Spanien

Orwellsche Theokratie

Autor mit Erstling: Elías Cohen Foto: Elias Cohen

Spanien

Orwellsche Theokratie

Der Gemeindefunktionär Elías Cohen zeichnet in seinem Debütroman »Sueños de Nación« ein düsteres Bild von Israel im Jahr 2060

von Andreas Knobloch  25.06.2020 12:17 Uhr

Israel im Jahr 2060: Der Konflikt mit den Palästinensern ist gelöst. Inzwischen hat sich das Land zu einer von religiösen Normen geleiteten Theokratie entwickelt. Einer der intellektuellen Architekten des neuen Regimes, Rabbi Yochanan Kaplan, wird tot in einer Talmud-Schule aufgefunden, in der er den Rest seiner Tage in Demut verbringen wollte.

Die allzu schnelle und nicht sehr glaubwürdige Aufklärung des Mordfalls veranlasst Detektiv Abraham Avi Konigsberg zusammen mit einem jungen Journalisten, der in der geheimen Widerstandsbewegung aktiv ist, sich auf eigene Faust auf die Suche nach der Wahrheit zu begeben.

zukunftsszenario In seinem Roman Sueños de Nación (Träume von der Nation) entwirft der Autor Elías Cohen ein dystopisches Zukunftsszenario für Israel: eine nach einem blutigen Bürgerkrieg konsolidierte Orwell’sche Theokratie, in der die Privatsphäre zu existieren aufgehört hat und Roboter alle Lebensbereiche übernommen haben.

»Ich habe das Buch geschrieben, weil ich Angst habe, und es war der beste Weg, sich ihr zu stellen«, sagt der 1983 im spanischen Málaga geborene Cohen, Rechtsanwalt und Professor für Internationale Beziehungen an der privaten Francisco-de-Vitoria-Universität in Madrid. Seine Kolumnen und Essays erscheinen regelmäßig in verschiedenen spanischen Zeitungen.

»Werden wir am Ende eine Theokratie haben?« Diese Frage stellte sich 1896 bereits der Begründer des modernen Zionismus, Theodor Herzl, in seinem Buch Der Judenstaat.

konfrontation »In der Theorie erzeuge ich die Konfrontation mit einer Angst, einer Furcht, die viele Israelis und viele Juden auf der ganzen Welt haben – jene, ob Israel eines Tages eine Theokratie sein wird«, so Cohen, der eine Zeit lang in Jerusalem lebte und für das israelische Außenministerium arbeitete.

Cohen lebte eine Zeit lang in Jerusalem und arbeitete für das israelische Außenministerium.

Zurzeit ist er Generalsekretär der Föderation der Jüdischen Gemeinden in Spanien (FCJE). »Dass Israel ein despotisches Regime religiöser Natur werden kann, ist nicht so weit entfernt«, glaubt Cohen. »Das Wachstum der ultraorthodoxen Bevölkerung, ihre Privilegien gegenüber dem Rest der Bevölkerung, ihre bestenfalls langsame Integration, ihre Besetzung des öffentlichen Raums und ihr blinder Gehorsam gegenüber bestimmten Rabbinern – über jede andere institutionelle Treue hinaus –, dies alles erzeugt seit vielen Jahren anhaltende Spannungen.«

Sollte der Konflikt mit den Palästinensern eines Tages gelöst sein oder Israel zumindest keine Probleme mehr mit seinen Nachbarn haben, könnten diese Spannungen offen ausbrechen, befürchtet Cohen.
In seinem Debütroman, der bisher nur auf Spanisch vorliegt, arbeitet sich der 36-Jährige aber nicht nur an jüdischen Ängsten ab, sondern auch an denen vieler Menschen hinsichtlich ihrer Privatsphäre und der Automatisierung der Arbeit. »Der Mangel an Privatsphäre und die zunehmende Überwachung unserer täglichen Aktivitäten werden negative Folgen haben, die wir noch nicht vorhersagen können«, sagt er.

dystopie Trotz aller Dystopie sei sein Ziel gewesen, ein »unterhaltsames Buch« zu schreiben, erklärt Cohen. Seit er denken kann, habe er Schriftsteller sein wollen. »Mit elf Jahren schrieb ich meine erste Geschichte. Ich weiß nicht, wo sie abgeblieben ist, aber ich erinnere mich, dass es um Spione und Mörder ging, und es gab sogar Sex.«

Als Student betrieb er einen Blog (»La Bella Aurora«) und nahm – erfolglos – an Literaturwettbewerben teil. Auch dem Manuskript von Sueños de Nación war zunächst kein Erfolg beschieden. Nach der Ablehnung durch verschiedene Verlage folgte Cohen einer Empfehlung des Schriftstellers Marcos Chicot, der vor Jahren ähnliche Erfahrungen gemacht hatte, und veröffentlichte seinen Roman in Eigenregie inklusive anschließender Marketingkampagne. Bald soll sein Buch auch auf Englisch erscheinen.

Cohen besteht darauf, dass Sueños de Na­ción Fiktion ist und niemand wisse, was die Zukunft Israel bringe. »Ich habe keine Kristallkugel. Was ich möchte, ist, dass das Buch eine unterhaltsame und coole Geschichte ist, weit entfernt von politischer Schmähschrift oder therapeutischem
Schreiben, um eine Angst zu verarbeiten.« Andreas Knobloch

Elías Cohen: »Sueños de Nación«. Selbstverlag, Madrid 2020, 336 S., 14,99 €

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