Backkunst

Queen of Cake

Kim Kardashian wollte die Torte umsonst», sagt Sylvia Weinstock – also bekam sie gar nichts. Donald Trump? Der habe ein extravagantes Exemplar gefordert, kaum überraschend. Ansonsten sei er pflegeleicht gewesen, keine Klagen – «wenn man mal von seiner Politik absieht», murrt Weinstock. Aber um Politik geht es ja hier nicht. Und die Kennedys, wie waren die? «Eine ganz bodenständige Familie, allesamt», erzählt die Tortenbäckerin, sie seien immer wieder gekommen.

Und Sofia Vergara, die kolumbianische Hollywood-Schauspielerin, die erst vor ein paar Monaten geheiratet hat? «Ich wusste nicht, wer sie ist», gesteht Weinstock, «also habe ich sie gefragt, was sie denn von Beruf macht.» Lustige Vorstellung. Aber Vergara sei nicht eingeschnappt gewesen, höchstens verwundert; sie klärte die Konditorin höflich auf und bekam im Gegenzug, wie gewünscht, eine fünfstöckige Torte, verziert mit weißen Rosen.

Wenn die Tortenmacherin von ihren berühmten Kunden und deren Macken erzählt, kann man sich vorstellen, dass viele ältere Damen bestimmt gern Weinstocks Kaffeeschwestern wären. Sie könnten dann mit ihr an einer großen Kuchentafel sitzen und aus erster Hand indiskrete Details erfahren. Doch die würde Sylvia Weinstock niemals weitergeben, obwohl ihre Anekdoten den Anschein erwecken.

Weinstock hütet sich davor, eine «Chatterbox» zu sein – so nennt man in Amerika die Klatschtanten. Wenn die entsprechenden bunten Zeitschriften bei ihr anrufen und um Informationen, sprich Hochzeitstermine, Namen et cetera bitten, dann legt sie schnell wieder auf. Weinstock gibt nur so viel preis, wie es ihre Kunden erlauben – nur das, was abgesprochen ist, alles andere würde das Geschäft verderben. Ohne Diskretion hätte sie ihr einzigartig erfolgreiches Geschäft nicht dahin bringen können, wo es heute steht.

Versuchung Sylvia Weinstock ist die Königin der Torten, auf diesen Superlativ haben sich die New Yorker Medien über die Jahrzehnte hinweg geeinigt. «Leonardo da Vinci der Torten» wurde sie auch schon genannt, genauso wie «Michelangelo der Torten». Sie selbst befremden diese Überhöhungen. «Wissen Sie, Prominenz ist so eine komische, kleine Sache. Ich mag einfach keine Diven», sagt Weinstock.

Versuchungen, zur Diva zu werden, gab es in den vergangenen 36 Jahren, seit die Tortenmacherin dieses Business professionell betreibt, genug. Ist sie doch seither ständig umgeben von den Reichschönwichtigen dieser Welt, die sie auch noch zu ihren Hochzeiten einladen. Doch Weinstock schlägt die Offerten ab und arbeitet lieber, obwohl sie mittlerweile 86 Jahre alt ist, fünf Tage die Woche, pedantisch und leidenschaftlich, als würde sie gerade ein neues Start-up an den Markt bringen.

Die einzige Extravaganz, die sich Weinstock, mal ganz oberflächlich betrachtet, leistet, ist diese riesige Brille. Dicker, runder Rand, schieferfarben, größerer Umfang als eine Coladose. Die Brille ist auch das Logo ihrer Firma. Nicht selten wird Weinstock mit der New Yorker Innenausstatterin und Mode-Ikone Iris Apfel verwechselt. Doch man hat den Namen Apf... noch nicht ausgesprochen, da kauzt Weinstock dazwischen: «Ich kenne Iris. Aber ich bin jünger!» Tatsache. Apfel ist 94. Eitelkeit sei der 86-Jährigen gestattet.

In Weinstocks Studio im Süden Manhattans sitzen mehrere Frauen an einer Werkbank und formen Blumen aus Buttercremezuckerguss. Die Chefin hat an einem Glastisch in ihrem Büro Platz genommen und schaut aus dem Fenster. Das macht sie lieber, als anderen in die Augen zu schauen. Sie wirkt zunächst reserviert, ernst. Das Telefon klingelt. «Wie viele Gäste?», fragt Weinstock. Pause. «100, okay. Wir machen dann eine Verkostung.» Pause. «Gute Wahl.» Dann schaut sie wieder aus dem Fenster.

Honigkuchen Wie wird man Tortenmacherin? «Meine Mutter war eine schreckliche Köchin. Das war meine Inspiration», sagt Weinstock, die mit 19 Jahren, kurz nach ihrer Hochzeit, zu der nur ein mickriger Honigkuchen aufgetischt wurde, von Brooklyn nach Massapequa, Long Island, zog. Ihr Wunsch war da bereits definiert, Weinstock wollte «eine richtig gute Hausfrau» werden, besser als ihre Mutter zumindest.

Doch während das Patriarchat so viele Frauen auf diese Rolle beschränkt(e), konnte Weinstock sich noch einen anderen Wunsch erfüllen: Sie wurde Grundschullehrerin. In den 50er-Jahren kamen ihre drei Töchter auf die Welt, und wenn Weinstocks Ehemann Ben, ein Anwalt, mit den Kindern am Wochenende Skifahren war, blieb sie zu Hause und backte.

Eines Tages lernte sie George Keller kennen, einen pensionierten Konditor, der sie dazu ermutigte, ihre Nachtische an die lokalen Restaurants zu verkaufen. «Irgendwann wurde mir klar, dass ich das ziemlich gut mache», sagt Weinstock. Bis in die 70er-Jahre arbeitete sie vormittags als Lehrerin und nachmittags an ihren Torten. «Ich habe damals angefangen, Verzierungen vorzuproduzieren, um die frischen Torten schneller bestücken zu können», so Weinstock.

Brustkrebs Als bei Weinstock 1980 Brustkrebs diagnostiziert wurde, verkaufte das Paar sein Haus im Grünen und zog in eine kleine Wohnung in der Upper East Side, Manhattan, um näher am behandelnden Arzt zu sein. «Ich habe in dieser Zeit weiter gebacken, zur Ablenkung.» Sie besiegte die Krankheit schnell und konzentrierte sich fortan noch stärker auf ihr zum Beruf gewordenes Hobby. «Der Tag hat 24 Stunden. Ich habe 26 Stunden gearbeitet», erzählt sie.

Weinstocks Mann verkaufte seine Kanzlei, um seine Frau zu unterstützen. Im Jahr 1982 erwarb das Ehepaar ein baufälliges, fünfstöckiges Haus in Tribeca für 175.000 Dollar. Zwei Jahre lang renovierten sie das Gebäude, richteten oben eine Wohnung ein, unten Werkstatt und Büro. Die 80er-Jahre seien eine exzellente Zeit gewesen, sagt Weinstock. «Die Leute hatten Geld und wollten etwas Extravagantes. Und ich konnte es liefern.»

In ihrem Büro gibt es mittlerweile eine Wall of Fame. Fotos von Ted Kennedy, Eddie Murphy, Mariah Carey und vielen anderen hängen an der Wand. Immer wieder das gleiche Motiv: kleine Menschen neben riesiger Torte. Auf einem Bild werden der junge Donald Trump und seine damalige Ehefrau Marla Maples von einer weißen Zwei-Meter-Torte überragt. 1993 war das. Damals galt Trump noch als flatterhafter Unternehmer und unterirdischer Schauspieler. Nicht mehr und nicht weniger.

Zu Weinstocks Kunden zählten Jennifer Lopez, Ralph Lauren, Hillary Clinton und das saudische Könighaus. Bei internationalen Aufträgen fliegt sie sogar gelegentlich mit. Eine deutsche Kundin habe sie auch schon gehabt, die kam nach New York, um die Torte persönlich abzuholen. «Das erfüllendste Gefühl aber ist es, wenn ich für ein Hochzeitspaar backe und 20 Jahre später für die nächste Generation der Familie», sagt Weinstock. Demnächst seien zwei Hollywood-Schauspielerinnen dran. Wer, will sie nicht verraten.

Marihuana Lieber möchte sie jetzt ein bisschen über die Weltpolitik debattieren. Trump, Rassismus, Integration, Marihuana, Naher Osten. Sie springt von einem großen Thema zum nächsten, von starken Meinungen zu naiven Fragen. Mittlerweile sucht Weinstock auch den Augenkontakt, sie wirkt aufgewärmt, so sehr, dass sie auf ihre 25-jährige Enkelin Dana zu sprechen kommt, die in Brooklyn lebt und sich für Kinder in Gaza einsetze. Apropos Gaza und Israel. «Es muss Platz für zwei Staaten geben. Ich sehe die israelische Politik sehr kritisch», sagt Weinstock, die selbst noch nie in Israel war, «das steht noch an.»

Eine jüdische Atheistin sei sie. Und viele jüdische New Yorker zähle sie zu ihren Kunden. Kompliziert wird es, wenn die eine koschere Torte verlangen. «Ich bin kein Fan koscherer Zutaten: die künstliche Butter, der künstliche Zuckerguss ...», sagt Weinstock und zieht den Mundwinkel hoch. «Und wenn dann der Rabbi drei Tage in meinem Büro sitzt, um alles zu kontrollieren, dann wird’s richtig anstrengend.» Doch es gebe ebenso viele jüdische Kunden, die nicht auf koscheren Zutaten bestehen.

Zu Weinstocks Sortiment gehören Torten in Form der Klagemauer und der Festung Masada. Auch die israelische Flagge habe sie schon aus Zuckerguss auf Torten gebastelt.

Trend «Jeder Kunde wird bei uns wie eine Prinzessin behandelt», sagt Weinstock. Jeder Wunsch soll erfüllt werden: Torten in Form von Autos, Tieren und der Erdkugel. Bunt glänzen die meisten Exemplare, bis zu drei Meter hoch sind manche – je nachdem, wie viele Gäste zur Hochzeit kommen. «Ich habe mal eine Torte für eine indische Hochzeit mit 2000 Gästen gemacht», sagt Weinstock, «obwohl der Trend allgemein eher zu kleineren Festen geht.»

Bei 500 Dollar fängt die Preisspanne an. Wo sie aufhört? Geheimnis. Zehntausende Dollar sollen es angeblich sein. Das mag absurde Prasserei sein, Abzocke ist es gewiss nicht, wenn man die Detailarbeit betrachtet. «An 100 Rosen sitzt eine Mitarbeiterin eine ganze 40-Stunden-Woche», erklärt Weinstock. Und zu New York, wo sich manche Psychotherapeuten auf die Probleme von Superreichen spezialisiert haben, passt der Superluxus ohnehin.

So banal wie die Frage nach dem Geheimnis einer guten Torte scheint auch die Antwort: «frische Zutaten». Viele Torten «sehen heutzutage gut aus, sind aber nicht essbar», sagt Weinstock, die nur Buttercreme statt Fondant benutzt. In ihren Büchern, die Sweet Celebrations: The Art of Decorating Beautiful Cakes (1999) und Sylvia Weinstock’s Sensational Cakes (2008) heißen, erklärt Weinstock, wie man backt, ohne zu viel zu verraten. Betriebsgeheimnis.

Japan Sylvia Weinstock ist mittlerweile im Urgroßmutteralter. Aufhören? Warum? Es gibt doch so viele Dinge da draußen. In ein paar Wochen kommt eine japanische Delegation zum Lernen. Zurück in Japan werden sie dann mit Weinstock-Lizenz Torten produzieren. Arbeiten will sie, bis es nicht mehr geht. Die Königin der Torten überlegt sogar, ihr Angebot zu erweitern. Verkauft sie bald auch Seife? «Mal schauen.» Von ihren drei Töchtern will offenbar keine das Geschäft weiterführen, das muss dann eben eine der 17 Angestellten machen. Allerdings werden einem Präzisionsworkaholic wie Sylvia Weinstock wohl nicht viele freiwillig nachfolgen, zu groß ist der Druck. Sylvia Weinstock hat da etwas aufgebaut.

Das Wort Torte kommt aus dem Lateinischen und heißt so viel wie «Brotgebäck». Unglamourös, aber es passt ganz gut. Weinstock beginnt ihre Tage am liebsten mit einer Scheibe Sauerteigbrot, ein paar Tropfen Olivenöl und etwas Salz. Um sechs Uhr klingelt ihr Wecker, beim Frühstück liest sie die New York Times, dann kümmert sie sich um ihren 91-jährigen Ehemann. Um acht Uhr steht sie im Büro, nimmt Aufträge entgegen, fertigt Skizzen an, beantwortet E-Mails, schaut ihren Angestellten über die Schulter und legt selbst Hand an. Gegen 21 Uhr geht sie ins Bett, nie ohne zwei Gläser Wodka getrunken zu haben. Pur, auf Eis.

www.sylviaweinstock.com

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