»Keine jüdische Stimme für den Front National!«, so lautete die Parole, unter der sich am Montag vergangener Woche rund 300 Menschen auf Einladung aller wichtigen jüdischen Gruppen Frankreichs in Paris zusammenfanden. Auslöser des Appells, Juden sollten bei der Präsidentschaftswahl 2012 die Finger von der rechtsextremen Partei lassen, war eine scharf geführte Kontroverse um die Interview-Einladung ihrer Spitzenkandidatin, Marine Le Pen, durch den jüdischen Sender Radio J.
Die schneidige Blondine erfreut sich in Frankreich beängstigender Beliebtheit. In Umfragen hat sie unter allen bislang angetretenen Präsidentschaftsbewerbern die Nase vorn. Dies bot für die Redakteure genug Anlass, sie zum Kreuzverhör in ihre Radiosendung einzuladen. Doch aus der jüdischen Gemeinde meldeten sich zahlreiche empörte Gegenstimmen. Dies veranlasste den Sender, das Interview kurzfristig abzusagen. Viele in der Gemeinde sahen eine Gefahr: Nachdem es Le Pen ohnehin schon gelungen ist, sich bei vielen Franzosen als ungefährliche, ja durch ihren Outsiderstatus besonders unabhängige Politikerin zu inszenieren, verschaffe ihr der durch die Radio-Einladung verliehene Koscherstempel endgültig die Absolution zur Wählbarkeit.
Tiraden Der Vorsitzende des jüdischen Dachverbandes CRIF, Richard Prasquier, wies auf der Protestveranstaltung darauf hin, dass sich Le Pen nie von den Tiraden ihres Vaters distanziert habe, ihre Partei trotz aller kosmetischen Veränderungen immer noch als strukturell rassistisch qualifiziert werden müsse und ihre neue Verbundenheit mit den Juden nur so weit reiche, wie sie sich gegen Muslime richten lasse.
Tatsächlich stilisiert sich Le Pen als Schutzbeauftragte aller angeblich vom Islam bedrohten Bürger: Mögen dies Homosexuelle, Frauen, weiße Franzosen in den Vorstädten oder eben Juden sein. Berechtigte Ängste vor antisemitischen Übergriffen vermengt sie mit einer allgemeinen Verteufelung nicht-westlicher Einwanderung und dem diffusen Gefühl, sich nicht mehr zu Hause fühlen zu können.
Taktitk In Bezug auf die jüdische Gemeinschaft betreibt sie eine Strategie der instrumentellen Annäherung: So trat der Front National etwa besonders massiv auf Gedenkdemonstrationen für den in der Banlieue gefolterten und ermordeten Ilan Halimi in Erscheinung. Auch kündigte Le Pen eine Reise nach Israel an. Sie folgt dem Vorbild des italienischen Postfaschisten Gianfranco Fini, der sich durch einen Besuch im jüdischen Staat den Ritterschlag zum geläuterten Politiker erwirkte. Diese Taktik ist besonders infam, weil sie auf einer Art Arbeitsteilung beruht: Denn der Vater der Präsidentschaftskandidatin, Jean-Marie Le Pen, der den Front National bis vor zwei Monaten führte, ist immer noch omnipräsent und bedient eifrig weiter die traditionellen Ressentiments innerhalb der rechten Wählerschaft. So ließ er es sich nicht nehmen, nach der Ausladung seiner Tochter von einer Verschwörung des CRIF und der Freimaurer gegen seine Partei zu schwadronieren.
Der von den jüdischen Organisatoren verkündete Appell muss, bei aller suggerierten Einstimmigkeit, allerdings auch als Ruf zur Ordnung in die eigene Community verstanden werden. So finden sich mittlerweile selbst im Vorstand des CRIF Personen wie Gilles-William Goldnadel, der die Abgrenzung von Le Pen als Denkverbot kritisierte und dem der Kampf gegen Antisemitismus von Links dringlicher geboten scheint als das Engagement gegen den rechten Judenhass.
Dass sich der Argwohn gegen die Araber bei Juden politisch nach Rechts kanalisiert, ist in Frankreich keineswegs neu. Gerade unter den aus den nordafrikanischen Kolonien nach Frankreich ausgewanderten Sefarden hatten einige in der französischen Untergrundbewegung OAS mit Anschlägen gegen die Unabhängigkeit Algeriens gekämpft. Jenes Milieu ultranationalistischer Militärs war es auch, das sich später im Front National zusammenfand. So verkündete Marine Le Pen kurz nach der Ausladung bei Radio J auch prompt die Reaktivierung des »Kreises patriotischer Juden« innerhalb ihrer Partei, um dem Boykott durch den CRIF eine »authentische« jüdische Stimme entgegenzusetzen. Die Anti-Le-Pen-Initiative hat also noch Arbeit vor sich.