Der Schachzug gilt unter ungarischen Juristen als seltsam: Ende vergangener Woche gaben die Vereinte Chabad-Gemeinde der Israeliten in Ungarn (EMIH) und die Autonome Orthodoxe Glaubensgemeinde (MAOIH) bekannt, dass sie mit einem gerichtlichen Verfahren gegen den Verband Mazsihisz vorgehen, um eine ihrer Meinung nach gerechtere Verteilung der Unterstützungsgelder durchzusetzen.
Das Problem: Die Gelder gehören den ungarischen Steuerzahlern, bei dem Gericht handelt es sich aber um eine orthodox geprägte, religiöse Instanz in Israel, um ein Beit Din des Jerusalemer Oberrabbinats.
Für MAOIH-Chef Róbert Deutsch ist dies kein Widerspruch: »Selbstverständlich wenden wir uns als jüdische Religionsgemeinde an das Rabbinat in Israel, wenn es um Gerechtigkeitsfragen geht. Das gegenwärtige Verteilungssystem vernachlässigt die Interessen unserer Mitglieder.«
Finanzierung Bei dem Verband Mazsihisz, der rund 90 Prozent aller in Ungarn lebenden und an einer formellen Mitgliedschaft interessierten Jüdinnen und Juden vertritt, sorgt dieser Schritt der Konkurrenzorganisationen für Empörung und Unverständnis.
»Wie sollte eine Sonderschiedsstelle in Jerusalem etwas über die Verteilung ungarischer Staatsgelder entscheiden, wenn die dort sitzenden Richter kaum etwas über den hiesigen Rechtsrahmen, über das hiesige Finanzierungssystem für religiöse Gemeinden oder über Ungarn überhaupt wissen?«, fragt sich Mazsihisz-Vorsitzender András Heisler. »Und wieso werden diese Fragen gestellt, wenn die Vertreter von EMIH und MAOIH die Verträge mit dem ungarischen Staat selbst unterzeichnet haben?«
Tatsächlich wird die Finanzierung der religiösen Organisationen in Ungarn aktuell über das sogenannte Kirchengesetz geregelt sowie über Verträge zwischen dem Kultusministerium und den jeweiligen Gemeinden, wenn diese offiziell als »Kirchen« anerkannt werden.
status Das Gesetz wurde nach der Machtübernahme von Viktor Orbán so revidiert, dass ein parlamentarisches Gremium darüber entscheidet, wer eine »Kirche« ist und wer nicht. In der Praxis bedeutet das, dass diejenigen religiösen Gemeinden, die die Regierungspartei Fidesz kritisieren, ihren Status und damit auch die staatliche Finanzierung riskieren.
Genau das befürchtet man auch bei der Mazsihisz, selbst wenn man darüber ungerne etwas zu Protokoll gibt. Das Beit Din des Jerusalemer Oberrabbinats, vor dem EMIH und MAOIH ihre Klage vorgebracht haben, ist nämlich für seine orthodoxe Prägung bekannt und erkennt nicht einmal die neologischen Rabbiner der Mazsihisz an.
Und die Machthaber in Budapest, die in den vergangenen Jahren die regierungstreueren Konkurrenzorganisationen zu bevorzugen schienen, könnten eine Entscheidung des religiösen Gerichts als Argument nutzen. Dann könnte es plötzlich heißen, Mazsihisz sei wenig repräsentativ für das »echte Judentum« – und damit auch wenig berechtigt, staatliche Unterstützung zu erhalten.