Studie

Reformrabbiner stehen links

Richtungsfrage: Blau oder Rot? Foto: Thinkstock

Diese Ergebnisse dürften die wenigsten amerikanischen Juden überrascht haben. Politikwissenschaftler der Yale-Universität haben in einer jüngst veröffentlichten breit angelegten Studie die Parteienzugehörigkeit von Geistlichen untersucht. Und siehe da, liberale Rabbiner sind auch in ihrem Wahlverhalten, na ja: liberal.

Stärker als jede andere religiöse Richtung tendieren Reformrabbiner nach links. Mehr als 80 Prozent von ihnen sind eingetragene Demokraten. Und um die 70 Prozent ihrer Kollegen aus der konservativen Bewegung wählen demokratisch.

Clinton Beides deckt sich mit dem Wahlverhalten der jüdischen Gemeinschaft in den Vereinigten Staaten, deren überwältigende Mehrheit seit den frühen 30er-Jahren den Demokraten die Stange hält, bei jeder Wahl mit einem durchschnittlichen Stimmenanteil von immerhin 75 Prozent. Selbst die wenig beliebte Hillary Clinton bekam letztes Jahr 70 Prozent.

Erwartungsgemäß ist die Begeisterung für die demokratische Agenda unter Orthodoxen geringer. Zu oft misstrauen sie den Treuebekenntnissen liberaler Politiker zu Israel. Doch immerhin finden sich auch unter ihren Rabbinern rund 40 Prozent, die als Demokraten registriert sind. Allerdings gehört in den USA nur jeder zehnte Jude einer orthodoxen Synagoge an. Rund 35 Prozent sind Mitglieder einer Reformgemeinde, 18 Prozent konservativ, und sechs Prozent folgen einer anderen Richtung.

Orientierung Interessant ist, dass die Studie belegt, was man immer nur vermutete: dass man nämlich von der ideologischen Orientierung der Geistlichen auf die Weltanschauung ihrer Gemeinden schließen kann. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass jede religiöse Richtung ihre spezifischen theologischen Verpflichtungen formuliert, die dann die politische Haltung der Geistlichen formen. Und die wiederum, so zeigen die Autoren, beeinflussen die Haltung ihrer Gemeindemitglieder, zum Beispiel dadurch, wie sie Texte auslegen oder welche sozialen Schwerpunkte sie in ihrer Arbeit setzen.

Wenn Rabbiner oder Pfarrer also registrierte Demokraten sind (Muslime berücksichtigt die Studie wegen erfassungstechnischer Schwierigkeiten nicht), stimmen auch die Kirch- oder Synagogengänger größtenteils gesellschaftspolitischen Positionen zu, die von dieser Partei vertreten werden.

So erstaunt es nicht, dass liberale Juden sich mit überwältigender Mehrheit sowohl zur Schwulenehe als auch zum Recht auf Schwangerschaftsabbruch bekennen. Die Untersuchung schließt nicht aus, dass sich Gemeinde und Geistliche dabei gegenseitig beeinflussen, eine liberalere Gemeinde zum Beispiel schon bei der Einstellung auf die Weltanschauung des Bewerbers achtet.

Wie auch immer die Dynamik im Einzelnen abläuft, können sich Kritiker wie Norman Podhoretz durch die Studie bestätigt fühlen. Seit Jahren befasst sich der neokonservative, vom Demokraten zum Republikaner gewandelte Intellektuelle damit, wie die liberalen Juden eigentlich ticken. Warum sie trotz Schwächen, die sie der anderen Seite nie verzeihen würden, immer und immer wieder die Demokraten wählen. Ausgerechnet Barack Obama, so Podhoretz, hätten sie trotz seiner Nähe zu nachweislichen Israelhassern wie dem Prediger Jeremiah Wright mit 78 Prozent ihrer Stimmen stärker unterstützt als jeden anderen Kandidaten zuvor.

Nicht nur Podhoretz fragt sich, ob ihr liberales Denken, das sie gleichsetzen mit sozialer Gerechtigkeit, bei vielen Juden das Bekenntnis zum Judentum abgelöst habe. Mittlerweile regt sich auch in den Gemeinden selbst so einiges. »Wir müssen einfach zugeben, dass wir erbärmlich dabei versagt haben, unsere Kinder jüdisch zu erziehen. Der Einsatz für soziale Gerechtigkeit kann ein fundiertes Wissen nicht ersetzen«, sagt ein führendes Mitglied einer Reformsynagoge in San Francisco. Und so sehr sie Donald Trump ablehnen, so entsetzt waren auch viele Reformrabbiner über die Nahostpolitik Barack Obamas.

Werden solche Ansätze das Wahlverhalten von Juden in Zukunft ändern? Wohl kaum. Das Gegenteil sei zu erwarten, sagt die Studie. Mit 45 Prozent haben Reformgemeinden den höchsten Anteil an weiblichen Geistlichen. Und Frauen, die ihre Rechte von den Demokraten besser vertreten sehen, puschen deren Agenda noch stärker als Männer.

Chabad

Gruppenfoto mit 6500 Rabbinern

Tausende Rabbiner haben sich in New York zu ihrer alljährlichen Konferenz getroffen. Einer von ihnen aber fehlte

 02.12.2024

Marokko

Drahtseilakt

Das Land ist Heimat der größten jüdischen Gemeinschaft in der arabischen Welt. Wie erlebt sie die Folgen des 7. Oktober 2023?

von Ralf Balke  01.12.2024

Schweiz

Säkularisierungstrend in der Schweiz - Stabile Zahlen in der jüdischen Gemeinschaft

Die Zahl religiöser Gruppen in der Schweiz sinkt. In der jüdischen Gemeinschaft sind die Zahlen konstant

 29.11.2024

Großbritannien

Über den eigenen Tod selbst bestimmen?

Ein Gesetzentwurf soll die Sterbehilfe ermöglichen. Das führt zu Diskussionen, auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  29.11.2024

USA

Junger Israeli in Memphis erschossen - Eltern vermuten Hassverbrechen

Die Polizei geht von Raubmord aus, doch die Eltern des Opfers vermuten ein anderes Motiv

 29.11.2024

USA

Frum auf High Heels

Die Influencerin Ellie Zeiler jettet um die Welt – neuerdings auch mit Siddur im Gepäck. Millionen verfolgen in den sozialen Medien, wie die junge Frau die Religion für sich entdeckt

von Nicole Dreyfus  28.11.2024 Aktualisiert

Mexiko

Präsidentin Sheinbaum droht Trump mit Reaktion auf Sonderzölle

In einem offenen Brief verteidigt Sheinbaum die von Mexiko betriebene Migrationspolitik

 27.11.2024

Dubai

Emirate melden Festnahmen im Mordfall eines Rabbiners

Israels Außenministerium spricht von einem antisemitischen Terrorakt

von Arne Bänsch  24.11.2024

Osteuropa

Mehr Schein als Sein

Länder wie Polen, Litauen oder Ungarn geben sich derzeit als besonders israelfreundlich und sicher für Juden

von Alexander Friedman  24.11.2024