Griechenland

Pogromstimmung

Maikrawalle in Athen: Bürger gehen verzweifelt auf die Straße. Manche wollen sich an einem Sündenbock abreagieren. Foto: dpa

Athens Bürgermeister Georgios Kaminis hatte bisher einen guten Ruf. Er galt als Bürgerrechtler, wollte die Menschenrechte schützen und Griechenlands Hauptstadt in eine bunte Multikultimetropole verwandeln. Doch vergangene Woche forderte er: »Athen muss von Immigranten befreit werden.« Gleiche Töne kommen auch von links.

Der greise Manolis Glezos, ein Weltkriegsheld der Griechen und kämpferischer Antifaschist, forderte in einem Interview: »Der Immigrantenabschaum muss raus aus dem Land.« Selbst der durch seine linkspolitische Musik populäre Liedermacher Dionyssis Savvopoulos schreckt nicht davor zurück, seine Fans zu verstören, indem er sagt: »Die Immigranten sollten auf einsame Inseln verfrachtet werden«.

Raubmord Was ist geschehen, dass typisch rechtskonservative Worte nun von politisch Linken ausgesprochen werden? In den frühen Morgenstunden des 10. Mai hatten ein Pakistani und zwei Afghanen den 44-jährigen Manolis Kantaris vor seinem Haus im Athener Zentrum erstochen. Es war nicht der erste von Immigranten verübte Raubmord.

Die Kriminalitätsrate im Land steigt seit Ausbruch der Wirtschaftskrise rasant an. Mehr als eine Million illegaler Einwanderer lebt in Athen und sitzt dort aufgrund des europäischen Dublin-II-Abkommens fest – ohne Rechte, ohne Arbeit. Selbst eine freiwillige Rückreise ist diesen Menschen nicht möglich. Denn dafür müssten sie zunächst mehrere tausend Euro bezahlen – als Strafe für ihre illegale Einreise.

Der Mord an dem Familienvater Kantaris hat im Land eine Welle der Gewalt ausgelöst. Kantaris wurde ermordet, als er mit einer Videokamera in der Hand sein Auto vom Parkplatz holen wollte. Seine Frau stand vor der Geburt des zweiten Kindes. Das wollte Kantaris auf Video aufzeichnen, aber genau die Kamera war das Ziel der brutalen Täter.

Eine weitere Kamera, das Sicherheitssystem eines Geschäftes direkt vor dem Parkplatz des Autos, hielt das Geschehen fest. Knapp 120 Euro erhielten die Räuber für ihre Beute von einem Hehler. Die Brutalität des Vorgehens und die familiären Begleitumstände erschütterten die Griechen. Rechte Schlägertrupps nutzen das Klima der Empörung aus und veranstalten seitdem eine Hatz auf Immigranten, die nicht selten auch mit Mord endet. Das Gebiet um den Tatort des Mordes, die Ipeirou-Straße, ist von Anhängern der neonationalsozialistischen Xrysi Avgi für den Durchgangsverkehr gesperrt worden.

Die Polizei versucht, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln den Mob zumindest unter Kontrolle zu halten und lokal zu begrenzen. »Die Juden verbieten uns, des Toten zu gedenken«, verkünden deshalb faschistische Internetblogs. In der Tat werden ortsfremde Passanten auf der Ipeirou-Straße, falls sie nicht als Immigranten erscheinen und damit sofort zum Opfer werden, gefragt: »Bist du nicht vielleicht auch einer dieser dreckigen Judenkommunisten?«

Anarchie Besonders brisant ist die Lage in der Hauptstadt aber auch aus anderen Gründen. Fast täglich wird die Metropole von Demonstrationen erschüttert. Gewaltbereite Teile der anarchistischen Bewegung und Einsatzbereitschaften der Polizei provozieren sich gegenseitig. Dabei kommt es oft zu schweren, teilweise lebensgefährlichen Verletzungen. »Kein Geld an die Banker und Spekulanten«, fordern die Demonstranten. »Das Finanzjudentum will Griechenland zerstören«, ergänzen Extremisten von links und rechts unisono in ihren Blogs.

Entsprechende Verschwörungstheorien machen seit Monaten die Runde. Je mehr sich die Finanzlage des Staats verschärft, umso stärker radikalisieren sich die Bürger. »Viele möchten sich an einem Sündenbock abreagieren«, sagt Rabbi Mordechai Frizis. Er habe vollstes Verständnis für die Wut verzweifelter Bürger, »aber gleichzeitig befürchte ich, dass diese in die Fänge neonazistischer Propaganda gelangen«.

Da selbst Ministerpräsident Georgios Papandreou eingestand, dass »die getroffenen Sparmaßnahmen sozial ungerecht sind, wir aber momentan nicht an die Reichen und die Verursacher der Krise herankommen«, fühlen sich viele Griechen rechtlos und greifen zur Selbstjustiz. Populistisch motivierte und weitgehend unwahre Äußerungen, wie sie in der vergangenen Woche auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Thema der Finanzkrise in Südeuropa zu hören waren, radikalisieren die Menschen noch mehr.

Rache Linke Autonome reagieren auf die rechten Pogrome mit Racheaktionen. Zusammen mit Immigranten verprügeln sie jeden, der ihnen nationalistisch erscheint. Dies traf auch einen Schuldirektor, an dessen Motorrad ein Aufkleber mit einer griechischen Flagge klebte.

Der Mann musste mit schweren Kopfverletzungen ins Krankenhaus. Die Wut der Autonomen ging sogar so weit, dass am 14. Mai Brandbomben auf den Wochenmarkt des Athener Viertels Exarchia geworfen wurden. Dabei wurden zahlreiche Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt.

Begründet werden solche »bedauernswerten Kollateralschäden« in Bekennerschreiben mit einer allgemeinen Wut auf das Bankensystem, Polizisten, Kleinbürgertum und die neofaschistischen Umtriebe. Um die Ipeirou-Straße herum, aber auch vereinzelt im übrigen Stadtgebiet kommt es zu zahlreichen Aufeinandertreffen der verfeindeten extremistischen Gruppen.

Manche Beobachter erinnert die derzeitige Situation in Griechenland an den Untergang der Weimarer Republik. Es wird Zeit, außer an die Sanierung der Finanzen auch an die Bewahrung des sozialen Friedens zu denken. Im Verhältnis zur Bevölkerung ist die Zahl gewaltbereiter Extremisten zwar noch gering, in ihrer Wirkung aber bereits erschreckend.

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