Peter Herbolzheimer kann problemlos als einer der Pioniere des Jazz-Rock bezeichnet werden. Dieser Aspekt allein ist allerdings nur ein Bruchteil dessen, wofür sein Name steht. Als Bigband-Doktor, Komponist, Arrangeur, Bandleader sowie als Förderer junger Talente war Herbolzheimer über Jahrzehnte hinweg aktiv.
Vor 18 Jahren stand er zweimal auf der Bühne des Jazz-Festivals in Sofia, das ich für meine damaligen bulgarischen Partner organisierte. Einmal kam er mit dem Bundesjazzorchester, einmal spielte er mit einer lokalen Bigband. Immer mit dabei: Sein Anker, seine Vertraute, Unterstützerin, Partnerin und Ehefrau Gisela.
Während ich ihn nach umfangreichen Proben ins Hotel fuhr, tauschten wir uns aus. Er erzählte von seiner Mutter, einer rumänischen Jüdin, und seinem deutschen Vater, die ihn zunächst in seiner Geburtsstadt Bukarest groß zogen. Sein Vater habe mit einem »schrecklichen deutschen Akzent« Rumänisch gesprochen, sagte er auch in einem Dokumentarfilm über ihn, den der WDR zu seinem 70. Geburtstag im Jahr 2005 ausstrahlte.
Aufsaugen des Jazz
Wir unterhielten uns über Musik, über den Einfluss deutscher Kollegen wie Klaus Doldinger und der amerikanischen Jazz-Funk-Formation Earth, Wind and Fire, deren große Fans wir beide waren beziehungsweise sind. Er sprach fünf Jahre vor seinem Tod vom »Ende meines Lebens« und zahlreichen Aktivitäten, die er noch umsetzen wollte.
Am Anfang dieses Lebens passierte ebenso viel: Als Peter Herbolzheimer 16 Jahre alt war, zog er mit seiner Familie von Rumänien nach Deutschland. Als Austauschschüler ging es für ihn 1952 weiter in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo er später als Technischer Zeichner bei General Motors arbeitete. Schon damals spielte Musik eine Rolle, als er nebenbei Gitarrenunterricht gab und den amerikanischen Jazz wie ein Schwamm aufsog.
Zurück in Deutschland begann der damals 30-jährige Peter Herbolzheimer im Jahr 1956 eine Musik-Karriere, die ihresgleichen sucht und die 54 Jahre lang andauern sollte. Die Bandbreite seines Schaffens ist enorm, obwohl er früher hätte gefördert werden können. Seine Eltern hätten leider nie gespürt, was ihm Musik bedeutet habe, sagte er einst.
Jazz mit Lindenberg
Nach dem Musik-Studium in Köln spielte das Schwergewicht Herbolzheimer, das sich selbst als »Fat Man« bezeichnete, als Posaunist in diversen Jazz-Formationen, darunter die Band Free Orbit, deren Schlagzeuger Udo Lindenberg war - so merkwürdig dies heute klingen mag. Später trafen die beiden noch des Öfteren aufeinander.
Der Swing stand für ihn lange im Mittelpunkt. Mit diesem Sub-Genre des Jazz kam Peter Herbolzheimer auch später immer wieder in Berührung. Mit seiner 1969 gegründeten Formation Rhythm Combination & Brass verfolgte er allerdings das Ziel, den Jazz aus der niedlicheren Ecke herauszuholen und ein jüngeres Publikum anzusprechen.
Dies gelang ihm, indem er das Konzept der klassischen Bigband mal eben über den Haufen warf. Er vergrößerte seine Bläsersektion, deren Teil er bis zu einem gesundheitlichen Problem mit seiner Posaune war, auf acht Spieler, von denen nur noch einer in ein Saxofon hineinblasen durfte, damit der Sound nicht zu quietschig wurde. Auch die Rhythmusgruppe wurde entscheidend erweitert.

Live im »Onkel Pö«
Eines der besten Beispiele eines Rhythm Combination & Brass-Konzertes wurde 1975 im Hamburger »Onkel Pö« aufgenommen und auf Vinyl verewigt. Das Stück Corean Chick war seiner Zeit damals weit voraus.
In Amerika entwickelte sich zu dieser Zeit der Jazz-Rock durch Akteure wie Stanley Clarke, George Duke und Billy Cobham oder auch dank des französischen Violinisten Jean-Luc Ponty sowie des britischen Gitarristen John McLaughlin. Wie sie zauberte Herbolzheimer großartige Werke dieses neuen Genres aus dem Zylinder.
Auch der Jazz-Funk begeisterte ihn. Nachdem Earth, Wind and Fire in den Jahren 1979 und 1980 die sprichwörtlich umwerfenden Alben I Am und Faces veröffentlicht hatte, spürte Peter Herbolzheimer den inneren Drang, Teile davon mit Bigband-Besetzung zu interpretieren und die Band von Maurice White zu ehren. So entstand sein Album Bandfire.
Einzugsmusik für Olympia
Zu den weiteren Highlights seiner Karriere gehörte neben unzähligen Konzerten mit Kollegen, darunter Udo Lindenbergs Panikorchester (als der Hamburger Ex-Drummer längst ein Sänger geworden war) die Einzugsmusik der Olympischen Sommerspiele 1972 in München. Niemand geringerer als Peter Herbolzheimer arrangierte sie und erhielt dafür das Bundesverdienstkreuz am Bande. Später folgte noch das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse für sein Lebenswerk.
Das von der palästinensischen Terrororganisation Black September verübte Massaker von München, bei dem elf israelische Olympia-Sportler umkamen, verhinderte seiner Ansicht nach, dass seinem Arrangement für die Spiele mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde.
Von 1978 bis 1992 war »Bio’s Bahnhof« im Ersten Programm eine der wichtigsten Unterhaltungssendungen im deutschen Fernsehen. Mit Rhythm Combination & Brass (RCB) war Peter Herbolzheimer in vielen Folgen mit dabei und half Showmaster Alfred Biolek, das Spektakel immer populärer zu machen. RCB war die Studioband.
Grenzen des guten Geschmacks
Eine der Performances in der Show hätte nach heutigen Maßstäben die Grenzen des guten Geschmacks unterschritten. Begleitet von RCB sang Dunja Rajter aus Jugoslawien eine furchtbare deutsche Version von Gloria Gaynors I Will Survive. Zumeist waren die Musikeinlagen jedoch der beste Teil der Sendung. Außerdem war es nicht Herbolzheimers Schuld. Das Arrangement war auch in diesem Fall perfekt.
Als Sammy Davis Jr. bei »Bio’s Bahnhof« New York, New York und The Lady is a Tramp souverän sang, begleitet von Herbolzheimers Band, waren zwei Juden zugleich auf der Bühne. Kurz vor dem Abspann lobte der Amerikaner Bioleks Show über den grünen Klee. Was dann passierte, war schlicht unglaublich: Sammy Davis verjagte Herbolzheimers Schlagzeuger, setzte sich selbst hinter das Set und trommelte meisterhaft – als hätte er nie etwas anderes getan. Das Ergebnis dieses großen Momentes der deutschen Fernsehgeschichte: Die Tagesschau verspätete sich.
Als Bigband-Doktor nahm Peter Herbolzheimer eine ganz andere Aufgabe wahr: Er wurde von schrecklich klingenden Bigbands engagiert, um deren Sound zu reparieren. »Warum machst du das überhaupt?« fragte er sich jedes Mal selbst, stellte dann aber fest, »dass es immer eine Verbesserung gab«.
Weniger und Brönner
Der Jazz-Nachwuchs hat Herbolzheimer viel zu verdanken. Im Bundesjazzorchester (Bujazzo), das er von 1988 bis 2006 leitete, begannen Musikerkarrieren wie etwa die des Saxofonisten Peter Weniger und des Trompeters Till Brönner. Der Meister zeigte seinen Erben, wie man den richtigen Klang kreieren und verfeinern konnte.
Dabei handelte Peter Herbolzheimer selbst nicht nach dem Lehrbuch, sondern verfolgte seine eigene Strategie – auch beim Komponieren. Seine unkonventionelle Vorgehensweise: Er saß vor einem Klavier (»Ich bin der schlechteste Klavierspieler der Welt«) und probierte jeden Akkord, den er zu Papier brachte, mühsam mehrfach aus, bis ihn das Ergebnis zufriedenstellte.
Dieser Prozess nahm manchmal Jahre in Anspruch. Wenn es gar nicht mehr weiterging, legte er sich in die Badewanne und komponierte dort weiter. Sowohl die Wasserverdrängung als auch die Ergebnisse seines Schaffens im warmen Nass waren enorm. Das Komponieren sei »eine ganz ekelhafte Arbeit«, sagte er stets.
Starke Persönlichkeit
In Rhythm Combination & Brass und anderen Kombinationen spielte Herbolzheimer mit namhaften Kolleginnen und Kollegen zusammen, darunter der Saxofonist Herb Geller, die Sängerinnen Eartha Kitt, Dianne Reeves und Chaka Khan, oder der Multiinstrumentalist Joe Gallardo. Nicht alle Weggefährten, mit denen er auftrat, mochte er. Den Superstar Stan Getz belegte er mit einem Schimpfwort, das mit »A« anfängt, bezeichnete ihn dafür jedoch als den besten Saxofonisten aller Zeiten.
In seiner Familie trat ein Mitglied in die Fußstapfen des großen Komponisten und Arrangeurs: Lisa Herbolzheimer, die Enkelin des Bigband-Genies, ist Sängerin in der A-Cappella-Formation Les Brünettes. In Mannheim studierte sie Jazzgesang.
Peter Herbolzheimers Sohn Ronnie gab an, er habe seinen Vater nicht allzu oft erlebt, denn dieser habe pausenlos komponiert, sei getourt und im Fernseh- oder Aufnahmestudio beschäftigt gewesen.
Pro-israelische Einstellung
Herbolzheimer war eine starke Persönlichkeit. Auch machte er es seiner Umgebung manchmal nicht leicht. Es gab eine Phase, in der der Umgang mit ihm innerhalb der Familie schwierig war, wie er damals in Sofia selbst einräumte. Später war er aber auch mit Gisela Herbolzheimer wieder ein Herz und eine Seele. Beide genossen es, vor den Proben in Sofioter Cafés zu sitzen und über Musik zu sprechen.
Auch dem Witzeln war Peter Herbolzheimer nicht abgeneigt. Dies galt sowohl auf der Bühne als auch vor seinen Konzerten. Als wir 2007 die »Zala Bulgaria« betraten, eine Konzerthalle, in der er mit Bujazzo auftreten würde, stank es im Gebäude bestialisch nach Abwasser, um ein neutrales Wort zu wählen. Ein Rohrbruch wurde von den Bulgaren schlicht ignoriert. Herbolzheimer zu einem seiner jungen Instrumentalisten: »Konntest Du es nicht mehr halten, oder was?«
Mit seinem Jüdischsein beschäftigte sich der Vollblutmusiker kaum. Ronnie Herbolzheimer sagt: »Religiös war er nicht für einen Groschen. Allerdings war er immer pro-israelisch eingestellt.«
Am 27. März 2010, heute vor 15 Jahren, starb Peter Herbolzheimer in seiner Wahlheimat Köln.
»Imanuels Interpreten« ist eine Kolumne über jüdische Musiker von Imanuel Marcus. marcus@juedische-allgemeine.de