Brasilien steht vor einem Rechtsruck: Der umstrittene Rechtsaußen-Politiker Jair Bolsonaro hat den ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl mit deutlichem Vorsprung gewonnen und geht als Favorit in die Stichwahl. Sein Konkurrent Fernando Haddad von der Arbeiterpartei PT rief zur Verteidigung der Demokratie auf.
Der Ex-Militär Bolsonaro kam am Sonntag nach Auszählung fast aller abgegebenen Stimmen auf 46 Prozent. Der zweitplatzierte Haddad erreichte 29,2 Prozent. Bolsonaro und Haddad werden am 28. Oktober in einer Stichwahl gegeneinander antreten. Kommentatoren äußerten die Erwartung, dass sich beide Kandidaten der politischen Mitte zuwenden werden, um neue Bündnispartner zu gewinnen.
Israel In der jüdischen Gemeinschaft des Landes ist Bolsonaro ebenfalls sehr umstritten. Auf der einen Seite wird der Politiker zur Freude der jüdischen Gemeinschaft nicht müde, seine Verbundenheit mit Israel zu betonen. Und auch umgekehrt pflegt die Regierung von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu beste Verbindungen zu dem Rechtspopulisten.
Erst jüngst hatte Bolsonaro angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs die Botschaft Brasiliens nach Jerusalem zu verlegen und auf seiner ersten Auslandsreise Israel zu besuchen. Über die palästinensische Führung in Ramallah sagt Bolsonaro: »Man verhandelt nicht mit Terroristen!«
Auf der anderen Seite wird er von vielen Juden dafür kritisiert, Stimmung gegen Muslime, Frauen und Homosexuelle zu machen und die Zeit der Militärdiktatur des Landes zu verherrlichen. Fernando Lottenberg, Präsident des jüdischen Dachverbands in Brasilien, ist sich dieses Umstands bewusst – und kündigt an, trotz der Meinungsverschiedenheiten in seiner Gemeinschaft gut mit Bolsonaro zusammenzuarbeiten. »Wir sind eine sehr heterogene Gemeinschaft«, sagt Lottenberg. »Die unterschiedlichen politischen Einschätzungen unserer Mitglieder werden die Einheit der Gemeinschaft nicht gefährden.«
Viel Zustimmung kommt dagegen vom Chef der jüdischen Gemeinde in Rio. »Bolsonaro hat sehr gute Chancen, Präsident zu werden. Das begrüßen wir. Er ist ein großer Freund aller Juden und des jüdischen Staates. Er wird ein großartiger Präsident werden, der jüdische Werte und jüdische Standards als Richtschnur seines Handelns betrachtet.«
Chaos Unterdessen machte Bolsonaro Probleme mit den elektronischen Wahlurnen dafür verantwortlich, dass er nicht schon im ersten Wahlgang gesiegt hat. »Das Land steht am Rand des Chaos, wir dürfen den Linken keinen Raum mehr bieten«, erklärte er in einer Videobotschaft nach Bekanntgabe des Wahlausgangs. Bolsonaro war Anfang September bei einer Messerattacke eines offenbar verwirrten Einzeltäters verletzt worden und ist seitdem nicht mehr öffentlich aufgetreten.
Haddad kündigte an, er werde alle Demokraten des Landes vereinen, »um soziale Gerechtigkeit und ein Brasilien für alle« zu ermöglichen. »Unsere einzige Waffe werden Argumente sein«, sagte Haddad mit Blick auf eine Ankündigung Bolsonaros, allen Brasilianern den Zugang zu Waffen zu ermöglichen.
Der Mitte-Links-Kandidat Ciro Gomes wurde mit 12,5 Prozent Drittplatzierter. Er gab bekannt, im zweiten Wahlgang keinesfalls Bolsonaro zu unterstützen. Kein Kandidat der Parteien, die den konservativen Präsidenten Michel Temer unterstützen, erreichte die Fünf-Prozent-Marke. Temer selbst trat nicht an. Er war 2016 nach der Amtsenthebung von Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei ins höchste Staatsamt aufgerückt und hat kaum Rückhalt in der Bevölkerung.
Die Wirtschaft reagierte enthusiastisch auf das Wahlergebnis. Die Landeswährung Real, die seit Wochen unter starkem Druck steht, gewann drei Prozent an Wert hinzu. Der brasilianische Börsenindex Bovespa legte am Montag um fünf Prozent zu.
Einfluss Auch für das zukünftige Parlament sowie den Senat, der zu zwei Dritteln neu gewählt wurde, zeichnete sich ein stärkerer Einfluss des rechten Lagers ab. Mehrere Abgeordnetenkandidaten von Bolsonaros Sozialliberaler Partei (PSL) erreichten Rekordergebnisse, darunter sein Sohn Eduardo. Nur im verarmten Nordosten des Landes dominiert die Linke. In den meisten Bundesstaaten dort gewannen die Gouverneurskandidaten der PT oder verbündeter Parteien bereits im ersten Wahlgang.
Bolsonaro profitierte offenbar von seinem Image als Anti-System-Kandidat, da viele Brasilianer angesichts endloser Korruptionsskandale der Politikerkaste und dem Establishment misstrauen. Doch es sei ein Fehler, den Rechtspopulisten als politische Alternative anzusehen, erklärte Wagner Ribeiro, Soziologieprofessor an der Universität von São Paulo.
»Bolsonaro sitzt seit über 25 Jahren im Parlament und ist Teil der politischen Klasse.« Trotz seines systemkritischen Diskurses werde er von traditionellen politischen und liberalen ökonomischen Kräften unterstützt, sagte Ribeiro dem Nachrichtenportal RBA.
spaltung Das Wahlergebnis vertieft die Spaltung Brasiliens in zwei entgegengesetzte politische Lager. Bolsonaro vertritt konservative Werte sowie eine liberale Wirtschaftspolitik und lobte mehrfach die Zeit der Militärdiktatur (1964–1985) sowie die Anwendung von Folter. Auch wegen rassistischer, homophober und frauenfeindlicher Aussagen ist der 63-Jährige äußerst umstritten.
Der Mitte-Links-Politiker Haddad will die Sozialpolitik der Arbeiterpartei fortsetzen, die in 14 Regierungsjahren (2003–2016) Millionen Bürger aus der Armut holte. Der 55 Jahre alte ehemalige Bürgermeister von São Paulo trat anstelle des inhaftierten Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva an, der aufgrund einer Verurteilung wegen Korruption nicht kandidieren durfte. epd/ja