Streit, Debatten, Hürden und immer wieder Neuanfänge. Wer mit Mitgliedern der Führungsriege der American Jewish Press Association, kurz AJPA, spricht, bekommt eine Vielzahl von Meinungen, Mahnungen und Anekdoten zu hören.
Aber in einem Punkt herrscht unter Amerikas jüdischen Medienmachern definitiv Einigkeit: »Egal, ob man als One-Man-Show unterwegs ist oder mit einer 50-köpfigen Redaktion arbeitet: Das Ziel sollte immer ein Qualitätsjournalismus sein, der unabhängig und zugleich fest in seiner Gemeinde verankert ist.« Das jedenfalls sagt Marshall Weiss, Gründer und Chefredakteur des »Dayton Jewish Observer«, einer kleinen Lokalzeitung in Ohio.
Publikationslandschaft Rund 100 jüdische Zeitungen und Magazine gibt es in den USA. Hinzu kommen ein paar Nachrichtenagenturen sowie eine Reihe jüdischer Radio- und Fernsehsender. Sehr vieles in der jüdischen Medienlandschaft geschieht heute ausschließlich online. Flaggschiff unter allen jüdischen Publikationen ist zweifelsohne das traditionsreiche Wochenmagazin »Forward«, das früher einmal täglich auf Jiddisch erschien und einst einen streng sozialistischen Kurs verfolgte.
Die Mehrzahl der jüdischen Medien in den USA bilden jedoch lokale Blätter mit kleinen Teams wie der »Dayton Jewish Observer« – Zeitungen also »aus der Gemeinde und für die Gemeinde«, wie Weiss betont. Der Journalistenverband AJPA, 1944 in Indianapolis gegründet, zählt derzeit rund 230 Mitglieder – Presseorgane, individuelle Redakteure, Reporter und freischaffende Autoren sowie PR-Agenturen und Non-Profit-Organisationen. Die Zahlen sind seit Jahren stabil, steigen sogar leicht an.
überlebensstrategien Doch die Medienkrise hat auch die jüdische Presselandschaft kräftig durcheinandergewirbelt. »Die Suche nach Überlebensstrategien bei sinkendem Umsatz aus Druckauflagen« sei eine der großen Herausforderungen, die jüdische Medien mit Mainstreammedien teilen, sagt Rick Kestenbaum, amtierender AJPA-Präsident und zugleich Geschäftsführer der »New Jersey Jewish News«. Hinzu komme noch eine besondere Herausforderung für jüdische Medien, und zwar »die abnehmende Bereitschaft amerikanischer Juden zum Engagement in ihren Gemeinden«.
Eine Umfrage des Pew-Forschungsinstituts von 2013 bestätigt diesen Trend: Rund 22 Prozent aller jüngeren amerikanischen Juden definieren sich als nicht religiös. Zwei Drittel von ihnen nehmen kaum noch am jüdischen Leben teil. »Weniger Engagement in den Gemeinden heißt eben auch schmalere Budgets für jüdische Organisationen und jüdische Einzelhändler, die bislang in den jüdischen Medien Anzeigen geschaltet haben«, berichtet Kestenbaum.
Abonnements und Anzeigen haben für jüdische Medien als alleinige Einkommensquelle nun ebenfalls ausgedient. Viele der kleineren Publikationen werden nur noch von den regionalen Büros der »Jewish Federations of North America«, dem Verbund jüdischer Organisationen in den USA, finanziell am Leben gehalten.
Fundraising Andere jüdische Medien haben sich in gemeinnützige Organisationen umgewandelt und »nutzen damit die rechtliche Möglichkeit, Fundraising zu betreiben«, so Weiss. Sei es bei Stiftungen, Unternehmen oder auch Philanthropen. Weitere Modelle lauten Synergiebildung und Outsourcing. So beliefert ein Journalistenbüro in Washington seit einiger Zeit die »Baltimore Jewish Times« und die »Washington Jewish Week« mit redaktionellen Inhalten. Andere haben Teile ihrer Redaktion sowie die Anzeigenakquise an Agenturen ausgelagert.
Aber neben ökonomischen gibt es auch inhaltliche Herausforderungen. Mit der Suche nach neuen Finanzierungsmodellen kommen Interessenkonflikte, meint Alan Abbey, der deshalb im Rahmen der AJPA eigens ein Ethikkomitee ins Leben gerufen hat. Abbey arbeitete als Journalist für Tageszeitungen und Nachrichtenagenturen in den USA, war Geschäftsführer der Jerusalem Post und des Online-Portals Ynetnews in Israel und leitet heute die Presseabteilung des Shalom-Hartman-Instituts in Jerusalem, das mit der AJPA kooperiert.
Ethische Fragen im Journalismus – insbesondere die Trennung von redaktionellen Inhalten und den Interessen der Förderer – seien keineswegs nur ein Problem der jüdischen Medien. »Das hat universale Bedeutung«, glaubt Abbey. Gerade geriet der öffentliche Sender NPR in die Kritik, als bekannt wurde, dass das Radionetzwerk im vergangenen Jahr Spenden in Höhe von 100.000 Dollar von der Stiftung Ploughshares Fund für seine Berichterstattung über das umstrittene Atomabkommen mit dem Iran erhalten hatte. Das Problem: Ploughshares betrieb ein besonders aktives Lobbying für diesen Deal.
Derartige Interessenkollisionen kämen immer wieder vor, seien jedoch bei Nischenmedien häufig sichtbarer, sagt Abbey, »einfach, weil diese Teil der Gemeinden sind, über die sie berichten«. Gerade deshalb sei es wichtig, den Trägern und Förderern jüdischer Medien – vor allem aber den lokalen »Federations« – zu vermitteln, dass Hofberichterstattung langfristig eher schadet als nutzt und dass »unabhängiger Journalismus eine Gemeinde stärkt, statt sie zu schwächen«.
Interpretationen AJPA hat noch einen anderen Interessenkonflikt ins Visier genommen, nämlich den potenziellen Konflikt zwischen jüdischen und journalistischen Werten. Abbey nennt ein Beispiel. So heiße es im 3. Buch Mose 19,16: Du sollst kein Verleumder sein unter deinem Volk. »In der traditionellen jüdischen Interpretation bedeutet das: Man soll nicht über andere Leute tratschen, weil es ein schlechtes Licht auf sie werfen kann, selbst wenn die Aussage wahr ist.« Da trete ein klassischer jüdischer Wert in Konflikt mit einem klassischen journalistischen Wert, und zwar dem Recht auf Information.
Doch es gebe durchaus einen Weg aus diesem Dilemma, so Abbey. »Ein anderer jüdischer Wert ist, dass man niemandem durch sein eigenes Nichtstun schaden darf.« Wenn beispielsweise ein hochrangiges Gemeindemitglied seine Position missbraucht oder öffentliche Mittel veruntreut, »dann hat der Schaden, der von der Gemeinschaft abgewendet werden muss, ein größeres Gewicht als die Bloßstellung eines Einzelnen.« Und der Journalist kann guten Gewissens darüber berichten.
Für jüdische Medien sind das nicht nur theoretische Fragen, wie AJPA-Präsident Kestenbaum betont. »Viele unserer Beiträge beschäftigen sich mit Israel und dem jüdischen Leben rund um den Globus.« Dabei geht es oft um sensible Themen, die es einem schwer machten, unvoreingenommen zu sein. »Da kann ein einziges Wort, ein winziger faktischer Fehler böse Folgen haben.« Auch aus diesem Grund sei es wichtig, dass jüdische Medien »klaren ethischen Standards folgen«.
Nachrichtenwert Robert Cohn, Journalist im Ruhestand, kennt solche Konflikte aus erster Hand. Da war zum Beispiel die »Operation Moses«, als Israel 1984 rund 8000 äthiopische Juden in einer Geheimaktion aus dem Sudan über Belgien nach Israel ausfliegen ließ. »Die israelische Regierung bat uns damals inständig, nicht über die laufende Operation zu berichten«, erinnert sich Cohn, damals AJPA-Präsident. Er gab die Losung »Jews before News« aus – das Wohl von Juden müsse vor dem Nachrichtenwert kommen. »Einige Mitglieder unterstützten diese Linie«, erinnert er sich. »Andere dagegen meinten, dass sie dazu verpflichtet seien, darüber zu berichten.«
Deutlich mehr jüngere, säkulare Juden sowie am jüdischen Leben interessierte Nichtjuden anzusprechen, das müssen heute bei der Erschließung neuer Geschäftsfelder die Prioritäten sein, glaubt Kestenbaum. Zugleich geht der Blick über die Grenzen der USA hinaus. Vor zwei Jahren lud der Staat Israel jüdische Journalisten aus aller Welt zu einer Konferenz nach Jerusalem ein. Dort entstand die Idee, ein internationales Netzwerk für jüdische Journalisten zu schaffen. Bislang gibt es zwar nur eine Facebook-Gruppe mit 500 mäßig aktiven Mitgliedern. »Aber das Projekt hat ein riesiges Potenzial«, zeigt sich Marshall Weiss überzeugt. »Alles ist möglich.«