Die Beschneidung ist der Kinderärztin Anne Lindboe schon lange ein Dorn im Auge. Seit sie Kinderschutzbeauftragte der norwegischen Regierung ist, tut sie dies auch öffentlich kund. Vergangene Woche forderte sie, die nichtmedizinische Beschneidung Minderjähriger zu verbieten, denn dies sei »eine Verletzung der Menschenrechte«.
Seit die parlamentarische Versammlung des Europarates Anfang Oktober in Straßburg mit großer Mehrheit für einen Resolutionsentwurf gegen die Beschneidung stimmte, verspüren die Gegner der Brit Mila Rückenwind. So trafen sich kürzlich Regierungsberater aus Norwegen, Dänemark, Schweden, Finnland und Island, die sich von Berufs wegen mit dem Kindeswohl beschäftigen, um eine Resolution zu verabschieden: Darin fordern sie ein Verbot der Beschneidung Minderjähriger.
Resolution »Die Feinde der jüdischen Tradition vereinigen sich«, zitiert die Jewish Telegraphic Agency den Präsidenten des Europäisch-jüdischen Kongresses, Moshe Kantor. Und Joel Rubinfeld, Co-Vorsitzender des Europäisch-Jüdischen Parlaments, befürchtet, dass einzelne Staaten nun Gesetze erlassen werden, die sich an der Straßburger Resolution orientieren.
So steht seit Anfang des Monats in Norwegen das Thema Beschneidung wieder auf der Agenda. Nach einem Bericht der Tageszeitung Aftenposten will der neue Gesundheitsminister Bent Hoie dem Parlament bis Ende April einen Entwurf für ein Gesetz vorlegen, das die Beschneidung regeln soll. Ervin Kohn, der Vorsitzende der Osloer jüdischen Gemeinde, ist zuversichtlich.
»Ich denke nicht, dass die neue Regierung die Beschneidung verbieten wird«, sagte er der Jüdischen Allgemeinen. Bereits vor zwei Jahren, noch unter der alten Regierung, habe es einen Anlauf gegeben, die Beschneidung gesetzlich zu regeln, erklärte Kohn. Er sei mit dem Entwurf sehr zufrieden gewesen. Demnach sollten Beschneidungen nur in Krankenhäusern durchgeführt werden, und der Staat würde für die Kosten des Eingriffs aufkommen, so Kohn.
Koalition Dass der angekündigte Gesetzesentwurf strenger ausfallen werde als der vor zwei Jahren, kann Kohn sich nicht vorstellen. Schließlich werde Norwegen seit Mitte Oktober von einer liberal-konservativen Koalition regiert, »die den Persönlichkeitsrechten noch größere Bedeutung beimisst als die vorherige sozialdemokratische Regierung, von der die alte Gesetzesvorlage stammt«.
Erst vor einer Woche hatte der Generalsekretär des Europarats, Thorbjørn Jagland, bei der Vollversammlung der Europäischen Rabbinerkonferenz (CER) in Berlin erklärt, kein europäisches Land werde die rituelle Beschneidung verbieten, sie müsse als Teil der Religionsfreiheit garantiert werden. CER-Präsident Pinchas Goldschmidt sagte der Jüdischen Allgemeinen: »Wir hoffen, dass der Schaden, den die Straßburger Resolution angerichtet hat, minimiert wird, nachdem Herr Jagland und mehrere europäische Regierungen sich davon distanziert haben.«