In Lateinamerikas Wirtschaftshauptstadt São Paulo hat die evangelikale »Universalkirche vom Reich Gottes« für umgerechnet mehr als 100 Millionen Euro eine beeindruckende Nachbildung des Jerusalemer Tempels von König Salomo errichtet. Zur Einweihung im Herbst kamen neben Staatschefin Dilma Rousseff die gesamte politische Führungsriege und die wichtigsten Repräsentanten der jüdischen Gemeinde des Tropenlandes.
Für die jüdische Gemeinde gibt es gewichtige Gründe, die für ein pragmatisch gutes Verhältnis zu den Evangelikalen sprechen. Claudio Lottenberg, Präsident der Israelitischen Konföderation Brasiliens (CONIB), macht aus seiner Bewunderung für den 55 Meter hohen Tempel – er ist deutlich größer als die Kathedrale von São Paulo – keinen Hehl. Der Gemeindechef nennt ihn »einzigartig und prachtvoll«, »einen Markstein für die Welt«. Der Universalkirche und ihrem religiösen Führer, Bischof Edir Macedo, sei ein großes Werk gelungen.
Menora Kritik von orthodoxen Juden, darunter Rabbinern, dass in dem Tempel jüdische Symbole wie die Menora verwendet werden, weist Lottenberg zurück. Die Universalkirche und ihre Anhänger respektierten das Judentum, sagt er. Die Übernahme von Symbolen sei deshalb alles andere als negativ zu bewerten.
Einige Wochen nach der Tempeleinweihung, bei der auch die Hatikwa, Israels Nationalhymne, erklungen war, sah sich der CONIB-Präsident gezwungen, in den Landesmedien deutliche Worte zu Antisemitismus und Antizionismus zu sagen, die auch in Brasilien stark zunehmen. Der frühere Präsident der jüdischen Gemeinde São Paulos, Boris Ber, kommentiert: »In Brasilien finden wir nicht gerade viel Unterstützung und Anerkennung. Wer will es uns da verdenken, dass es guttut, wenn Leute wie die Evangelikalen uns einfach mögen?«
Bischof Ber hatte mit zahlreichen führenden Vertretern der jüdischen Gemeinschaft an der Tempeleinweihung teilgenommen und war im Anschluss daran zu einem ausschließlich für die jüdische Gemeinde gegebenen »Tempel-Empfang« des Bischofs gegangen. »Wir haben Affinitäten zu den Evangelikalen, aber einige Differenzen in Interpretationsfragen«, sagt Ber. Das sei völlig normal unter Religionen. »Kritik an Bischof Macedo ist Teil unserer Bewertung, doch zuallererst respektieren wir die religiöse und politische Freiheit der Universalkirche – wie sie es uns gegenüber tut.«
Macedo, der sich selbst zum Bischof ernannt hat, sagt: »Im Tempel von São Paulo erleben wir die Vereinigung von Christentum und Judentum. Viele in Israel haben von einer solchen Nachbildung geträumt und uns Hilfe beim Bau angeboten.« Wie bekannt wurde, stammen Quader für die Fassade aus einem Steinbruch bei Hebron.
Kirchenführer Macedo gilt als einer der reichsten und politisch einflussreichsten Brasilianer. Ihm gehört ein Medienkonzern, er dominiert die Republikanische Partei und propagiert die sogenannte Theologie der Prosperität: »Wohlstand ist eine Gabe Gottes, man erreicht ihn durch die Macht des Glaubens.« Diese »Theologie« wird auch von anderen evangelikalen Kirchen Brasiliens vertreten – entsprechend kritisch reagieren Religionswissenschaftler, Katholiken und Linksintellektuelle.
Für die jüdische Gemeinde hat jedoch die außenpolitische Ausrichtung dieser Kirchen weit größere praktische Bedeutung, denn sie sind konsequent pro-israelisch und sorgen für eine hohe Zahl brasilianischer Religionstouristen im Heiligen Land. Werden in Brasilia antiisraelische Noten veröffentlicht, protestieren evangelikale Organisationen vor dem Außenministerium. Viele ihrer Gläubigen sagen: »Wenn die Regierung schlecht über Israel redet, tut sie das auch über unseren Herrn Jesus.«