Am Anfang war ein Artikel. Eine kritische Betrachtung über den Wahlkampf in Amerika und die Wiederkehr des Antisemitismus, der sich vor allem in sozialen Netzwerken breitmacht und sich zum Teil aus dem Lager der Anhänger des republikanischen Präsidentschaftsbewerbers Donald Trump speist.
Einen Tag nach Veröffentlichung des Artikels – Anfang Juni war das – erhielt dessen Autor Eitan Arom, Redakteur beim Jewish Journal in Los Angeles, eine rassistische Nachricht über den Kurznachrichtendienst Twitter. Arom sandte den Tweet an seine Follower weiter, weil, wie er schrieb, »meine Leser wissen sollen, wenn Leute Rassismus und Antisemitismus im Internet verbreiten«.
Darauf setzte sich die digitale Vervielfältigungsmaschine in Gang. Auf Aroms Retweet folgten 20, 50, 100 neue Tweets, fast allesamt anonym – ein Shitstorm aus Frust, Aggression, Sadismus. Ein User erinnerte an »die guten alten Tage, als man Leute wie euch noch in Viehwaggons pferchte«. Ein anderer mit dem Namen »Shoahvanist« schickte Arom die Karikatur eines Skeletts mit Kippa und Menora. Der Ton der Tweets, sagt Arom, »bediente die ganze Bandbreite von idiotisch über gelangweilt und bizarr bis hasserfüllt«.
Zynismus Eitan Arom ist kein Einzelfall. Jüdische Journalisten in den USA – insbesondere solche, die kritisch über den Wahlkampf des Immobilienmoguls Donald Trump berichten – sind seit Wochen Zielscheibe rechtsextremer Cyber-Attacken. Die Kämpfer der digitalen Sturmtruppen treten unter Twitter-Namen wie Cyber Trump, Trump the Emperor, White Wizard oder, besonders zynisch: Phil Cyclon B auf.
Auch Julia Ioffe machte Erfahrung mit den Neonazis im Netz. Die Journalistin hatte für das Magazin GQ ein Porträt von Trumps Ehefrau Melania geschrieben und sich damit den Unmut der möglicherweise nächsten First Lady zugezogen. Daraufhin bekam Ioffe Anrufe, bei denen ihr Hitler-Reden vorgespielt wurden; später auch Morddrohungen. Sie erhielt E-Mails mit einer Karikatur, in der einem Juden mit Hakennase in den Kopf geschossen wird, und Tweets mit Fotos von Auschwitz-Häftlingen, in deren Gesichter ihr eigenes Porträt hineinkopiert war. »Du sollst im Ofen verbrennen«, schrieb ein User.
Eitan Arom hat sich von den digitalen Hasstiraden »nicht nervös machen lassen«. Das sagt er zumindest. »Dazu waren sie zu durchschaubar.« Aber erstaunt war er trotzdem, »dass Antisemitismus in dieser Form noch immer lebendig ist«.
Arom ist 23 und wurde in Los Angeles geboren. Sein Vater ist Israeli, seine Mutter Amerikanerin. Offener, roher Antisemitismus sei für ihn stets eher eine Sache der Vergangenheit gewesen, sagt er. Bis jetzt.
Technisch verständigen sich die Cyber-Nazis über einen Code: Sie schreiben die Namen jüdischer Journalisten – und all derer, die sie für solche halten – in drei Klammern, also: (((Eitan Arom))). »Echos« heißen die Klammern in der rechten Internet-Szene. Sie sollen repräsentieren, wie jüdische Namen durch die Geschichte hallen, Zeichen einer angeblich voranschreitenden jüdischen Weltverschwörung. Wer durch einen solchen Klammergriff stigmatisiert ist, wird von Neonazis erkannt. Eine Art digitaler Judenstern also.
Strategie Ähnlich wie Eitan Arom ging auch Jonathan Weisman in die Offensive. Weisman, Korrespondent der New York Times in Washington, schickte die übelsten antisemitischen Tweets an seine 35.000 Follower weiter. Einige Kollegen kritisierten ihn dafür; argumentierten, mit dieser Aktion gebe er den Neonazis eine Bühne. »Mag sein«, schrieb Weisman, »aber ich bin der Meinung, dass dieser Hass bekannt gemacht werden muss, damit die Menschen die dunklen Strömungen sehen, die den Präsidentschaftswahlkampf vorantreiben.«
Außerdem setzte Weisman seinen eigenen Namen in Klammern. Viele jüdische und nichtjüdische Journalisten weltweit haben es ihm seither gleichgetan – und versuchen mit dieser Solidaritätsaktion, die Strategie der rechtsextremen Internet-Trolle auszuhebeln.
Die digitalen Hetzkampagnen antisemitischer Trump-Anhänger haben mittlerweile weitere Kreise gezogen und erfüllen auch jüdische Interessengruppen mit Sorge. »Wenn sich Anhänger eines Kandidaten wiederholt als Fanatiker, Rassisten und Antisemiten hervortun, dann muss der Kandidat reagieren«, sagt Jason Isaacson vom American Jewish Committee (AJC), das sich als überparteiliche Organisation versteht. Und wenn der Kandidat solche Aktionen nicht klar zurückweise, werfe das Fragen auf. »Das Land wartet auf eine Stellungnahme«, sagt Isaacson.
Wahrscheinlich wird es noch eine Weile warten müssen, denn Donald Trump gibt sich zu diesem Thema schweigsam: keine Distanzierung, keine Verurteilung. Dass sich Trump damit schwertut, zweifelhafte Anhänger zurückzuweisen, zeigte bereits der Fall David Duke. Der ehemalige Ku-Klux-Klan-Chef hatte im Frühjahr eine Wahlempfehlung für Trump abgegeben. Trump brauchte vier Tage, um Dukes Unterstützung abzulehnen.
Trumps Ehefrau Melania, angesprochen auf die Hasstiraden gegen die Journalistin Julia Ioffe, erklärte: »Ich kontrolliere meine Fans nicht. Aber finde nicht gut, was sie tun.« Allerdings, fügte sie hinzu, habe Ioffe die Reaktionen ja auch provoziert.
Rhetorik Trumps eigene Aussagen zu Israel rochieren zwischen vage und gewagt. Mehrfach betonte er, er wolle sich im israelisch-palästinensischen Konflikt neutral verhalten. Auf der Jahresversammlung der pro-israelischen Lobbyorganisation American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) hielt er dann eine markige Rede, in der er versprach, Israels Premier Benjamin Netanjahu sofort nach seinem Amtsantritt im Weißen Haus zu empfangen und die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen.
»Ich bin ein riesiger Israel-Fan« – dieser Satz, der zum festen Rhetorik-Repertoire des Wahlkämpfers Trump gehört, sowie die Tatsache, dass sein Schwiegersohn jüdisch und seine Tochter konvertiert ist, sollen auch die letzten Zweifler überzeugen.
Doch das funktioniert nur bedingt. Einer Gallup-Umfrage zufolge identifizierten sich Ende 2015 knapp 30 Prozent der jüdischen Amerikaner mit den Republikanern, 61 Prozent mit den Demokraten. Demoskopen gehen davon aus, dass sich die Zahlen mittlerweile zuungunsten der Republikaner verschoben haben.
Auf der anderen Seite hat Trump noch immer einige prominente und finanzkräftige Anhänger unter republikanisch gesinnten Juden, darunter der Casino-Magnat Sheldon Adelson und Ari Fleischer, ehemaliger Sprecher von Präsident George W. Bush.
Waffenkontrolle Isaacson wundert das nicht. Schließlich gehe es bei den Wahlen im November »nicht allein um die Frage, wessen Anhänger die lautesten antisemitischen Töne anschlagen«, sagt er, »und wie der Kandidat damit umgeht«. Das sei ein wichtiger Faktor, »aber eben nicht der einzige«. Andere Themen, die die Wahlentscheidung jüdischer wie nichtjüdischer Amerikaner beeinflussen dürften, seien Außen- und Sozialpolitik, Wirtschaftsfragen, Einwanderung und Waffenkontrolle.
Eitan Arom stimmt zu. »Aber ich bin nun mal ein jüdischer Journalist, der für eine jüdische Zeitung arbeitet«, sagt er. »Und Donald Trump hat Anhänger, die Antisemiten sind.« Also werde er weiter darüber schreiben. Und auch seinen nächsten Artikel über Twitter vermarkten – mit Klammern um seinen Namen.