Dass es zwischen der Jüdischen Gemeinde in Porto und der in Lissabon große Meinungsverschiedenheiten, ja, offenen Streit gibt, ist nichts Neues. Doch jetzt schwappt er auch auf die europäische Ebene über.
Die Führung der Gemeinde in Porto, der zweitgrößten Stadt des Landes, hat nämlich jetzt António Costa, dem früheren Ministerpräsidenten Portugals und designierten Präsidenten des Europäischen Rates, vorgeworfen, der jüdischen Gemeinschaft gegenüber »feindselig« eingestellt zu sein. Was wiederum die Gemeinde in Lissabon empört zurückwies.
Es war gleich ein ganzes Buch mit angeblichen Verfehlungen des Sozialisten, der von 2015 bis April dieses Jahres Regierungschef war, das führende Mitglieder der Comunidade Israelita do Porto vergangene Woche bei Amazon (in der Rubrik »Strafrecht«) veröffentlichten. Es trägt den dramatisch klingenden Titel »The Plan! Jewish Life Threatened in Europe« (auf Deutsch: »Der Plan! Jüdisches Leben in Europa gefährdet«).
Darin wird der 62-jährige Costa, der vor kurzem wegen Korruptionsvorwürfen vom Amt des Ministerpräsidenten zurücktreten musste, aber dennoch Ende Juni von den EU-Staats- und Regierungschefs zum Nachfolger des Belgiers Charles Michel an der Spitze des Europäischen Rates bestimmt wurde, vorgeworfen, er habe in seiner Regierungszeit gezielt gegen die Interessen der jüdischen Gemeinschaft Portugals gerichtete Maßnahmen und Projekte vorangetrieben. So habe Costa das neue Staatsangehörigkeitsrecht von 2015, das Nachfahren von im 15. Jahrhundert aus Portugal vertriebenen Juden den Erwerb der Staatsbürgerschaft ermöglichte, aufgehoben.
Portos Juden warnen Europa
»Wir halten es für wichtig, die Geschichte derjenigen, die in der Europäischen Union eine wichtige Rolle spielen werden, einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen«, erklärte Gabriel Senderowicz, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde von Porto. »Die Europäische Union hat einen Plan, um jüdisches Leben in den kommenden Jahren zu fördern. Das könnte aber durch die Ernennung eines Mannes gefährdet werden, der eine Geschichte der Feindseligkeit gegenüber Juden hat und der während seiner Amtszeit versucht hat, die jüdische Gemeinschaft in seinem Heimatland zu verkleinern und anzugreifen.«
Es sei daher wichtig, so Senderowicz, dass die Europäer die wahre Identität und Ideologie Costas kennenlernten, denn ansonsten könne diese sich auf ganz Europa ausbreiten.
Es ist eine Auffassung, die den jüdischen Verantwortlichen in der Hauptstadt Lissabon gar nicht schmeckt. In einem Communiqué nahm die Comunidade Israelita de Lisboa (CIL) denn auch Costa gegen die Anwürfe aus dem Norden des Landes in Schutz. Man habe von Costa in dessen Amtszeit als Premier »nie irgendein Zeichen oder eine konkrete Äußerung von Antisemitismus vernommen«, so die Lissabonner Gemeinde.
Lissabons Juden loben Costa
Ganz im Gegenteil: Costa habe die CIL-Führung in »sehr herzlicher Atmosphäre« in seinem Amtssitz empfangen. Dort habe man die Unzufriedenheit der jüdischen Gemeinschaft mit der Arbeit des damaligen Antisemitismusbeauftragten, Pedro Bacelar Vasconcelos, zum Ausdruck gebracht. Die Regierung habe daraufhin innerhalb weniger Wochen einen neuen Beauftragten ernannt.
Zudem, so die CIL, sei António Costa in seiner Amtszeit als Bürgermeister der Hauptstadt ein aktiver Förderer jüdischen Lebens gewesen. So hätten dank seiner Unterstützung jedes Jahr öffentliche Chanukka-Feiern stattgefunden.
Zwar sei man auch in Lissabon unzufrieden gewesen mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts durch die Costa-Regierung, da es nunmehr wesentlich schwieriger sei für die Nachfahren portugiesischer Juden, einen Pass zu bekommen. Jedoch, so betonte die CIL in ihrem Communiqué in sarkastischem Ton, seien Berichte »über angebliche Missbräuche bei der Ausstellung und Gewährung von Staatsangehörigkeitsbescheinigungen durch eine der jüdischen Gemeinden in Portugal« der Auslöser für die Reform gewesen.
Es war – ohne Namen zu nennen – ein Fingerzeig auf die Gemeinde in Porto, der 2022 vorgeworfen worden war, gegen finanzielle Gegenleistungen Nachweise ausgestellt zu haben, die Antragsstellern den Erwerb der portugiesischen Staatsbürgerschaft ermöglichen sollte, obwohl sie keine sephardischen Vorfahren hatten, wie es das Gesetz verlangt.
Der Oberrabbiner der portugiesischen Großstadt, Daniel Litvak, war 2022 nach Vorwürfen kurzzeitig in Untersuchungshaft, wurde dann aber wieder freigelassen. Ihm wurde vorgeworfen, bei der Einbürgerung des russischen Oligarchen Roman Abramovich eine wichtige Rolle gespielt zu haben und nach Bekanntwerden der Vorwürfe versucht zu haben, sich nach Israel abzusetzen. Die Gemeinde in Porto wies die Vorwürfe scharf zurück und reichte Ende 2023 eine Schadensersatzklage gegen den portugiesischen Staat ein.
Dieser Vorgang und der anschließende »mediale Druck«, nicht aber eine etwaige »antisemitische Motivation« Costas, seien Anlass für die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts gewesen, betonte die CIL nun. »Es gibt keinerlei Anhaltspunkte für antisemitische Beweggründe für das Verhalten der vorherigen Regierung.«