»Als Mutter eines Kindes mit besonderen Bedürfnissen war es sehr bewegend für mich, erstmals einen Gottesdienst zu erleben, der alle miteinbezieht«, schwärmt Deborah Grundle, Mitgründerin von »Jweb«, einem Online-Archiv, das dazu beitragen soll, Menschen mit psychischen Störungen oder Lernschwächen ins jüdische Gemeindeleben zu integrieren.
Dank der Zusammenarbeit verschiedener britischer Organisationen gibt es seit Kurzem einen Siddur, der den Anforderungen orthodoxer Gemeindemitglieder mit psychischen Störungen gerechter wird. Für Grundle ist damit endlich eine Möglichkeit geschaffen, die es allen Menschen erlaubt, am Gebet teilzunehmen: »Dies beweist, dass in unserer Gemeinschaft alle gleich viel wert sind.«
grafiken Siddur Lakol ist der erste Siddur der Vereinigung britischer orthodoxer Gemeinden (United Synagogues), der mit leicht verständlichen Grafiken aus dem Picture Exchange Communication System (Pecs) bebildert ist. Pecs ist ein ergänzendes und alternatives Kommunikationssystem, das ursprünglich für Menschen mit Autismus entwickelt wurde, sich jedoch auch für andere Personengruppen mit psychisch bedingten Lernstörungen als vorteilhaft erwiesen hat. Daneben gibt es klar gedruckte, vereinfachte und leicht verständliche Übersetzungen der wichtigsten Gebete.
Ein besonderer Akzent liegt dabei auf dem Gottesdienst an Kabbalat Schabbat, der auf den Erfahrungen verschiedener orthodoxer jüdischer Gemeinden basiert, in denen Gottesdienste für Menschen mit psychisch bedingten Lernstörungen durchgeführt werden.
Demnächst wird der Siddur auch in den Formaten A4 und A5 mit verschiedenen Schriftgrößen verfügbar sein, zusammen mit einem Begleitvideo. Es soll allen, die Gebete leiten, dabei helfen, optimal mit dem Material und der Zielgruppe zu arbeiten. Ab September soll der Siddur im Handel erhältlich sein. Der britische Oberrabbiner Ephraim Mirvis hat den neuen Siddur mit der jüdischen Tradition verglichen: »Das jüdische Volk ist wie die Tora ein vollständiges und perfektes Ganzes. Wenn auch nur ein einziger Buchstabe fehlt, kann man die ganze Torarolle nicht mehr benutzen. Genauso ist es mit den jüdischen Menschen. Jede Person zählt.«
Demnächst wird der Siddur auch in den Formaten A4 und A5 mit verschiedenen Schriftgrößen verfügbar sein, zusammen mit einem Begleitvideo.
Hadassa Kessler von der Organisation Kisharon, die an dem Gebetbuch mitgearbeitet hat, sagt, der Siddur habe die Türen geöffnet für Menschen, die in orthodoxen Gemeinden bisher oft ausgeschlossen waren. »Jetzt können Personen mit Lernstörungen dem Gottesdienst folgen und an den Gebeten teilhaben.« Kessler betont, dass die Initiative der Zielgruppe helfe, gegen die Einsamkeit vorzugehen, und ihnen die Möglichkeit biete, neue Freundschaften zu schließen und Beziehungen aufzubauen.
»Mein Freund, den ich betreue, kann nicht lesen und schaut sich nur die Bilder an. Mit dem neuen Siddur kann er jetzt, wenn ihm danach ist, das Schma beten, bevor er ins Bett geht«, sagt Eli Cohen, ein Betreuer der Organisation Kisharon.
Reformbewegung Vor diesem ersten orthodoxen Siddur seiner Art wurde bereits vor einigen Jahren in liberalen Gemeinden in Großbritannien ein ähnliches Gebetbuch eingeführt. Entwickelt hat es die Finchley Reform Synagogue in London. Miriam Berger, die dortige Rabbinerin, sagte im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen, der Siddur sei geschaffen worden, weil einige erwachsene Mitglieder mit Lernstörungen immer noch den Kindergottesdienst besuchten.
»Wir wollten ein würdigeres und respektvolleres Umfeld für diese Menschen«, sagt Berger. Was ihre Gemeinde am Anfang nicht ahnte, war, dass die kleine Gruppe schnell wuchs. Heute wird sie von allen sehr geschätzt.
Die Vereinigung britischer liberaler Synagogen hieß damals den neuen Siddur besonders willkommen. Dass man begonnen habe, Menschen mit Lernstörungen stärker in die Gottesdienste miteinzubeziehen, sei eine wichtige Arbeit, die man weiter vertiefen wolle.