Mittwochnachmittag im Osten Londons. Kunden strömen in die Bäckerei »So Real«. Auf langen Regalreihen stehen Weidenkörbchen voller Gebäck, darunter liest man auf kleinen Schildern »Vanille«, »Schokolade-Kaffee« oder »Zimt«. Neben der Eingangstür hängt eine lange hebräische Bracha zur Segnung von Gewürzen.
Auf der anderen Seite des Ladens stehen in einem Kühlfach frischer Joghurt mit Körnern, aber auch Schalen mit Hering und eingepackte Sandwichs zum Mitnehmen. Im Hintergrund rieseln religiöse Melodien, während aus der Küche einige Gesprächsfetzen auf Jiddisch in den Laden dringen.
In einer Ecke des Raums stehen eine kleine Kaffeemaschine und daneben koschere Milch. In einer anderen Ecke lacht auf einem großen Foto der Munkatscher Rebbe. »So Real« ist unter orthodoxen Juden in Stamford Hill eine der beliebtesten Einkaufsadressen – und ein Geheimtipp für Chanukka.
Nachtschicht Sruli Ginsberg, der Besitzer der Bäckerei, ist ein rundlicher Mann Mitte 40. Er trägt Vollbart, weißes Hemd, Backschürze und im Ohr ein Bluetooth-Headset. Er entschuldigt sich mit einem freundlichen Lächeln – er müsse in der Küche unbedingt ganz schnell noch etwas zu Ende bringen. Im Schaufenster verrät ein Poster mit zwei riesigen Sufganiot, warum er so unter Druck steht: Bald ist Chanukka! »Wir arbeiten jetzt täglich 24 Stunden ohne Unterbrechung«, sagt Ginsberg noch schnell, bevor er in der Küche verschwindet. Neben Schawuot mit seinen Käsekuchen ist Chanukka die geschäftigste Zeit des Jahres in der kleinen Bäckerei.
Während Sruli Ginsberg Teig umrührt, erklärt der 24-jährige David Hopstein, weshalb er unbedingt bei »So Real« seine Backwaren kauft: »Ich stamme aus New York, und diese Bäckerei hier erinnert mich an mein Zuhause. Da können die anderen nicht mithalten.« Hier werde nicht an den Zutaten gespart, berichtet er begeistert, es gebe üppigere Füllungen und mehr Belag oder mehr Fisch als anderswo – »und das bei noch nicht einmal hohen Preisen«. Eine orthodoxe Frau mit Kinderwagen bestätigt dies und fügt an, es sei hier ein bisschen gesünder als bei anderen Bäckereien in der Gegend.
Endlich erscheint Sruli Ginsberg wieder. Er tritt aus der Küche und lächelt zufrieden. Die Bäckerei ist sein Stolz. Als er vor zehn Jahren anfing, eröffnete er den Laden nicht als Bäckerei, sondern als Reformhaus. »Mit allerlei Gesundem«, sagt er, »Vitamine, Körner und dergleichen.«
Dann erzählt er, wie daraus eine Bäckerei wurde. »In einer Ecke gab es ein paar Backwaren, die meine Mamme zu Hause gemacht hatte.« Seine Mutter wurde in der Tschechoslowakei geboren, ihre Vorfahren stammen aus Ungarn. Was sie backte, schmeckte den Kunden. Es sei »so gut wie früher«, schwärmten sie.
Es war diese Begeisterung und unbändige Nachfrage, die dazu führten, dass sich Ginsberg von seiner Mutter zeigen ließ, wie man die Köstlichkeiten zubereitet. Er ließ im hinteren Raum eine kleine Backstube einbauen, und dann ging’s los. »Ich glaube, es war Gottes Plan«, sagt Ginsberg, »da muss man sich fügen.«
Welches Geheimnis verbirgt sich dahinter, dass die ultraorthodoxe Nachbarschaft jeden Freitag für die angeblich beste Challa der Stadt Schlange steht und der Bäcker zu Chanukka kaum mehr ruhen kann? Die Antwort kommt ohne langes Überlegen: »Ich mache es einfach echt, so wie es der Name der Bäckerei sagt.« Es stimme, seine Sandwichs seien dicker belegt, die Teigtaschen und Hörnchen üppiger gefüllt. Der Kunde merkt, dass an den Zutaten nicht gespart wird. Die Sufganiot, gerade jetzt an Chanukka der Hit in der Gegend, sind mit großzügigen Mengen an Marmelade, Sahne, Karamell oder Vanillesoße gefüllt. Das Frittieröl, sagt Ginsberg, werde jeden Tag erneuert. So etwas schmeckt man.
Zum Backen benutzt Ginsberg ausschließlich Dinkel. »Das liegt nicht so schwer im Magen wie Weizen.« Gerade bei Challot sei das wichtig, denn nach Beginn des Schabbats und dem Segen über Wein und Brot komme ja noch eine ganze Mahlzeit.
Im Gegensatz zu anderen jüdischen Bäckereien gibt es bei Ginsberg jedoch keine Latkes. Stattdessen verkauft man Fritlech, frittiertes Hartgebäck in verschiedenen Geschmackssorten.
Gibt es bei der Zubereitung all dieser Backwaren, gerade für Chanukka, ein Geheimnis? »Ich glaube, dass man Menschen nichts Schlechtes verkaufen darf«, sagt Ginsberg. »Die Kunden haben ein Recht auf das Allerbeste. Sie müssen das Gefühl haben, bei ihrer eigenen Großmutter zu Gast zu sein. Man muss alles mit Herz und Liebe machen.« Dies sei sein Geheimnis. Und es gebe da noch eine Zutat, sagt Ginsberg: »die Treue zu Gott«.