Es dauerte nicht lange, bis es Anfang der Woche bei der Jahresversammlung der European Jewish Association (EJA) in Brüssel kontrovers wurde. Sollen Juden mit rechtspopulistischen Parteien reden oder nicht?
Der frühere Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Roms, Riccardo Pacifici, wirft die Frage in den Raum und fordert eine differenzierte Betrachtung ein. Man könne nicht alle Rechtspopulisten über einen Kamm scheren, sagt er – und erntet sogleich scharfen Widerspruch von Sigmount Königsberg, dem Antisemitismusbeauftragten der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, für den Parteien wie die AfD kein Gesprächspartner sein dürfen.
Auch Sacha Ghozlan, der Vorsitzende des Bundes der Jüdischen Studierenden Frankreichs, ist kategorisch dagegen: »Wenn eine jüdische Gemeinde mit ultrarechten Parteien redet, gibt man denen einen Koscherstempel. Das ist es, was sie wollen.«
EJA-Gründer und Vorsitzender Rabbiner Menachem Margolin plädiert zwar für ein Verbot neonazistischer Parteien, meint aber auch: »Wenn eine rechte Partei an die Regierung kommt, muss man mit ihr sprechen. Da geht es nicht um einen Koscherstempel, sondern um die Zukunft der jüdischen Gemeinde.« Israel habe schließlich auch mit dem Judenhasser Jassir Arafat über Frieden gesprochen.
Muslime Mehrere Teilnehmer warnen, man dürfe nicht in die Logik verfallen, der Feind des Feindes sei automatisch ein Freund. Wer Muslime und andere Minderheiten ausgrenze, könne kein Bündnispartner für Juden sein.
Samuel Laster, der in Wien ein jüdisches Nachrichtenportal betreibt und die Beteiligung der FPÖ an der österreichischen Bundesregierung kritisch sieht, bringt das Dilemma so auf den Punkt: »Donnerstags demonstriere ich immer gegen die FPÖ, aber an den anderen Tagen rede ich mit ihren Regierungsvertretern.«
Labour Die Teilnehmer der Tagung wenden ihren Blick nicht nur nach rechts, sondern diskutieren auch die Lage in Großbritannien und die Antisemitismusvorwürfe gegen die Labour-Partei und ihren Vorsitzenden Jeremy Corbyn. »Die extreme Linke hat Labour gekapert. Es gibt dort einen tief sitzenden Antisemitismus, der sich letztlich nur wenig von dem der Rechtsextremen unterscheidet«, resümiert der britische Journalist David Maddox.
Auch Margolin findet es zu einfach, den steigenden Antisemitismus in Europa nur den Rechtsextremen in die Schuhe zu schieben. »Wenn Linke und extrem Linke Israel attackieren, bedeutet das doch nichts anderes als ein Angriff auf Juden. Sowohl ganz rechts als auch ganz links gibt es eine Agenda, die unter dem Deckmantel von Kinderrechten oder Tierschutz die religiöse Beschneidung oder das Schächten verbieten will.«
Resolution Margolins Dachverband fordert daher nicht nur Worte von Regierungen und Parteien, sondern konkrete Taten. Politische Parteien sollten im Vorfeld der Wahlen zum Europaparlament im Mai 2019 ein klares Bekenntnis gegen Antisemitismus und für Minderheitenrechte abgeben sowie die antiisraelische BDS-Bewegung als antisemitisch verurteilen, heißt es in einem Resolutionsentwurf, der erst nach Redaktionsschluss beraten wurde. Außerdem solle künftig nicht nur die EU, sondern jedes einzelne Land einen Antisemitismusbeauftragten ernennen sowie die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance vollumfänglich anerkennen, so der Text der Entschließung.
»Es ist jetzt Zeit, rote Linien zu ziehen. Unsere Rechte sind nicht nachrangig oder politischen Launen unterworfen. Es geht hier um Grundrechte; daran müssen wir immer wieder erinnern«, sagt Menachem Margolin.
Der EJA-Chef sieht auch die Europäische Union in der Pflicht zu handeln: »Religionsfreiheit ist ein schönes Wort. Aber ohne politisches Gewicht, sie tatsächlich auch zu garantieren, handelt es sich nur um ein hehres Ideal«, so der Rabbiner.