Japan

Schalom, Tokio!

In Tokio werden dieser Tage zu den Olympischen Spielen rund 11.000 Sportler aus aller Welt erwartet. Foto: imago images/Beautiful Sports

Japan und Juden – auf den ersten Blick sind das zwei Begriffe, die wenig miteinander zu tun haben. Doch es gibt eine – wenn auch begrenzte – Anzahl von japanischen Juden und jüdischen Expats, die bei den Olympischen Spielen in Tokio, die diesen Freitag beginnen, der jüdischen Athletenschar die Daumen drücken.

Es ist eine weithin unbekannte historische Tatsache, dass die ersten jüdischen Siedler bereits im Jahr 1572 das Land der aufgehenden Sonne aus Macau kommend in Nagasaki erreichten: Sefarden aus Spanien, sogenannte Conversos, die unter dem Druck der Inquisition zwangskonvertiert waren. 1586 folgten die ersten portugiesischen Leidensgenossen.

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts lebten rund 60 jüdische Familien in Japan. Im Laufe der Zeit kamen, wie es der Journalist Stewart Ain im »Forward« schildert, sefardische Juden aus dem Irak und Syrien hinzu sowie Aschkenasim aus Polen und Russland, die sich vor den dortigen Pogromen in Sicherheit brachten. Trotz des Bündnisses mit Nazideutschland überlebten die japanischen Juden die Zeit der Schoa vergleichsweise unbeschadet, sie genossen sogar den Schutz der japanischen Regierung.

EMIGRATION Trotz ihrer Entscheidung, die Juden im eigenen Land zu schützen, war Japans Regierung allerdings nicht willens, eine jüdische Emigration aus Deutschland zu unterstützen. Bis auf einen Mann, der zum Helden wurde, wie Ain schreibt: Chiune Sugihara, seinerzeit Konsul des Kaiserreiches im litauischen Kaunas.

Seine Vorgesetzten hatten ihm mehrfach deutlich gemacht, er dürfe keinem Juden helfen, der Schoa zu entkommen, und nur denjenigen ein Visum erteilen, die einen normalen Immigrationsprozess absolviert oder aber genügend Geld hätten, Japan per Transitvisum wieder zu verlassen.

Doch Sugihara widersetzte sich dreimal diesen konkreten Anordnungen. Seiner Überzeugung nach waren die Juden ohne seine Hilfe in höchster Gefahr. »Ich mag meiner Regierung den Gehorsam verweigern«, so wird Sugihara zitiert. »Aber täte ich dies nicht, so würde ich Gott nicht gehorchen.«

visa Als die Zahl jüdischer Flüchtlinge aus dem besetzten Polen vor seinem Büro von Hunderten auf Tausende anwuchs, begann Sugihara, Visa auszustellen – handschriftlich. Vom 18. Juli bis zum 28. August 1940 saß er täglich 18 bis 20 Stunden in seinem Büro und erteilte Visa – so viele, wie sonst in einem Monat ausgestellt wurden. Als er das Konsulat am 4. September 1940 schloss, hatte er 2193 Transitvisa ausgestellt, die 6000 jüdische Leben retteten. Manche sagen, es seien 10.000 Menschen gewesen, die der furchtlose Diplomat gerettet habe.

1985, ein Jahr vor seinem Tod, verlieh Israel Sugihara als einzigem Japaner den Titel »Gerechter unter den Völkern«. Die Zahl der Nachkommen derer, die er im Sommer 1940 rettete, soll mittlerweile auf mehr als 100.000 angestiegen sein. Einige der etwa 2000 Juden in Japan – darunter sind auch Übergetretene, denn das Judentum fordert nicht, dem Buddhismus abzuschwören – werden also wegen Sugihara in der Lage sein, jüdische Sportler aus aller Welt anzufeuern.

Die Jewish Telegraphic Agency (JTA) hat eine Liste der jüdischen Teilnehmer der Sommerspiele 2020 (so heißen sie auch 2021, wie die EM) erstellt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

Foto: imago images/ZUMA Wire

Sue Bird
Basketball, USA
Gehört Sue Bird zu den größten jüdischen Athletinnen aller Zeiten? Die Basketball-Legende hat mit dem US-Damenteam bei den vergangenen vier Spielen den Titel und somit Gold geholt. Seit 1992 haben die US-Sportlerinnen bei Olympia kein Spiel mehr verloren. Für die 40-Jährige sind die fünften wohl auch ihre letzten Spiele. Sie wird bei der Eröffnung der Olympischen Spiele eine der beiden Flaggenträgerinnen sein, hinter denen das amerikanische Team ins Stadion einmarschiert. Die Tochter eines jüdischen Vaters und einer nichtjüdischen Mutter kommt aus Syosset, Long Island. 2006 erhielt sie die israelische Staatsbürgerschaft.

Foto: imago images/Beautiful Sports

Linoy Ashram
Rhythmische Sportgymnastik, Israel
Die 22-jährige Linoy Ashram ist Israels größte Medaillenchance. Die Tochter eines jemenitischen Juden und einer griechischen Jüdin nimmt erstmals an Olympischen Spielen teil und ist amtierende Europameisterin – die erste seit Jahrzehnten, die nicht aus der ehemaligen Sowjetunion oder aus Bulgarien stammt.

Foto: imago images/PanoramiC

Diego Schwartzman
Tennis, Argentinien
Diego Schwartzman ist der bestplatzierte jüdische Tennisspieler. 2020 war er erstmals unter den Top Ten. Offiziell ist Schwartzman 1,70 Meter groß, doch listen ihn die US Open mit 1,65 Metern, was ihn zu einem der kleinsten Top-Spieler der Tennisgeschichte macht. Der 28-Jährige hat mit »El Peque« und »Shorty« gleich zwei Spitznamen, die dasselbe bedeuten: der Kurze. Es sind Schwartzmans erste Olympische Spiele.

Foto: imago images / ZUMA Press

Alexandra »Alix« Klineman
Beachvolleyball, USA
Alix Klineman spielte zunächst im College und nach ihrem Abschluss im Jahr 2011 Hallenvolleyball für die Stanford University. Erst danach wechselte sie zum Beachvolleyball. »Ich betrachtete den Strand als eine neue Chance und als Chance, meinen Träumen nachzujagen«, sagte sie 2019. Klineman gehört zum erweiterten Kreis der Favoritinnen auf eine Medaille. Die 31-Jährige wuchs in Südkalifornien in einer jüdischen Familie auf.

Foto: imago images/ZUMA Wire

Anat Lelior
Surfen, Israel
Anat Lelior ist Israels erste – und einzige – olympische Surferin. Surfen ist neu als olympische Sportart. Beim Premieren-Wettbewerb nehmen nur 20 Männer und 20 Frauen teil. Lelior (21) qualifizierte sich als bestplatzierte Surferin aus Europa (Israel tritt in europäischen Ligen an). Lelior, die aus Tel Aviv stammt und beim israelischen Militär gedient hat, begann im Alter von fünf Jahren mit dem Surfen und gewann mit zwölf die israelischen Nationalmeisterschaften.

Team Israel
Baseball, Israel
Im Jahr 2017 überraschte Israels Baseball-Nationalmannschaft – zu der mehrere amerikanisch-jüdische Spieler gehörten, die israelische Staatsbürger wurden – die Beobachter mit dem sechsten Platz beim World Baseball Classic, einem internationalen Turnier der besten Mannschaften der Welt. 2019 gewann Team Israel die Baseball-Europameisterschaft, um sich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren. Nur sechs Teams sind im Turnier, sodass Team Israel eine Chance auf eine Medaille hat.

Foto: imago images/ZUMA Wire

Jessica Fox
Kanu, Australien
Jessica Fox gilt mit zehn WM-Medaillen (davon siebenmal Gold) und sieben Gesamtweltcup-Titeln als eine der größten Kanutinnen aller Zeiten. Ihre Eltern, Richard Fox und Myriam Jerusalmi, waren ebenfalls olympische Kanuten. Mutter Myriam, eine französisch-jüdische Athletin, gewann 1996 Bronze bei den Spielen in Atlanta. Geboren in Marseille, zog Jessica Fox im Alter von vier Jahren nach Australien, wo ihr Vater Trainer der aus­tralischen Olympiamannschaft wurde.

Foto: imago images / ITAR-TASS

Eli Dershwitz
Fechten, USA
Eli Dershwitz hat noch etwas gutzumachen bei Olympia. Bei den Spielen 2016 in Rio verlor der jüdische Säbelfechter in der Eröffnungsrunde. 2021 ist er die Nummer 2 der Welt und hofft auf eine Medaille. Dershwitz, der mit neun Jahren mit dem Fechten begann, gewann 2017 und 2018 die NCAA-Meisterschaften für Harvard. In Tokio will er als fünfter US-Mann eine Medaille im Säbelfechten gewinnen. Kein Amerikaner hat jemals Gold in dieser Kategorie gewonnen.

Foto: imago/Xinhua

Ori Sasson
Judo, Israel
Bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio gewann Or »Ori« Sasson Bronze im Judo-Schwergewicht der Männer und wurde über Nacht zum Nationalhelden – nicht nur wegen seiner Fähigkeiten, sondern auch wegen seiner Sportlichkeit, nachdem ein ägyptischer Gegner sich weigerte, ihm die Hand zu schütteln. Sasson verbrachte das Corona-Jahr damit, an Israels Version von The Masked Singer teilzunehmen – sein Kostüm war ein Falafel-Sandwich –, und wurde Dritter. In diesem Jahr wird Ori Sasson (30) im Schwergewichtswettbewerb und im Mannschaftswettbewerb antreten.

Foto: imago images/AAP

Jemima Montag
Gehen, Australien
Jemima Montags Eltern, Ray und Amanda, lernten sich bei den Makkabi Games 1989 kennen, wo Amanda im Siebenkampf antrat und Ray Kricketspieler war. Montag wurde bald eine der besten Geherinnen Australiens. Bei den Commonwealth Games 2018 gewann sie Gold im 20-km-Event. Montag schreibt ihren Großeltern, die den Holocaust überlebt haben, ihre Arbeitsmoral und Belastbarkeit zu.

Foto: imago images/AFLOSPORT

Sagi Muki
Judo, Israel
Sagi Muki machte Schlagzeilen, als er sich mit dem iranischen Judoka Saeid Mollaei anfreundete, der gezwungen war, ein Match abzugeben, um nicht gegen einen israelischen Athleten anzutreten. Mollaei floh aus dem Iran und erhielt Asyl in Deutschland. Die Geschichte ihrer Freundschaft wird nun zu einer TV-Serie. Der Halbmittelgewichtler Muki (29) hat gute Chancen auf eine Medaille.

Foto: imago images/Jan Huebner

Maru Teferi
Marathon, Israel
Maru Teferi, im Nordwesten Äthiopiens geboren und mit 14 Jahren mit seiner jüdischen Familie nach Israel ausgewandert, ist israelischer Rekordhalter über sechs Dis­tanzen, darunter Halbmarathon und Marathon. Seine schnellste Marathonzeit von 2:07:20 – gelaufen kurz vor der Pandemie im Februar 2020 – liegt nur sechs Minuten über dem Weltrekord. Jetzt wird der 28-Jährige das zweite Mal an Olympischen Spielen teilnehmen.

Foto: imago/GEPA pictures

Maor Tiyouri
Marathon, Israel
Israel hat mit Maor Tiyouri eine weitere Marathonathletin. Wie für Teferi sind dies die zweiten Spiele für Tiyouri, aber die Qualifikation war diesmal für die 30-Jährige viel schwieriger. Für den Marathon der Frauen wurde der olympische Standard – die Zeit, die für die Qualifikation für die Spiele benötigt wird – um 15 Minuten von zwei Stunden 45 Minuten auf 2:29:30 Uhr gesenkt. Für Tiyouri bedeutete das, 13 Minuten schneller zu laufen als ihre persönliche Bestleistung.

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