Seine Schwächen gibt er kaum jemals preis; Fehler, Ausrutscher und Fauxpas passieren ihm selten. Der 1968 in Villach (Kärnten) geborene Bundesparteiobmann der rechtsextremen österreichischen FPÖ Herbert Kickl ist sprachgewandt, intelligent, diszipliniert und zielstrebig.
Zwar besitzt er weder die Intuition, die Empathie und das Verführungstalent eines Jörg Haider noch die Strahlkraft und derbe Volkstümlichkeit seines Vorgänger H. C. Strache, aber er hat auch nicht deren Abgründe, Ambivalenzen und persönlichen Defizite.
Gerade das aber macht diesen Rechtspopulisten im besonderen Maße gefährlich. Lange Zeit war er der Stratege, Ideologe und Redenschreiber seiner Partei, blieb dabei jedoch in der zweiten Reihe. Unter der Kanzlerschaft von Sebastian Kurz war er von 2017-2019 Innenminister. Nun steht er vor dem wohl größten Erfolg seiner politischen Karriere: Österreich droht eine von der FPÖ geführte Regierung und ein »Volkskanzler« Kickl.
Der Ausdruck »Volkskanzler« wurde von der FPÖ vor allem im Wahlkampf gerne verwendet. Im Duden des Jahres 1941 wird der Begriff Volkskanzler« als »Bezeichnung für Hitler zum Ausdruck der Verbundenheit zwischen Volk und Führer« definiert. Der Rückgriff auf die Sprache der NS-Zeit durch die FPÖ ist kein Zufall. Sich als Partei der »kleinen Leute« zu verstehen, solange es sich dabei nicht um Geflüchtete, Migranten, Muslime oder andere Minderheiten handelt, steht ebenfalls in einer unseligen Tradition.
Sich als »soziale Heimatpartei« zu bezeichnen, ist gleichermaßen eine deutliche Anspielung. Die Empörung darüber ist in Österreich jedoch verhaltener, als sie in Deutschland wäre, sei es, weil das rechte Lager traditionell zu stark ist, sei es, weil es sogar bei den Gegnern des Rechtsextremismus inzwischen zu einer Art Abstumpfung und Resignation gekommen ist. Eine »Brandmauer« gegen die FPÖ gibt es schon lange nicht mehr. In fünf der neun Bundesländer ist sie heute Regierungspartei.
Wenn es um die reale Wirtschafts- und Sozialpolitik geht, steht die FPÖ entgegen ihrer Propaganda und Wahlkampfrhetorik der rechtskonservativen ÖVP und ihrer großbürgerlichen Klientel näher als den »kleinen Leuten«, deren Interessen sie angeblich vertritt. Die sozialen Auswirkungen der sich anbahnenden Koalition aus FPÖ und ÖVP werden fatal sein: Rentenkürzungen, Gehaltseinbußen bei Lehrern, Polizisten und anderen öffentlich Bediensteten, Kahlschlag im Kultur- und Sozialbereich, keine weiteren Reformen und Investitionen im Bildungsbereich, wahrscheinlich auch Kürzungen im Bereich Forschung und Entwicklung, in der Klima- und Umweltpolitik, Senkung der Lohnnebenkosten und der Körperschaftssteuer als Geschenk an die Wirtschaft.
Diese ÖVP-Ziele ist die FPÖ offensichtlich gerne bereit mitzutragen. Ob der dadurch unvermeidbare Wohlstandsverlust großer Teile der Bevölkerung das österreichische Budget-Loch schließen wird können, ist allerdings mehr als fraglich. Der Rückgang des Konsums wird die Steuereinnahmen weiter senken und Arbeitsplätze zerstören; höhere Arbeitslosenzahlen werden die staatlichen Ausgaben notgedrungen wieder in die Höhe treiben, was zu weiteren Kürzungen im Sozialbereich führen wird …
Was uns ebenfalls erwartet, ist eine noch restriktivere Asyl-, Migrations- und Einbürgerungspolitik als bisher. Die FPÖ steht für Massenabschiebungen, für die Diskriminierung von ethnischen und religiösen Minderheiten einschließlich eines verstärkt forcierten »identitären« Weltbildes. Noch schlimmer als das wird aber die befürchtete Aushöhlung der Demokratie sein – eine »Orbánisierung« Österreichs durch die Gleichschaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, den Kampf gegenAndersdenkende und die freien Medien, gegen Menschenrechtsgruppen, humanitäre und soziale Einrichtungen.
Als Juniorpartnerin in dieser Koalition wird die ÖVP zu schwach sein, um diese Entwicklung zu verhindern. Dem inzwischen tonangebenden »Wirtschaftsflügel« dieser Partei sind demokratiepolitische Anliegen ohnehin eher gleichgültig. Die Vertreter der Wirtschaft innerhalb der ÖVP waren ja diejenigen, die von Anfang an für eine Koalition mit der FPÖ plädiert hatten und schließlich für den Abbruch der Koalitionsverhandlungen mit den Sozialdemokraten verantwortlich waren.
Nicht nur für Österreich schlimm, sondern gefährlich für ganz Europa ist die Nähe der FPÖ zu Putins Russland (hierbei gibt es deutliche Parallelen zur deutschen AfD) und die Vorstellung Kickls und seiner Partei, die österreichische Neutralität sei nicht nur eine militärische, sondern auch eine politische. Letzteres würde auf eine Reduktion der österreichischen Ukraine-Hilfe und auf eine »neutrale« Haltung zum russischen Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen die Ukraine hinauslaufen.
Ob sich die FPÖ mit diesen außenpolitischen Vorstellungen sowie mit ihrer EU-kritischen Haltung allerdings gegen die ÖVP durchsetzen wird, bleibt offen. Die Gefahr besteht jedenfalls, und das sollte nicht nur mir große Angst machen.
Als Innenminister versuchte Herbert Kickl – mit großer Leidenschaft, aber letztlich erfolglos – in Österreich eine berittene Polizei einzuführen. Seine Kanzlerschaft, die wohl kaum noch verhindert werden kann, wird ein Ritt ins Verderben sein.
Für mich, einen österreichischen Juden mit Migrationshintergrund, wäre eine Regierung unter einem Bundeskanzler der FPÖ zu alledem auch eine persönliche Kränkung. Seit ihrer Gründung war die FPÖ ein Sammelbecken ehemaliger Nationalsozialist*innen, von Rechtsradikalen, Identitären und Anhänger*innen der »Neuen Rechte«. Auch wenn die Führung der FPÖ seit vielen Jahren jeglichen Antisemitismus verurteilt, gibt es immer wieder menschenverachtende, rassistische, faschistoide und NS-verharmlosende Aussagen aus der zweiten und dritten Reihe dieser Partei.
Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie gehören ohnehin zum Standardrepertoire der »Freiheitlichen«. Ich selbst würde mich unter einem Bundeskanzler Herbert Kickl jedenfalls wieder um einiges fremder und unsicherer in meinem Land fühlen.
Der Autor ist Schriftsteller und wurde 1966 in Leningrad geboren. Er lebt seit 1981 in Österreich. Zuletzt erschien sein Roman »Die Heimreise« (Residenz Verlag).