China

Peking ist nicht Dresden

Manchmal liebe ich Peking, und manchmal hasse ich es», sagt Vered Frisch. Die Israelin kam vor einem Jahr zusammen mit ihrer Familie in die chinesische Hauptstadt. Ihr deutscher Mann Frank wurde von seinem Arbeitgeber für zwei Jahre nach China entsandt. Auch die beiden Kinder Mia (3) und Jonathan (5) sind mit von der Partie. Tochter Aviv aus einer früheren Beziehung lebt in Israel.

In Peking sei der Alltag mit Kindern anstrengend, findet Vered. Die Luft sei derart schlecht, dass sie die Kleinen nicht draußen spielen lassen will. «Die Luftverschmutzung ist eine Katastrophe und für ein Leben mit Kindern eigentlich nicht zumutbar.» Deshalb geht Vered mit Mia und Jonathan lieber auf einen Indoor-Spielplatz.

Vor einigen Monaten war es so schlimm, dass die 42-jährige Mutter schon daran dachte, mit den Kindern aus Peking zu verschwinden. Damals erreichte die Feinstaubbelastung in der Stadt mit 845 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft extreme Werte. In deutschen Städten wird Alarm geschlagen, wenn 50 Mikrogramm zu oft überschritten werden. Die Familie überstand diese Zeit, indem sie zu Hause blieb und einen Luftfilter laufen ließ. Im Sommer soll die Luftverschmutzung sogar noch schlimmer werden. Dann will Vered Frisch mit Sohn und Tochter auf jeden Fall für mindestens einen Monat raus aus der Stadt.

Autofahren Ein weiteres Problem, das die Familie nervt: Sie hat in China kein Auto. Autofahren gilt in Peking als derart gefährlich, dass manche internationale Firmen ihren Mitarbeitern verbieten, sich hinters Steuer zu setzen. Außerdem braucht man einen chinesischen Führerschein. Also ist Vered auf Bus, U-Bahn und Taxi angewiesen.

Das ist kein Problem, wenn sie allein unterwegs ist. Schwierig jedoch wird es, wenn die Kinder dabei sind. Die U-Bahn ist hektisch und so voll, dass fast niemand in Peking sie mit Kindern nutzt, im Bus kann man den Buggy nicht mitnehmen, und Taxifahrer lassen Familien meist stehen, obwohl die Chinesen eigentlich sehr kinderfreundlich sind. Jede Fahrt will daher gut geplant sein. «Man muss sich sehr genau überlegen, wie und wann man am besten von A nach B kommt», sagt Vered.

Gleichzeitig liebt die Israelin die Lebendigkeit der 20-Millionen-Metropole. Peking macht nie Pause. Täglich kann man aus vielen Konzerten, Filmen, Theaterstücken auswählen. Darunter sind auch zahlreiche internationale Gastspiele. Erst kürzlich besuchte Vered das Konzert eines israelischen Musikers und eine Theateraufführung in hebräischer Sprache. «Hier gibt es einfach alles», schwärmt Vered, «vor allem junge Leute haben in Peking viel Spaß. Die Stadt erinnert mich an Tel Aviv.»

Expats Sehr vielfältig ist auch das jüdische Leben in der chinesischen Hauptstadt. Und das, obwohl nur rund 0,01 Prozent der Einwohner Pekings Juden sind. Zu den fünf Weltreligionen, die der chinesische Staat anerkennt, gehört das Judentum nicht. Trotzdem gibt es in Peking zwei jüdische Gemeinden: Kehillat Beijing als liberaler und Chabad Lubawitch als orthodoxer Zusammenschluss. Sie sind da für die jüdischen Expats, also Arbeitnehmer aus dem Ausland, Studenten und Touristen.

Chinesische Juden hat Vered Frisch noch nie getroffen, nur manchmal kommen Chinesen als Gäste in die jüdischen Gemeinden. «Das wird von den Behörden in China toleriert. Aber es wird nicht unterstützt, dass sich Einheimische dem Judentum zuwenden», erklärt Vered. Ausländer wie sie selbst haben keine Probleme, wenn sie in der chinesischen Hauptstadt ihre Religion praktizieren.

Bereits Ende der 70er-Jahre schlossen sich auf Initiative von zwei Amerikanerinnen jüdische Expats in Peking zusammen. Die «Politik der offenen Tür» von Staatsführer Deng Xiaoping machte es möglich. Sie öffnete anderen Kulturen und westlichen Technologien den Zugang zur Volksrepublik. Seit 1995 besteht Kehillat Beijing offiziell als Gemeinde. Es gibt regelmäßig Gottesdienste, ein Freizeit- und Bildungsprogramm, einen festen Mitgliederstamm.

Im Jahr 2001 zog Chabad-Rabbiner Shimon Freundlich nach Peking mit dem Ziel, die jüdische Infrastruktur weiter auszubauen. Heute findet man in Peking einen Laden mit importierten koscheren Lebensmitteln, das koschere Restaurant «Dini’s» und seit 2006 sogar eine Mikwe. Vorher mussten observante Juden für die rituelle Reinigung in einen See steigen – oder nach Hongkong fliegen.

Das Angebot für jüdische Kinder und Erwachsene reicht von der Kita über die Sonntagsschule und den Yoga-Kurs bis zur Einführung in die traditionelle chinesische Medizin. Am Wochenende organisieren die Gemeinden manchmal Ausflüge vor die Tore Pekings, zum Beispiel zur Chinesischen Mauer. Vered nutzt die Freizeitangebote der jüdischen Gemeinden häufig. Und natürlich werden die Feiertage begangen. «Hier in China fühle ich die Besonderheit der jüdischen Feiertage sogar mehr als in Israel», meint sie.

2006 haben Vered und ihr Mann schon einmal ein Jahr in Peking gelebt. Seither ist die jüdische Gemeinde in der Megastadt gewachsen, hat die Israelin festgestellt. Etwa 2000 Juden leben heute hier. Und obwohl die jüdischen Gemeinden aus Ausländern bestehen, herrscht keine permanente Unruhe, kein ständiges Kommen und Gehen von Menschen, die nur für ein oder zwei Jahre in Peking arbeiten oder studieren und dann weiterziehen. Viele Mitarbeiter internationaler Firmen – auch aus Israel – lassen sich für lange Zeit mit ihren Familien in Peking nieder; sie integrieren sich in die Gesellschaft und lernen die Sprache, berichtet Vered Frisch.

Sie selbst ist von Beruf Chemikerin, arbeitet in China aber nicht, weil sie sich um die Kinder kümmert und eine Arbeitserlaubnis bräuchte. Also nutzt sie die Zeit, um in Privatstunden Chinesisch zu lernen. Denn: «Ohne Grundkenntnisse in Chinesisch ist man hier verloren.»

Von der Mehrheitsgesellschaft abgeschottet fühlt sich die israelisch-deutsche Familie nicht. Allerdings sind die meisten Nachbarn ebenfalls Ausländer. Nicht viele Chinesen können sich das Wohnviertel leisten. Die beiden Kinder der Frischs haben kaum Kontakt zu ihrem chinesischen Umfeld. Morgens nehmen sie den Schulbus zum deutschen Kindergarten und sind den ganzen Tag mit ihren deutschen Freunden zusammen. Wenn Vered und Frank abends ausgehen wollen, kümmert sich ein Babysitter um die Kinder.

Gemeinden Der soziale Mittelpunkt für Vered Frisch in Peking sind die jüdischen Gemeinden. Dort fand sie schnell Kontakt zu anderen Ausländern. Schon vor dem Umzug hatte sie sich bei der israelischen Botschaft und den Gemeinden über das jüdische Leben in der Stadt informiert. «Es war mir wichtig, zu wissen, dass hier jüdische Kultur gelebt wird», sagt Vered. Ein weiteres Plus: Innerhalb der jüdischen Gemeinschaft ist Englisch die Verkehrssprache. Woher auch immer die Juden in Peking kommen, man spricht dieselbe Sprache und findet schnell einen Draht zueinander.

Das war in Dresden, wo Vered vorher vier Jahre lang lebte, ganz anders. Während in Peking etwa 500 Israelis zu Hause sind, war Vered in Dresden ziemlich allein auf weiter Flur. Es habe sie viel Zeit gekostet, sich dort in die jüdische Gemeinschaft zu integrieren, erzählt sie: «Ich lernte doch gerade erst Deutsch, und in der Gemeinde war Russisch die beherrschende Sprache.» Sie habe zwar Freundschaften mit russischsprachigen Juden geschlossen, doch das sei eher die Ausnahme, meint die 42-Jährige. Die meisten dort blieben unter sich. «Aber ich verstehe das», sagt Vered, «es ist natürlich, dass man Kontakte eher in einem vertrauten kulturellen Umfeld sucht.»

Und noch einen Unterschied zu Deutschland hat Vered festgestellt: «In Dresden existieren Chabad Lubawitsch und die eher liberale Gemeinde parallel zueinander. Hier in Peking arbeiten sie zusammen.» Vor allem im Bildungsbereich kooperieren die beiden jüdischen Gemeinden in Peking und teilen sich sogar Räumlichkeiten und Lehrer. Aber auch Feste feiern sie häufig zusammen. Es gehe mehr um die gemeinsame jüdische Kultur als um die Religion, meint Vered Frisch. «Ich persönlich bin absolut nicht religiös, trotzdem fühle ich mich hier bei Chabad wohl. Dort ist einfach am meisten los.»

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