USA

Praxistest für neue Modelle

Nach den Sommerferien beginnt dieser Tage in vielen Gegenden Amerikas das neue Schuljahr. Foto: imago images/ZUMA Wire

Die Wiederöffnung von Schulen in Zeiten der Pandemie gleicht in den Vereinigten Staaten einer Art Glaubenskrieg. Die meisten öffentlichen Schulen, die unter der Verwaltung der Countys stehen, der Regierungsbezirke, lassen ihre Studenten und Lehrer nicht vor einem Abklingen der Pandemie wieder in die Klassenzimmer.

Oktober In den stark von Corona betroffenen Countys Miami-Dade und Broward County im äußersten Südosten der USA und Floridas heißt das etwa: keinerlei Schulöffnungen vor Oktober.

Bei Privatschulen allerdings, wie etwa der David Posnack Jewish Day School im Örtchen Davie, sieht das anders aus. Hier werden den Schülern mit dem ersten Schultag nach den Sommerferien zwei Optionen geboten: Unterricht im Klassenzimmer oder »Lernen aus der Ferne«, »Distance Learning« von zu Hause, wie der coronataugliche Terminus in den USA lautet.



Manche Eltern haben Mikroschulen mit kleinen Gruppen gegründet.


Eine wirklich einheitliche Regelung gibt es allerdings nicht. Zumal es noch nicht einmal ein standardisiertes Ferienende gibt. Ferienregelungen fallen in die Hoheit der School Districts, die in Florida mit den County-Grenzen übereinstimmen. Das heißt, es gibt 67 unterschiedliche oberste Entscheidungsträger für den Schulbeginn allein im Staat Florida.

In anderen Bundesstaaten sind Schuldistrikte und Bezirke oder Stadtgrenzen nicht deckungsgleich. Eine Generalisierung ist also schwierig. So haben in Florida die meisten Schulen am 10. August den Unterricht wieder aufgenommen, andere erst am 24. August, wieder andere verlegen ihren »virtual start« auf kommende Woche.

Executive ORDER Dass die Schulen überhaupt wieder öffnen, obwohl der Staat, speziell im Südosten, eines der Corona-Problemgebiete ist, liegt an einer umstrittenen Executive Order des Gouverneurs Rob de Santis vom Juli, die der Trumpschen Corona-Politik des »Weil nicht sein kann, was nicht sein darf« folgte. Chaos ist also programmiert.

Das gilt selbstverständlich nicht nur für Florida. Auch in Yardley, Pennsylvania, im Nordosten der USA sind Eltern und Schulkinder gleichermaßen von den Folgen des Coronavirus betroffen.

Familie Rank allerdings wollte sich mit den Umständen nicht abfinden – und handelte, wie die Jewish Telegraphic Agency (JTA) berichtet. Das konservative Rabbiner-Ehepaar war vor einem Jahr aus dem Nordosten Kanadas nach Neuengland gezogen, um bessere Schuloptionen für die Kinder zu haben.

Jonah Rank und seine Frau Raysh Weiss gehören mit einer Immunschwäche beide zur Risikogruppe – Kreativität war also gefragt, als plötzlich Schulen und Kindergärten wegen Corona schlossen. Denn auch eine potenzielle Öffnung war für die Kinder wegen der Gesundheit der Eltern keine Option. Kein Schulbesuch, bis es einen Impfstoff gibt, lautet die familiäre Devise.

Anfang Mai setzte Jonah Rank, unter anderem Direktor an der Kehilat HaNahar, der »kleinen Synagoge am Fluss« in New Hope, Pennsylvania, eine Botschaft an Tausende von Facebook-Freunden ab.

»Habt ihr Bedenken, eure Kinder im kommenden Schuljahr physisch zum Unterricht zu schicken? Solltet ihr an einer jüdischen Erziehung in diesen Zeiten interessiert sein, lasst uns darüber sprechen – ich baue ein Netzwerk auf.«

Das mag zu Zeiten, als etliche der für junge amerikanische Juden elementaren Sommercamps noch nicht einmal abgesagt waren, eher pessimistisch geklungen haben – im Rückblick ist Ranks Aussage eher als prophetisch einzuordnen.

Eigeninitiative Mit diesem Facebook-Posting war eine Idee geboren: Yesod (Hebräisch für Fundament), die jüdische Online-Grundschule. Die überkonfessionelle Schule ist offen für Kinder vor dem Kindergartenalter bis zur fünften Klasse. Hunderte Eltern haben ihr Interesse bekundet. Rank rechnet mit rund 50 Kindern zum Start – seine eigene Tochter eingeschlossen.

Yesod ist nur ein Beispiel ungezählter Eigeninitiativen von Eltern, die mit ihrem couragierten Handeln die ebenfalls ungezählten politischen Fehlentscheidungen auf regionaler und nationaler Ebene zu kompensieren suchen. Aus Sorge um die Sicherheit ihrer Kinder haben einige auch sogenannte Pandemic Pods gegründet, Mikroschulen, in denen kleine Gruppen von Kindern zu Hause von Privatlehrern unterrichtet werden.

Andere wiederum beißen die Zähne zusammen und hoffen, dass es irgendwie gut gehen möge, was die hygienischen Sicherheitsmaßnahmen derjenigen jüdischen Tagesschulen anbelangt, die demnächst wieder mit Präsenzunterricht starten.

Das Modell Yesod bereitet auf jeden Fall Erziehungsmodellen den Weg, die jetzt während der Pandemie eine Art Praxistest durchlaufen und künftig für eine nachhaltige Veränderung jüdischer Pädagogik sorgen könnten.
Paul Bernstein, Geschäftsführer des Prizmah: Center for Jewish Day Schools, einem Zusammenschluss von rund 300 Tagesschulen und Jeschiwot in den Vereinigten Staaten, sagt, die Innovationskraft, die das virtuelle Lernen für die jüdische Erziehung habe, mache ihm Mut. Ein Problem allerdings sei der Mangel an Sozialisation und die Bildung einer Gemeinschaft – das gehe online einfach nicht so wie von Angesicht zu Angesicht.

Wechsel »Alle Planungen laufen darauf hinaus, idealerweise Präsenzunterricht zu haben, im Wechsel mit Online-Klassen. Aber wir wissen sehr genau, dass auch im günstigsten Fall nicht alle Schüler im Klassenverbund werden teilnehmen können.«

Auf genau dieser Annahme basiert Yesod mit seiner komplett virtuellen jüdischen Ganztagsschule. Ein fester Tagesablauf ga­rantiert Kindern wie Eltern die Verlässlichkeit, die sie vom Präsenzunterricht gewohnt sind. Vier Lehrer werden zum Start bereitstehen – und mit einem Schulgeld von 10.000 Dollar kann Rank dank etlicher Spenden den Unterricht für knapp die Hälfte der durchschnittlichen Summe für jüdische Privatschulen anbieten. Jüdisches Lernen ist dank so vieler Eigeninitiativen wie der von Rabbi Rank also auch unter erschwerten Bedingungen garantiert.

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