Es klingt wie der Plot eines Films: An einem Freitagmorgen Mitte Juni erhält Pinkhas Kornfeld, Sekretär der chassidischen Machzike-Hadas-Gemeinde in Antwerpen, einen Anruf. Ein unbekannter Mann meldet sich und sagt zu ihm, er solle sich in der Synagoge umsehen. Kornfeld informiert einige Freunde, und zusammen begeben sie sich in die Oostenstraat im Zentrum Antwerpens. Aus der dortigen Synagoge, einer der größten in Belgien, sind Ende Mai drei Torarollen gestohlen worden. Als Pinkhas Kornfeld an jenem Morgen das Gotteshaus betritt, liegen die vermissten Rollen vor ihm.
Wie die Schätze zurückkamen und wer der mysteriöse Anrufer war? Darüber könne er keine Angaben machen, solange die Ermittlungen der belgischen Bundespolizei noch nicht abgeschlossen sind, sagte Pinkhas Kornfeld der Jüdischen Allgemeinen.
wert Zunächst herrscht Erleichterung in der Gemeinde. Zwei der Sifrei Tora haben einen Wert von jeweils rund 30.000 Euro, die dritte wird auf 200.000 Euro beziffert. Sie ist 200 Jahre alt und wurde von seiner früheren Besitzerin vor den Deutschen gerettet, indem sie sie in einem Konzentrationslager unter ihrer Kleidung versteckte.
Im Mittelpunkt stand nicht der materielle Wert, sondern die emotionale Bedeutung, hieß es in der Gemeinde wenige Tage nach dem größten Torarollenraub in der belgischen Geschichte. »Es fühlt sich an, als sei ein Stück von uns selbst weggenommen«, sagte der Vorsitzende Gerson Gutfreund, kurz nachdem der Verlust beim morgendlichen Schabbatgottesdienst bemerkt worden war.
Lösegeld Durch ein Seitengebäude hatten sich die Diebe in der Nacht zuvor Zugang zur Synagoge verschafft. Dort brachen sie den Schrein auf und trennten die Pergamentrollen von den mit Silber verzierten Holzstäben. Von da an wartete die Gemeinde auf eine Kontaktaufnahme der Täter. Im Fall geraubter Torarollen wird damit in der Regel eine Lösegeldforderung übermittelt. »Sie können ja nicht einfach so verkauft werden«, so Pinkhas Kornfeld. »Jeder Jude würde zuerst fragen, woher sie kommen.«
Die Gemeinde erhielt zunächst eine Vielzahl von Tipps. Einem zufolge war ein Franzose aus Brüssel in den Verkauf zweier Torarollen verwickelt. Die Gemeinde ging zum Schein auf die Forderung von 100.000 Euro ein und stellte ein Ultimatum, die Rollen sehen zu können, woraufhin der Kontakt abbrach. Zwischenzeitlich war durch diese Spur Verwirrung entstanden, da es so schien, als seien zwei weitere Rollen geraubt worden. Der Toraschrein der Oostenstraat-Synagoge umfasst neun Rollen, von denen zur Tatzeit jedoch mehrere in der Obhut ihrer Besitzer waren.
diebesbande Zur Rückkehr der verlorenen Schätze kam es dann durch die Vermittlung eines Warschauer Rabbiners. Laut Informationen der jüdischen Wochenzeitschrift Joods Actueel aus Antwerpen brachte eine »osteuropäische Diebesbande« die Rollen in die polnische Hauptstadt. Der Rabbiner stellte den Kontakt zwischen Gemeinde und Tätern her. Pinkhas Kornfeld bestreitet Berichte mehrerer belgischer Medien, darunter Joods Actueel, die jüdische Gemeinschaft Antwerpens habe im Tausch für die Schriftstücke Lösegeld bezahlt. »Das wäre ein sehr schlechtes Zeichen gegenüber der Außenwelt.«
Für die Synagoge steht nun, im Rahmen einer ohnehin vorgesehenen Renovierung, eine deutliche Verbesserung der Sicherheitsmaßnahmen auf dem Programm. Zusätzliche Arbeit wartet zudem auf einen Sofer, der die zurückgekehrten Torarollen vor dem erneuten Gebrauch zunächst sorgfältig kontrollieren muss.