Anfang des Monats ist der Kiewer Fernsehturm von russischen Raketen angegriffen worden. Dabei schlug ein Geschoss auch auf dem Gelände der benachbarten Holocaust-Gedenkstätte Babyn Jar ein, rund 150 Meter entfernt von der Synagoge, die erst im vergangenen Jahr eröffnet worden war.
Babyn Jar steht für eines der schrecklichsten Massaker der Schoa. In der gleichnamigen Schlucht wurden im September 1941 innerhalb kurzer Zeit rund 34.000 Kiewer Jüdinnen und Juden ermordet.
tragödien »Babyn Jar sollte uns an die unsäglichen Tragödien des Krieges erinnern«, sagt Manuel Herz, der Architekt der neuen Synagoge. Er ist fassungslos über den russischen Raketenangriff. Die Synagoge, die eigentlich das Leben feiern soll, sei nur wenige Monate nach ihrer Einweihung in einen Krieg verwickelt, »in dem nur noch der Tod gefeiert wird«. Welchen Sinn habe es, »der Geschichte zu gedenken, wenn die daraus zu ziehenden Lehren so leicht vergessen und ignoriert werden?«, fragt Herz. Dass der Ort wieder zum Kriegsschauplatz wird, mache ihn sprachlos und ohnmächtig.
Unscheinbar von außen und auch im Inneren auf den ersten Blick nicht unbedingt spektakulär ist das Büro des 1969 in Düsseldorf geborenen und in Köln aufgewachsenen Architekten Manuel Herz in der Basler Innenstadt. Obwohl hier rund zehn meist jüngere Leute an ihren Bildschirmen arbeiten, ist kaum ein Geräusch zu hören. Zahlreiche Abbildungen an den Wänden verweisen auf die Synagoge von Babyn Jar, das weltweit erste auf- und zuklappbare Bethaus.
Anders als andere Gedenkstätten, die meist aus Stein und Beton gebaut sind, besteht die Synagoge aus Holz – dies bedeute Zerbrechlichkeit und heiße, dass sie jeden Tag gepflegt werden müsse, sagt Herz. Diese tägliche Pflege, die Auseinandersetzung mit dem Gebäude und seine Zerbrechlichkeit seien genau das, was eigentliches Gedenken ausmache. »Die Synagoge braucht ihre Gemeinde, ihr Publikum und ihre Besucher. Doch da der Ort zum Kriegsgebiet geworden ist, wurde die Synagoge dieser Gemeinschaft beraubt.«
Wer einen Blick an die Decke der Synagoge von Babyn Jar wirft, sieht in den Sternenhimmel von Kiew, wie er sich am 29. September 1941 präsentierte – dem Tag, als die Massaker begannen.
Angesichts des Verlusts an Menschenleben sei dies natürlich weniger tragisch. »Aber das Zeichen, das gesetzt wird, wenn Babyn Jar wieder zu einem Kriegsschauplatz wird, spricht Bände über den Verlust unserer Menschlichkeit«, so Herz.
BETER Noch ist das Ende des Krieges nicht abzusehen und damit auch nicht, wie es in Babyn Jar weitergehen wird, wenn die Waffen schweigen. Manuel Herz, der – soweit es dieser Tage möglich ist – im regelmäßigen Kontakt mit der Gedenkstätte steht, hofft, dass das Projekt der verschiedenen kleineren Erinnerungsorte auf einem großen Areal eines Tages weitergeht und auch die Synagoge wieder Beter und Touristen empfangen kann.
Vielleicht hilft das ursprüngliche Konzept, das Herz im Kopf hatte, als er die Synagoge entwarf: »Wir wollten einen Bau, der dem Leben gewidmet ist.« Dabei spielte auch Herz’ Privatleben mit hinein: Kurz zuvor waren er und seine Frau Eltern eines Jungen geworden. Den kleinen Max hielt Herz in seinen Armen, als er den Zuschlag für das Projekt in der Ukraine bekam.
Als Verbeugung vor der jüdischen Geschichte des Landes hat er die Synagoge von Babyn Jar als Holzsynagoge konzipiert – im Stil vieler früherer Synagogen vor allem in der Westukraine.
Wer einen Blick an die Decke der Synagoge von Babyn Jar wirft, sieht in den Sternenhimmel von Kiew, wie er sich am 29. September 1941 präsentierte – dem Tag, als die Massaker begannen. Manuel Herz hofft, dass diesen Sternenhimmel bald wieder viele Gäste und Beter sehen können.