Papst Franziskus hat an die mehr als 100.000 während des Zweiten Weltkriegs ermordeten slowakischen Juden erinnert. Bei einem Besuch des Holocaust-Mahnmals in der Hauptstadt Bratislava sagte er am Montag: »Hier, angesichts der Geschichte des jüdischen Volkes, die von dieser tragischen und unsagbaren Schmähung gezeichnet wurde, schämen wir uns zuzugeben: Wie oft ist der unaussprechliche Name des Höchsten für unbeschreibliche Akte der Unmenschlichkeit benutzt worden!«
GEDENKEN »Liebe Brüder und Schwestern, eure Geschichte ist unsere Geschichte, eure Schmerzen sind unsere Schmerzen«, sagte Franziskus weiter. Für viele Juden sei dieses Mahnmal der Schoa der einzige Ort, an dem sie ihrer Verstorbenen gedenken könnten. Man dürfe die Fehler der Vergangenheit nicht vergessen, damit sie sich in der Zukunft nicht wiederholten, sagte der Präsident des Zentralverbands jüdischer Gemeinden in der Slowakei, Richard Duda. Symbolisch zündeten Duda und Franziskus danach zwei Kerzen an.
Bei einer Begegnung mit der jüdischen Gemeinde und einem Überlebenden des Holocaust in Bratislava erteilte Papst Franziskus dem Antisemitismus erneut eine scharfe Absage. Es fehle nicht »an leeren und falschen Götzen, die den Namen des Höchsten verunehren«. Neben Gleichgültigkeit oder der Manipulation von Religion nannte das Kirchenoberhaupt »das Vergessen der Vergangenheit, Unkenntnis, die alles rechtfertigt, die Wut und den Hass«.
FISCHPLATZ Die Begegnung fand am historischen Fischplatz (Rybne namestie) in der Altstadt von Bratislava statt. Dort stand bis 1969, in direkter Nachbarschaft zur katholischen Kathedrale, die Synagoge. Diese war von den sozialistischen Behörden mit umliegenden Gebäuden abgerissen worden, um Platz für die »Brücke des Slowakischen Nationalaufstandes« zu schaffen. Heute steht auf dem Platz ein Mahnmal für den Holocaust. Von rund 15.000 Bratislaver Juden im Jahr 1940 überlebten nur etwa 3.500 den Holocaust.
Ein Überlebender, Jahrgang 1942, berichtete bei der Begegnung vom Schicksal seiner Familie, von dem er erst später erfuhr: dem Tod seines verschleppten Vaters in der Ukraine, seiner 1944 deportierten und auf einem Todesmarsch in Deutschland gestorbenen Mutter. Er selber sei in einem Krankenhaus versteckt worden und habe dort mit nur wenigen Kindern und einer Krankenschwester einen Bombenangriff überlebt.
Zu Beginn des Treffens hatte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinschaft in der Slowakei Duda den Papst als »Pontifex - Brückenbauer« begrüßt. Für die jüdische Gemeinde in der Slowakei sei dies ein historischer Tag. Auch er erinnerte daran, dass an diesem Platz jahrhundertelang eine Synagoge und eine Kathedrale direkt nebeneinander standen.
Von dort, wo einst katholische Könige gekrönt wurden und einer der bekanntesten jüdischen Gelehrten wirkte - Rabbiner Moses Sofer (1762-1839) -, gehe wieder »die Botschaft der Zusammenarbeit von Christen und Juden aus«, sagte Duda. Doch es gelte wachsam zu bleiben: »Das Böse siegt, wenn schlechte Menschen an die Macht kommen und gute Menschen nicht die Kraft oder den Mut finden, dem Bösen zu widerstehen.« Die Slowakei sei ein Land, das mit beidem Erfahrung hat.
WIDERSTAND Von solchem Widerstand berichtete eine Ordensfrau der Ursulinen. Sie nannte einige Beispiele, wie frühere Mitschwestern und andere Bürger Bratislavas während des Holocaust jüdische Kinder, Schülerinnen des Ursulinen-Kollegs, versteckt oder ihnen zur Flucht verholfen hatten.
Im Anschluss an die Begegnung am Holocaust-Mahnmal standen Treffen mit dem Parlamentspräsidenten und dem Ministerpräsidenten auf dem Programm. Die slowakische Regierung hatte der Papst bereits zuvor zu einem verstärkten Kampf gegen Korruption aufgerufen. »Es ist notwendig, sich um den Aufbau einer Zukunft zu bemühen, in der die Gesetze auf alle gleichermaßen auf der Grundlage einer Gerechtigkeit angewendet werden, die niemals käuflich sein darf«, sagte er bei einer Zusammenkunft mit Vertretern der Regierung und aus der Zivilgesellschaft.
Am Dienstag will Franziskus sich in Kosice im Osten des Landes in einer heruntergekommenen Trabantenstadt mit Vertretern der dortigen Roma treffen. Überdies stehen eine Begegnung mit Jugendlichen und eine Freiluftmesse auf dem Programm der bis Mittwoch dauernden Reise. dpa/epd/kna