synagoge, und ein Chor erklingt.
Bei Schimon Peres hat diese Strategie offenbar funktioniert. Israels Staatspräsident, geboren auf dem Gebiet des heutigen Weißrussland, war bei der Einweihung dabei und zeigte sich beeindruckt. Seine Mutter habe ihm als Kind Lieder auf Russisch vorgesungen, sagte er. »Als ich das Museum betrat, kamen viele Erinnerungen an meine Kindheit hoch, und die Stimme meiner Mutter erklang in meinem Herzen.« Ihm gefällt das Museum.