Die Demonstrationen auf dem Kiewer Maidan reißen seit zwei Monaten nicht ab. Ein Teil der Bevölkerung steht hinter den Protesten, ein anderer ist dagegen. »Genau wie die Ukraine insgesamt ist auch die jüdische Gemeinschaft gespalten: Die eine Hälfte unterstützt das Regime von Präsident Janukowitsch, die andere den Maidan«, erklärt Josef Zissels, Vorsitzender der Vereinigung jüdischer Organisationen und Gemeinden der Ukraine (Vaad) und Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses. Dies spiegele sich auch im ukrainischen Parlament wider: Sowohl in den Oppositionsparteien als auch in Janukowitschs »Partei der Regionen« seien jüdische Abgeordnete vertreten. »Selbst bei den Nationalisten der Swoboda-Partei gibt es Juden«, so Zissels.
Der 67-Jährige gehört zu den Unterstützern des Protests, er stand mehrfach auf der Bühne des Maidan. Aber auch er glaubt nicht, dass Janukowitsch zurücktreten wird. »In der Opposition gibt es offenbar niemanden, der ihm glaubhaft Garantien für den Fall eines Rücktritts geben kann.«
Angriffe In der ersten Januarhälfte kam es nahe der Rosenberg-Synagoge in Kiew zu zwei Angriffen auf Juden. Daraufhin tauchten in ukrainischen Medien Aufrufe jüdischer Organisationen auf, sich auf eine Emigration nach Israel vorzubereiten. »Die Überfälle und die Aufrufe im Internet – das sind Provokationen«, ist sich Zissels sicher. »Das Regime will Panik verbreiten, um am Ende den Ausnahmezustand ausrufen zu können.«
Zu den »Provokateuren« gehörten auch die ultranationalistischen Mitglieder des »Rechten Sektors«, die auf dem Maidan die gewalttätige Speerspitze gegen die Polizei bilden. »Diese Aktivisten ordnen sich weder dem Maidan noch der politischen Opposition unter«, sagt Zissels. Er hält es für möglich, dass sie vom Regime oder von Russland bezahlt würden.
Jewgenij Sjuskind, Direktor der Rosenberg-Synagoge, gesteht zwar ein, dass die Lage »unübersichtlich« sei. Eine konkrete Gefahr für die ukrainischen Juden könne er aber nicht erkennen. Deshalb lehnte er auch das Angebot der Maidan-Aktivisten ab, seine Synagoge vor Provokateuren bewachen zu lassen. »Wir haben einen eigenen Wachschutz, das ist ausreichend«, so Sjuskind.
Parlament Zu den Unterstützern des Regimes gehört der Geschäftsmann Oleksandr Feldman, laut Forbes knapp 300 Millionen Dollar reich, Parlamentsabgeordneter und Präsident des Ukrainischen Jüdischen Komitees: Nach der Orangenen Revolution gehörte er dem Lager Julia Timoschenkos an, 2011 wechselte er zu Janukowitschs »Partei der Regionen« und unterstützt seither den Präsidenten. Anfang des Monats war er einer jener Abgeordneten, die die repressiven Gesetze unterstützten, ruft aber in seinen Beiträgen für die Huffington Post zu einem friedlichen Kompromiss zwischen Opposition und Regierung auf.
In einem anderen Beitrag prangert Feldman den Schulterschluss der Oppositionellen Klitschko und Jazenjuk mit den Nationalisten der Swoboda an. Ihr Parteichef Tjahnibok gehört zum Triumvirat, das derzeit mit Janukowitsch verhandelt. Tjahnibok ist bekannt für seinen mit antisemitischen und antirussischen Losungen gespickten ukrainischen Nationalismus.
Der bekannte jüdische Schriftsteller Boris Chersonskij aus Odessa meint jedoch, dass der Kampf gegen das korrupte Janukowitsch-System jetzt Priorität habe, und unterstützt die Proteste. Er weiß um den Antisemitismus der Swoboda: »Wie immer in solchen Situationen werden radikale Kräfte aktiv, und das birgt immer antisemitisches Potenzial. Aber der Antisemitismus spielt auf dem Maidan keine bedeutende Rolle«, glaubt Chersonskij.