Brüssel

Religionsfreiheit in Gefahr

Foto: picture alliance/dpa

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg zum religiösen Schächten sorgte bei jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaften für allergrößte Befürchtungen: Im Dezember 2020 entschied das oberste Gericht der EU, dass es den 27 EU-Mitgliedsstaaten der Union grundsätzlich gestattet ist, die im EU-Recht vorgesehene Ausnahmeregelung für ein betäubungsloses Schlachten von Tieren so auszulegen, dass koscheres Schlachten de facto verboten wird.

Damit bestätigte der EuGH in letzter Instanz die Rechtmäßigkeit des Verbot des Schächtens ohne Betäubung, das zwei der drei belgischen Regionalparlamente zuvor beschlossen hatten.

In Deutschland ist die Ausnahmeregelung für Religionsgemeinschaften dagegen weiterhin in Kraft, sie betrifft in der Praxis aber nur muslimische Gemeinden, die bei örtlichen Veterinärämtern regelmäßig um Genehmigungen nachsuchen müssen, wenn sie Schafe oder Rinder nach dem Halal-Ritus schlachten wollen.

Hierzulande verzehrtes koscheres Fleisch wird praktisch komplett aus dem Ausland importiert. Dennoch sind nicht nur Muslime, sondern auch Vertreter der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland besorgt über die ihrer Ansicht nach unzulässigen Einschränkungen der freien Religionsausübung durch den Staat.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Am Donnerstag lud nun die Europäische Kommission Vertreter von jüdischen, christlichen und muslimischen Gemeinschaften sowie Experten zum runden Tisch nach Brüssel ein. Bei der gemeinsam mit den Antisemitismusbeauftragten von Vereinten Nationen, Europarat und OSZE organisierten Tagung wurde der Einfluss möglicher Verbote des religiösen Schlachtens auf die jüdische und muslimische Gemeinschaft in Europa diskutiert und verschiedene Modelle besprochen, wie man in dieser heiklen und die Öffentlichkeit meist sehr polarisierenden Frage zu einem Modus videndi kommen kann.

VERBOTE Katharina von Schnurbein, Antisemitismusbeauftragte der Kommission und Gastgeberin des Treffens, betonte die Wichtigkeit des Dialogs zwischen Religionsgemeinschaften und staatlichen Stellen. Auch ihre US-Amtskollegin Deborah Lipstadt war nach Brüssel gekommen. Sie forderte mehr Verständnis für die Praxis des Schächtens. Länder, in denen es Verbote gäbe, sollten auf religiöse Minderheiten zugehen, »um herauszufinden, wie sie die Menschenrechte ihrer Mitglieder am besten schützen und ihre Lebensweise unterstützen können«, sagte Lipstadt.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

»Es gibt eine einfache Möglichkeit, den Tierschutz beim Schlachten zu fördern und die Rechte von Angehörigen religiöser Minderheiten zu respektieren. Indem sie das rituelle Schlachten von diesen Gesetzen ausnehmen, können die Länder sicherstellen, dass die Tiere humaner behandelt werden und gleichzeitig ihre Rechte gewahrt bleiben.«

Sie fügte hinzu: »In einer Zeit, in der wir in ganz Europa eine Zunahme von Antisemitismus, antimuslimischer Stimmung und Fremdenfeindlichkeit beobachten, verstärkt diese Art von Gesetzgebung den Eindruck, dass Angehörige religiöser Minderheiten in einigen Ländern unerwünscht sind. Es ist eine schlimme Zeit, Jude oder Muslim zu sein.«

KOOPERATION Der Chef der Allianz der Zivilisation der Vereinten Nationen und frühere spanische Außenminister Miguel Ángel Moratinos nahm ebenso an der Tagung teil wie der deutsche Antisemitismusbeauftragte Felix Klein.

In einigen EU-Ländern ist es bereits gelungen, ein Verbot des religiösen Schächtens abzuwenden. Und es gibt auch Beispiele für Kooperation: So existiert in den Niederlanden ein Memorandum of Understanding zwischen staatlichen Einrichtungen und den Religionsgemeinschaften im Hinblick auf das Schächten. In Frankreich gibt es seit 2017 einen Ethikbeirat der Schlachthöfe, dessen Aufgabe es ist, die Politik und Verwaltung in Fragen des Tierschutzes in Schlachthöfen zu beraten.

Katharina von Schnurbein betonte denn auch den Handlungsspielraum, den die EU-Staaten in diesem Bereich hätten. Es gelte, die richtige Balance zu finden zwischen dem Tierschutz einerseits und dem Recht auf freie Religionsausübung andererseits.

»Juden und Muslime sind Teil eines vielfältigen und lebendigen Europas. Wir wollen dafür sorgen, dass religiöse Gemeinschaften ihren Glauben ausüben können, und wie andere Mitglieder der Gesellschaft ihre religiösen und kulturellen Traditionen leben und feiern können.

»Das Schächten ist Jahrtausende alt und es gibt in vielen Ländern gute Regelungen. Dialog ist wichtig. Mit diesem Austausch zwischen religiösen und staatlichen Vertretern wollen wir zu Lösungen beitragen, die dem Tierschutz und der Religionsausübung gerecht werden«, sagte von Schnurbein dieser Zeitung.

Ungarn

Abschied von der ältesten Olympiasiegerin

Die legendäre Turnerin Ágnes Keleti ist in Budapest gestorben – nach einem langen, außergewöhnlichen Leben voller Medaillen

von Martin Krauß  15.01.2025

Frankreich

Iris Knobloch bleibt Präsidentin des Filmfestivals Cannes

Sie ist die erste Frau an der Spitze des Festivals

 15.01.2025

Porträt

Die Krankenschwester und der Urwalddoktor

Vor 150 Jahren wurde Albert Schweitzer geboren. An seiner Seite wirkte seine Frau Helene Schweitzer Bresslau – eine Heldin, die oft vergessen wird

von Anja Bochtler  15.01.2025

USA

Betrug mit Corona-Hilfen? Jewish Voice for Peace zahlt mehr als halbe Million Dollar zurück

Um einer Verurteilung zuvorzukommen, zahlt die Organisation freiwillig 677.634 Dollar

von Ralf Balke  15.01.2025

Kalifornien

»Es ist okay, nicht okay zu sein«

Wie die jüdische Gemeinschaft in Los Angeles mit den verheerenden Bränden umgeht – ein Zeugenbericht

von Jessica Donath  13.01.2025 Aktualisiert

Essay

Ritt ins Verderben

Gedanken eines österreichischen Juden zu einer möglichen Kanzlerschaft des Rechtsextremisten Herbert Kickl

von Vladimir Vertlib  12.01.2025 Aktualisiert

Frankreich

Zuflucht vor Mobbing

Weil die Zahl antisemitischer Vorfälle dramatisch steigt, nehmen immer mehr jüdische Eltern ihre Kinder von öffentlichen Schulen und schicken sie auf private. Eine Erkundung in Paris

von Florian Kappelsberger  12.01.2025

Polen

Duda würde Netanjahu nicht verhaften lassen

Am 27. Januar jährt sich die Befreiung von Auschwitz zum 80. Mal. Kommt der israelische Ministerpräsident trotz eines Haftbefehls gegen ihn?

 09.01.2025

Kalifornien

Synagoge fällt Feuern von Los Angeles zum Opfer

Die riesigen Brände gefährden auch jüdische Einrichtungen

 08.01.2025