EILMELDUNG! Internationaler Strafgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen Israels Premier Netanjahu

Niederlande

Schieten gegen Circumcisers

Generationenübergreifend: Beim Jom Ha Voetbal traten 14 Teams bei den Senioren und 48 in verschiedenen Juniorenkategorien an. Foto: Erik Veld - MEGAVOLT

Ein intensiver Geruch von Massage­öl hat sich in der engen Kabine breitgemacht. In der Luft steht die Hitze der vergangenen Tage. Schienbeinschoner werden befestigt, dunkelblaue Shirts mit Maccabi-Logo und der Aufschrift »Schietsportvereniging« angezogen. Der jüdische Schießsportverein hat extra eine Fußballmannschaft zusammengestellt.

Es ist kurz nach acht. Marc de Hond, der Coach, geht die Namensliste durch: »15 Spieler brauchen wir, aber wir haben erst elf.« Die Kabinentür geht auf, zwei weitere treten ein. Doch der Torhüter fehlt noch immer. Der Coach fragt Mannschaftsbetreuer Paul Stoppelman nach der Aufstellung vom vergangenen Jahr. »Wer will gerne in der Spitze spielen?«, ruft er in die Runde.

Keeper 20 Minuten später steht das Team zwar ohne den eigentlichen Keeper, aber gut gelaunt auf dem Platz. Die Sonne hat trotz der frühen Stunde schon Kraft. Zum 40. Mal wird Jom Ha Voetbal, das traditionsreiche jüdische Fußballturnier, angepfiffen. Zum 40. Mal ist auch der Schützenklub von Maccabi dabei, der bisher vier Mal den Pokal gewann.

Die Teams kommen aus den Niederlanden, Belgien, Deutschland, Frankreich und England.

Diesmal weiß der Coach allerdings nicht, »wer im letzten Jahr überhaupt gekickt hat. Einige vielleicht jeden Tag, andere gar nicht«. Aus Zeitmangel entfiel selbst das gemeiname Training. Der Gegner ist ein Amsterdamer Freundeskreis, der sich Brazilië nennt und mit gelben Trikots und blauen Hosen genauso aussieht. Dass man 0:1 verliert, tut niemandem weh. Immerhin hat man noch nie in dieser Form zusammengespielt.

familientag Dass es um Fußball eigentlich überhaupt nicht geht, wäre eine naheliegende Wendung, trifft aber nicht zu – auch wenn diese Veranstaltung eine Bedeutung hat, die weit über den Sport hinausreicht. »Der größte Familientag der jüdischen Niederlande«, nennt es Richard Ensel, Schatzmeister der organisierenden Stiftung. Und Fußball ist der Kitt, der das alles zusammenhält. »Wer früher selbst auf dem Feld stand, schaut heute den Kindern oder Enkeln zu.«

Zusammen mit »sieben oder acht anderen Freiwilligen« ist der Schatzmeister das ganze Jahr über mit der Planung beschäftigt. Seine beiden Kinder nehmen am Jugendturnier teil. Im Fenster des kleinen Büros am Eingang glitzern die Pokale, die am Ende des Tages überreicht werden.

14 Teams bei den Senioren, 48 in verschiedenen Juniorenkategorien, 152 Spiele auf sieben Feldern einer Sportanlage in Buitenveldert, wo die meisten jüdischen Organisationen Amsterdams ihren Sitz haben.

Auch aus Deutschland, Belgien und Frankreich sind Teilnehmer angereist, und ein Team namens WHAFC sogar aus London. Die Abkürzung steht für »We Hate Arsenal Football Club«, sagt Teammanager Adam Lustigman. Dass es tatsächlich einen einzigen Arsenal-Fan unter ihnen gibt, sorgt für ziemliche Heiterkeit. Ihr Spielniveau sei zwar »terrible«, doch die familiäre Atmosphäre lässt sie trotzdem jedes Jahr für ein Wochenende über den Kanal kommen.

trainer Unterdessen hat sich Maccabi Schieten an der Seitenlinie versammelt. Die Spieler stehen um ihren Coach herum. Marc de Hond wiederum sitzt in seinem Rollstuhl. Komplikationen nach einer Rückenmarkoperation vor 17 Jahren führten zu einer Querschnittslähmung. Danach wurde er Mitglied des Rollstuhlnationalteams, und beim jährlichen Jom-Ha-Voet­bal-Turnier tauschte er seinen Platz als Keeper gegen den des Trainers. Bei seinem Debüt gab es den ersten Turniergewinn. Heute sagt er: »Ich denke, dass sie das damals auch für mich schaffen wollten.«

Derzeit allerdings ist die Sache kompliziert. Mehrere gute Spieler wurden aus dem Team abgeworben, andere schauen altersbedingt lieber dem Nachwuchs zu, und neue zu rekrutieren, fällt selbst dem emsigen Teammanager Paul Stoppelman nicht immer leicht.

Einer, der sich gegen den Zahn der Zeit wehrt, ist Doron de Goede: ein kleiner, kräftiger Angreifer, 42 Jahre alt, der schon 26 Mal teilgenommen und bisher – das weiß er genau – 102 Tore geschossen hat. Er wohnt in Breda im Süden der Niederlande, besuchte früher in Amsterdam eine jüdische Schule und war Mitglied der zionistischen Jugendorganisation Habonim. »Seit neun Jahren halte ich nach dem letzten Spiel meine Abschiedsrede«, erzählt er mit einem Grinsen. »Und dann entscheide ich mich doch wieder um.«

Der Turniersprecher ruft die nächsten Spiele aus. Einige Wortspiele bleiben im Ohr: Das Mädchenteam der Grundschule Rosj Pina nennt sich »Rosj Piñacolada’s«, eine Seniorenmannschaft »Go Ahead Il­leagles«, in Anlehnung an den niederländischen Proficlub »Go Ahead Eagles«.

Für die Männer in Dunkelblau geht es nun gegen gute Bekannte: »Die ›Circumcisers‹ sind immer dabei«, sagt Trainer Marc. »Sie haben einige bekannte Comedians im Team und sind im Durchschnitt recht alt.«

Noch einmal fordert er: »Im Angriff die Räume suchen!« Doch das frisch zusammengewürfelte Team muss sich noch aneinander gewöhnen. Immerhin steht Keeper René nun zwischen den Pfosten. Dank eines fulminanten Eigentors der Beschneider steht am Ende ein 1:0. Maccabi Schieten ist wieder im Turnier.

Anekdoten Da bis zum nächsten Match noch anderthalb Stunden bleiben, machen sich viele Spieler auf dem Rasen breit. Der umtriebige Paul Stoppelman verteilt Dextro-Energy und Rosinenbrötchen. Einige Eltern gesellen sich dazu. Das ältere Ehepaar de Goede verzehrt plaudernd ein paar Plätzchen mit Sohn Doron, der auf das 103. Tor wartet. »Es läuft in die richtige Richtung«, versichert er. Vater Felix, auch er auf den Rollstuhl angewiesen, ist ein Jom-Ha-Voetbal-Pionier. »Vor 40 Jahren stand ich hier auf dem Platz.« Mutter Doretti gibt fröhlich Anekdoten aus der Turniergeschichte zum Besten.

Ein paar Meter weiter steht Jiska Sharon barfuß auf dem Rasen. Ihre Söhne Ben und Jochai feuert sie hier jedes Jahr an, »seit sie klein waren«. Nun sind beide in den Dreißigern. Weil sie gestern den Eltern beim Umzug geholfen haben, fällt ihnen das Kicken heute bei diesem warmen Temperaturen nicht leicht.

Wie die meisten schätzt Jiska Sharon, die einst mit einem Frauenteam teilnahm, die familiäre, ungezwungene Atmosphäre bei diesem Turnier. »Wenn irgendwo ein Spieler fehlt, springt halt jemand anderes ein.« Doch bei aller Entspanntheit liegt über allem auch ein etwas ernsterer Unterton. »Du kannst hier du selbst sein, ohne dich umschauen zu müssen. Wie in Israel.«

Inzwischen ist es in der Sportanlage brechend voll geworden. Ein DJ und eine Band wechseln sich auf der Bühne am Eingang ab, und Kinder turnen auf der Hüpfburg. Die Siesta des Maccabi-Schießvereins ist beendet. Im dritten Match gegen Maccabi Brüssel ist man klar besser, nutzt allerdings die Chancen nicht. Dass der Schiedsrichter ein wenig zu früh abpfeift, um im Zeitplan zu bleiben, löst Proteste aus. »Es hätte nicht mehr lange gedauert, und wir hätten ein Tor gemacht«, so der Konsens.

Rollstuhl-Basketball Leider muss ausgerechnet jetzt auch der Trainer von Bord: Ein Fernsehauftritt bei der Rollstuhl-Basketball-EM ruft ihn nach Rotterdam. »Schade, dass ich weg muss, ich fand es sehr schön«, verabschiedet er sich. Die Spieler applaudieren ihm und hängen sich sogleich hinein gegen das Pariser Team Maror Ze, das eine brachiale Spielweise an den Tag legt. Das Match ist hitzig, doch torlos.

Danach übernimmt Peter Grifhorst, ein Haudegen, der zum 34. Mal dabei ist und sich ab und an auch einwechselt. Ein Mann vom Fach, Medienunternehmer und Fußballtrainer. Sein Coaching ist offensiver, die Stimme lauter als die von Marc de Hond. Was ihn nicht daran hindert, seine Kicker hin und wieder liebevoll in den Arm zu nehmen.

Dazu hat er bald auch allen Grund, denn ausgerechnet gegen die Londoner Arsenal-Hasser platzt endlich der Knoten. 5:0 steht es am Ende, und nach seinem Kopfballtor kommt Doron de Goede strahlend vom Feld und vermeldet: »103! Jetzt kommen wir in Fahrt. Wir haben es selbst in der Hand, ins Halbfinale zu kommen.« Trainer Peter schickt Marc de Hond eine SMS und kündigt an: »Wir treffen uns in zehn Minuten auf dem Nachbarplatz.«

Nach einem 2:0 gegen die Habonim-Vertretung gehört der Maccabi-Schützenklub tatsächlich zu den letzten vier Mannschaften. Voraus geht jedoch ein ziemliches Verwirrspiel: Weil die Turnierleitung vergaß, die letzten drei Punkte dazuzurechnen, wird zunächst ein anderes Team als Halbfinalist ausgerufen. Mehrere Spieler und Betreuer protestieren, dann wird der Irrtum korrigiert.

Ausgeschieden ist zu diesem Zeitpunkt die womöglich bemerkenswerteste Mannschaft: »Antwerp & Düsseldorf Maccabi«, eine kickende Kombination aus beiden Städten. Zusammengebracht hat sie Aaron Malinsky, der aus Antwerpen stammende Kantor der Düsseldorfer Gemeinde. Deren Rabbiner Raphael Evers nutzt die Gelegenheit zum Besuch in seiner Geburtsstadt Amsterdam.

Die Düsseldorfer Spieler sind am Morgen in zwei Minibussen angereist – mit Rabbiner.

In zwei Minibussen seien die Düsseldorfer am Morgen angereist, sagt ihr Sprecher Zeev Reichard. Viele sprechen Russisch, was auch einige der Antwerpener Teamkollegen beherrschen. Umgangssprache ist jedoch meist Englisch.

»Jeden Ball knallhart nach vorne!«, schwört Peter Grifhorst kurz darauf seine Spieler ein. »Und denkt daran, wir haben genug Leute zum Wechseln. Mir ist es lieber, wenn ihr halbtot umfallt als – na ja.« Er muss grinsen, als er sich selbst bei so viel Trainerenthusiasmus ertappt.

Niveau Das Match hat das bisher höchste Niveau, doch der Gegner ist der Gewinner aus dem vergangenen Jahr, Koetjes en Kalfjes, und letzten Endes eine Nummer zu groß. Mit einem 0:2 verabschiedet sich Maccabi Schieten aus dem Turnier.

Ob es für Doron de Goede, den Angreifer, der letzte Auftritt war, steht noch nicht fest. »In diesem Moment sagt mein Körper: Aufhören! Aber mal sehen«, lässt er sich das bekannte Hintertürchen offen.

Peter Grifhorst, der Aushilfstrainer, ist »superstolz auf die Jungs« und klatscht sie vor der Kabine ab. Über Doron macht er sich keine Gedanken. »Der sagt doch seit 100 Jahren, dass er aufhört. Er bleibt – selbst wenn ich ihn mit Rollator mitnehmen muss.«

USA

Loyal und radikal

Der künftige Präsident Donald Trump vergibt wichtige Ministerposten an Personen, die bislang nicht durch Kompetenz aufgefallen sind, sondern eher durch Kontroversen von sich reden machten

von Michael Thaidigsmann  21.11.2024

Nachruf

Der Vater des Budget-Tourismus ist tot

Arthur Frommer wurde 95 Jahre alt

von Imanuel Marcus  20.11.2024

New York/Malibu

»Mein Name ist Barbra«

Die Streisand-Autobiografie erscheint auf Deutsch

von Christina Horsten  20.11.2024

Schweiz

Konservative Christen gegen den ESC

Eine Minipartei erwirkt ein Referendum gegen das hohe Rahmenbudget für den Eurovision Song Contest. Dabei geht es auch um Israel

von Peter Bollag  19.11.2024

Italien

Schoa-Überlebende rügt Papst für Genozid-Kommentar

Edith Bruck ist 93 Jahre alt und mit Papst Franziskus befreundet. Jetzt hat sie ihn aber mit deutlichen Worten kritisiert

 19.11.2024

Medien

Ausweitung der Kampfzone

Die israelfeindlichen Täter haben die »NZZ« ganz bewusst zum Abschuss freigegeben. Ein Kommentar

von Nicole Dreyfus  19.11.2024

Tschechien

Oscar-reifer Held am Mikrofon

»Wellen« feiert den KZ-Überlebenden Milan Weiner, der 1968 die Sowjets in Schach hält

von Kilian Kirchgeßner  17.11.2024

USA

Impfgegner, Verschwörungstheoretiker, Gesundheitsminister

Donald Trump beruft mit Robert F. Kennedy einen Mann als Gesundheitsminister, der auch durch antisemitische Verschwörungstheorien von sich reden macht

von Michael Thaidigsmann  15.11.2024

Imanuels Interpreten (1)

Flora Purim: Das Unikum

Die in Rio de Janeiro geborene Sängerin liefert eine einzigartige Melange der Klänge

von Imanuel Marcus  15.11.2024