Zum ersten Mal in ihrer Geschichte hat die britische Labour Party einen jüdischen Vorsitzenden: Der 40-jährige Edward Samuel Miliband wurde am Samstag in einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit seinem älteren Bruder David zum Chef der britischen Sozialdemokraten gewählt. Nach vier Auszählungsrunden erreichte Ed Miliband 50,65 Prozent der Stimmen, sein Bruder David 49,35 Prozent. Eine Überraschung für viele, galt doch lange Zeit der ältere Miliband als Spitzenkandidat für den Posten des Parteichefs. Die Medien favorisierten David, den man für charismatisch und konservativ hält – und der mehr der politischen Mitte zugewandt ist.
Spitzname Kaum im Amt, hat der Sohn von Ralph Miliband, einem der führenden marxistischen Theoretiker des 20. Jahrhunderts, bereits seinen Spitznamen weg: »Red Ed« nennt die britische Presse den neuen Parteichef aufgrund seiner Nähe zu den Gewerkschaften – und das nicht zu Unrecht: Seine Wahlkampagne richtete sich an die Stammwähler der britischen Sozialdemokraten, die einst von Tony Blair und seiner New-Labour-Bewegung verprellt worden waren, und wurde von nicht weniger als sechs Gewerkschaften unterstützt. Gleich in seinem ersten BBC-Fernsehinterview nach der Wahl wollte der neue Labour-Chef etwaige Vorurteile jedoch aus dem Weg räumen: »Über eines bin ich mir im Klaren: Ich bin mein eigener Mann«, erklärte er selbstbewusst.
»Wir dürfen nie wieder den Draht zur Mitte unseres Landes verlieren«, schrieb Miliband außerdem bereits weniger als 24 Stunden nach seiner Wahl in der konservativen britischen Sonntagszeitung Sunday Telegraph. »Mein Ziel ist zu zeigen, dass unsere Partei auf der Seite der Mitte unseres Landes ist; auf der Seite von allen, die hart gearbeitet haben und weiterkommen wollen.«
Mutter Kann der frischgebackene Parteichef auch die Stimmen der jüdischen Wählerschaft in Großbritannien zurückgewinnen? Viele britische Juden ziehen zwar traditionell die Labour Party vor, hatten sich aber seit Gordon Browns Amtszeit von den Sozialdemokraten abgewandt. Aufgrund seiner Nähe zu den britischen Gewerkschaften, die traditionell israelkritisch sind, dürfte es Ed Miliband allerdings schwer fallen, die vergrätzten jüdischen Labour-Anhänger wieder ins Boot zu holen. Erschwerend kommt hinzu, dass seine Mutter Marion Kozak Mitglied der britischen Organisation »Jews for Justice for Palestinians« ist.
Milibands größte Hürde dürfte aber die britische Wirtschaftsmisere sein. »Die Labour-Partei kann keine Wahl gewinnen«, sagte Polly Toynbee, Kolumnistin der Londoner Tageszeitung The Guardian, »wenn sie nicht selbst eine wirklich solide Wirtschaftsstrategie vorlegt.« Außerdem will der neue Parteichef soziale Ungerechtigkeit abbauen und britische Arbeiter beim Wettlauf um Jobs mit Migranten unterstützen. Ein fragwürdiges Vorhaben, stammt der Labour-Chef doch selbst aus einer Familie von Einwanderern: Geboren in Brüssel, flüchtete sein Vater Ralph 1940 vor den herannahenden deutschen Truppen nach Großbritannien.
Karriere Ed Miliband hat eine sehr steile Karriere bei den britischen Sozialdemokraten hinter sich. Er studierte zunächst Philosophie, Politik und Wirtschaftswissenschaften an der renommierten Universität von Oxford und stieß in den 80er-Jahren zur Labour-Partei. Nachdem Gordon Brown 1997 Finanzminister wurde, machte er Ed Miliband zu einem seiner Berater. 2005 wurde Miliband unter dem damaligen Premierminister Tony Blair Parlamentsabgeordneter. Und nachdem Gordon Brown zum Premierminister gekürt worden war, wurde Miliband im Juni 2007 als Minister für Energie und Klimawandel Mitglied des Kabinetts.
»Red Eds« Aufgabe ist klar: Er soll den seit den Tagen von New Labour bestehenden Graben zwischen den Anhängern von Gordon Brown beziehungsweise Tony Blair in der britischen Labour-Partei zuschütten. Ob ihm das gelingen wird, bleibt fraglich, denn sein äußerst knapper Wahlsieg macht deutlich, dass sich Labour noch zutiefst uneins ist. Knapp die Hälfte der Parteimitglieder hatte schließlich seinem Bruder David die Stimme gegeben. Problematisch sind auch Eds Nähe zu den Gewerkschaften und sein marxistischer Vater – zwei Pferdefüße, an die ihn die britische Presse nur zu gerne immer wieder erinnern wird.