Die Demokraten des künftigen US-Präsidenten Joe Biden haben sich Prognosen von US-Medien zufolge mit Siegen bei Stichwahlen im Bundesstaat Georgia die Kontrolle im US-Senat gesichert. Nach dem Kandidaten Raphael Warnock setzte sich auch Jon Ossoff bei den Abstimmungen in Georgia gegen die jeweiligen bisherigen republikanischen Amtsinhaber durch, wie die Sender NBC und CBS sowie die Nachrichtenagentur AP am Mittwoch berichteten.
STICHWAHL Bei der Stichwahl für die beiden Senatssitze in dem südlichen US-Bundesstaat standen am Dienstag die beiden republikanischen Amtsinhaber David Perdue und Kelly Loeffler zur Wiederwahl. Der abgewählte Präsident Donald Trump – der seine Niederlage im November immer noch nicht anerkannt hat und weiterhin Wahlfälschung unterstellt – hatte sich mächtig für Perdue und Loeffler ins Zeug gelegt.
Nach Auszählung fast aller Stimmen besiegte der Baptisten-Pfarrer Raphael Warnock Loeffler mit 50,5 Prozent der Stimmen.
Insgesamt rund 4,5 Millionen Bürger Georgias hatten sich an der Stichwahl beteiligt. Sie war notwendig geworden, weil im November keiner der Bewerber die absolute Mehrheit der Stimmen erzielt hatte. Jetzt lag Warnock kurz vor Ende der Auszählung 50.000 Stimmen vor Loeffler – genug für einen »Call« durch die Nachrichtenagentur »Associated Press«, die am Mittwoch gegen 8 Uhr MEZ den Demokraten zum Sieger erklärte.
MEHRHEIT In der zweiten Stichwahl ging es noch knapper zu. Nach Auszählung von 98 Prozent der abgegebenen Stimmen lag dort am Mittwochmorgen der demokratische Kandidat Jon Ossoff mit rund 16.000 Stimmen vor David Perdue, der Georgia seit 2015 im Senat repräsentierte.
Sollte die vorläufigen Wahlergebnisse amtlich bestätigt werden, würde die Demokratische Partei des gewählten US-Präsidenten Joe Biden künftig die Hälfte aller Sitze im Senat einnehmen. Biden-Vize Kamala Harris könnte bei Stimmengleichheit als Senatspräsidentin das Zünglein an der Waage bilden und wichtige Vorhaben der Biden-Regierung durch den Kongress bringen. Auch in der zweiten Kammer, dem Abgeordnetenhaus, halten die Demokraten eine knappe Mehrheit.
Jon Ossoff ist väterlicherseits Nachfahre jüdischer Einwanderer aus Russland und Litauen. Seine Mutter ist Australierin. Sein Judentum thematisierte der 33-Jährige im Wahlkampf selten. »Aber die Verbindung zu meinem jüdischen Erbe als Teil meiner Identität ist stark und konstant«, sagte er dem Magazin »Moment«. Dazu gehöre, dass er Mazzeknödelsuppe liebe – »auch bei 35 Grad im Schatten«.
BÜRGERRECHTLER Ossoffs Frau Alicia Kramer ist ebenfalls jüdisch. Sie arbeitet als Gynäkologin am Emory-Universitätskrankenhaus in Atlanta und trat häufig in Wahlkampfspots ihres Mannes in Erscheinung, wenn es um die Corona-Pandemie ging.
Raphael Warnock wird der erste Schwarze in der Geschichte des Bundesstaates sein, der Georgia im US-Senat vertritt. Warnock ist leitender Geistlicher der Ebenezer-Baptistengemeinde, jener Kirche, in der Martin Luther King einst predigte und zur Zentrale der Bürgerrechtsbewegung machte. Als Pastor hat er bislang eng mit dem Rabbiner der Reformsynagoge The Temple in Atlanta zusammengearbeitet, der auch die Familie seines politischen Mitstreiters Ossoff angehört. 1958 verübten weiße Rassisten dort einen Bombenanschlag, die allerdings nur Sachschaden verursachte.
Ossoff unterstützt die linke Lobbygruppe J-Street, die in im Wahlkampf finanziell unter die Arme griff. Im Wahlkampf wurde der demokratische Kandidat auch selbst zur Zielscheibe antisemitischer Angriffe.
NASE mit Fotos des New Yorker Senators Chuck Schumer und von Ossoff. Dessen Nase war künstlich verlängert worden. Darüber stand der Satz zu lesen: »Die Demokraten wollen Georgia kaufen«. Das American Jewish Committee sagte, die Anzeige rufe klassische antisemitischen Stereotype hervor.
In einer Fernsehdebatte Ende Oktober konfrontierte Ossoff seinen Kontrahenten Perdue mit dem Pamphlet. »Zuerst haben Sie meine Nase verlängert, um jeden daran zu erinnern, dass ich Jude bin«, sagte er. Als das keine Wirkung gezeigt habe, »haben Sie mich als eine Art islamistischen Terroristen dargestellt. Und als auch das nicht funktionierte, bezeichneten Sie mich als einen chinesischen Kommunisten«.
Ob in dem knappen Rennen um den zweiten Senatssitz Georgias die wenigen Stimmen der jüdische Gemeinschaft am Ende den Ausschlag gaben, ist nicht bekannt. Auch die Republikaner hatten im Wahlkampf um die Stimmen der Juden in Georgia geworben – unter anderem mit dem Argument, Ossoff und vor allem Warnock seien in Wahrheit Gegner Israels, während die Trump-Regierung durch die »Abraham-Abkommen« mit arabischen Ländern viel für Israels Sicherheit getan habe. mth/dpa