Tschechien

Pogromnacht im Sudetenland

Archäologen untersuchen die Überreste der einstigen Synagoge von Marienbad

von Kilian Kirchgeßner  17.11.2023 02:02 Uhr

Überreste der Synagoge in Marienbad Foto: Tobias Kühn

Archäologen untersuchen die Überreste der einstigen Synagoge von Marienbad

von Kilian Kirchgeßner  17.11.2023 02:02 Uhr

In Marienbad kamen nach den Baggern gleich die Archäologen: Eine Baulücke sollte geschlossen werden, doch die Arbeiter stießen auf die Überreste der einstigen Synagoge. Die werden nun von Experten aus dem Regionalmuseum im nahegelegenen Cheb (deutsch: Eger) untersucht. Sie gehören zu den letzten Zeugnissen der Pogromnacht im November 1938.

»Die Besonderheit in Marienbad ist, dass das Grundstück der Synagoge anschließend nicht neu bebaut wurde«, sagt Michal Beranek, der die archäologische Untersuchung leitet. Deshalb kann er mit seinen Forscherkollegen noch Details entdecken, die anderswo längst verschüttet und vernichtet sind. »Wir haben festgestellt, dass die Synagoge ziemlich anders aussah, als es auf den Bauplänen eingezeichnet ist«, konstatiert Beranek nach den ersten Untersuchungen.

Neben solchen architektonischen Besonderheiten finden er und sein Team auch immer wieder Überbleibsel der Innenausstattung des einstigen Bethauses: Scherben von gläsernen Dekorationen, Porzellan und weitere Fragmente.

Dass die Pogromnacht auch im einstigen Sudetengebiet stattgefunden hat, ist weithin unbekannt – und in der Wissenschaft noch nicht tiefgehend untersucht. Tatsache ist: Erst wenige Wochen zuvor waren die Grenzgebiete der damaligen Tschechoslowakei – die wegen ihrer überwiegend deutschsprachigen Bewohner als Sudetengebiet bezeichnet wurden – dem Deutschen Reich angegliedert worden. Das war das Ergebnis des Münchner Abkommens, in dem die Großmächte dem Drängen Hitlers nachgaben und die Tschechoslowakei in zwei Teile »zerschlugen« (so der damalige Sprachgebrauch): in die eingegliederten Sudetengebiete und die »Rest-Tschechei«.

Nur wenige Wochen später folgte die Pogromnacht. Und weil die Befehlsstrukturen der SA damals schon weit in das Sudetenland hineinreichten, wurden auch dort systematisch die Synagogen angegriffen. Es kam zur gleichen Brutalität wie in den damals als »Altreich« bezeichneten übrigen Teilen Deutschlands – einschließlich Brandstiftungen, Verhaftungen von Juden und Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung. In der Nacht vom 9. zum 10. November wurden im Sudetenland fast vier Dutzend Synagogen angegriffen. Neben Marienbad geschah das auch in den größten Städten der Region, in Ústí nad Labem (Aussig) und Liberec (Reichenberg) sowie vielen kleineren Orten. Hinzu kamen 63 verwüstete jüdische Friedhöfe.

Historiker gehen heute davon aus, dass damals schon die jüdische Bevölkerung im Sudetenland deutlich geschrumpft war: Von einstmals 28.000 Juden waren im November 1938 wohl nur noch rund 12.000 in ihren Heimatorten – die übrigen waren ins Landesinnere geflohen, wo noch die demokratische Regierung in Prag am Ruder war. In diesen Landesteilen gab es 1938 auch keine Ausschreitungen – die fanden erst später statt, als Hitlers Soldaten in die »Rest-Tschechei« einmarschierten.

Im Sudetenland holten die Nazis innerhalb kurzer Zeit all die systematischen Diskriminierungen nach, die im »Altreich« schon lange in Kraft waren. Funktionäre der NSDAP übernahmen wichtige Posten in den Verwaltungen und überzogen auch die bis dahin verschont gebliebenen Gebiete mit dem Nazi-Unrecht. Die Pogromnacht beschleunigte den Prozess, den »schädlichen jüdischen Einfluss« zu bekämpfen, den sie beklagten. Sie nutzten die Situation aus, in der die alte Ordnung in den Sudetengebieten zusammengebrochen und die neue noch nicht fest etabliert war. Die Pogromnacht wurde so auch zu einer Machtdemonstration in den neu eroberten Gebieten.

Die Synagoge in Marienbad, deren Überbleibsel nun archäologisch dokumentiert werden, diente damals vor allem den jüdischen Kurgästen in der weltbekannten Bäderstadt. Seine Sternstunde erlebte das Bethaus nur etwas mehr als ein Jahr vor seiner Zerstörung: Vom 18. bis zum 24. August 1937 wurde der dritte Kongress der ultraorthodoxen Organisation Agudath Israel in Marienbad abgehalten – damals war die Stadt noch Teil der demokratischen Tschechoslowakei.

Türkei

Berichte: Türkische Polizei verhaftet Mann, der Anschläge auf Juden plante

Der Tatverdächtige soll Befehle vom Islamischen Staat erhalten haben

 21.02.2025

London

Fasten und Beten gegen säkulare Bildung

Die ultraorthodoxe Gemeinde fürchtet die staatliche Kontrolle ihrer Schulen. Andere Juden finden gerade dies dringend nötig

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  17.02.2025

Meinung

Wie das Ende eines Alptraums, der fünf Jahre gedauert hätte

Alon Ishay ist erleichtert, dass die Koalitionsgespräche der FPÖ vorerst gescheitert sind

von Alon Ishay  17.02.2025

USA

Die Hoffnung von San Francisco trägt Levi’s-Jeans

Dem beliebten Touristenziel geht es schlecht. Der Millionenerbe und Philanthrop Daniel Lurie soll es richten. Er ist der vierte jüdische Bürgermeister Westküstenmetropole

von Sarah Thalia Pines  16.02.2025

USA

Aus dem Schatten von Taylor Swift

Gracie Abramsʼ Stern scheint am Pophimmel gerade besonders hell. Das liegt nicht nur an ihrer besten Freundin

von Nicole Dreyfus  16.02.2025

Griechenland

Israelisches Paar in Athen angegriffen

Der Mann und die Frau sprachen auf der Straße Hebräisch – zwei arabischsprachige Männer attackierten sie mit einem Messer

 16.02.2025

Australien

Krankenpfleger drohen, israelische Patienten zu ermorden

Premierminister Anthony Albanese sagt, das Video sei »von Hass getrieben und widerlich.«

von Imanuel Marcus  14.02.2025

Polen

Ronald S. Lauder erhält Karski-Preis

Lauder wird für sein Engagement für die Erneuerung jüdischen Lebens in Polen und das Schoa-Gedenken geehrt

 13.02.2025

Künstliche Intelligenz

So Fake, aber so gut

Ein AI-generiertes, an den Antisemiten Kanye West adressiertes Video geht gerade viral. Und es ist eine Wohltat!

von Sophie Albers Ben Chamo  12.02.2025