Bevor Catalina Lewin einen Satz ausformuliert, legt sie manchmal eine kleine Pause ein. Lassen sich Gefühle am besten auf Spanisch ausdrücken? In der Muttersprache der in Kolumbien geborenen Schmuckdesignerin? Oder besser auf Englisch oder auf Deutsch – in der »Sprache der Täter«, wie ihr Großvater einst sagte? »Manchmal mische ich alle drei Sprachen, damit ich vermitteln kann, was ich eigentlich meine«, sagt die 37-Jährige und lacht.
Bei ihrem Schmuck handelt es sich um sehr viel mehr als nur um dekoratives Geschmeide. Manche ihrer Entwürfe wirken wie tragbare Miniaturkunstwerke – skulpturale Gebilde, die ein wenig technisch anmuten, was auch daran liegen mag, dass Catalina Lewin an der Universidad de los Andes Bogotá zunächst einen Abschluss in Industriedesign gemacht hat.
Ihr Schmuck sei auch von der Architektur inspiriert. »Ich bin ein großer Bauhaus-Fan«, sagt sie mit leuchtenden Augen. Lewin ist mit einem Architekten verheiratet und hat einen dreijährigen Sohn. Seit einem Jahr lebt die kleine Familie in Madrid.
FERTIGKEITEN In der Industrie konnte Lewin nach ihrem Studium als Designerin keinen Fuß fassen, die Stellen waren rar gesät. So begann sie, nach eigenen Entwürfen Ketten zu fertigen. Der Halsschmuck verkaufte sich rasch. Daher entschloss sie sich, diesen Weg weiter zu beschreiten, Fertigkeiten und Kenntnisse auszubauen. Sie sattelte eine Ausbildung als Goldschmiedin obendrauf, was die hohe Kunstfertigkeit ihrer Schmuckstücke erklärt. »Im Grunde habe ich noch einmal komplett von vorne angefangen«, erinnert sich Lewin.
Treibende Kraft bei all diesen Vorhaben war ihre Mutter. »Schon als Kind war ich total kreativ, habe viel gemalt, gezeichnet, gebastelt. Bis heute liebe ich es, etwas mit meinen Händen zu machen.« Handwerk. Kunsthandwerk.
»Ursprünglich hatte ich vor, Jura zu studieren und Anwältin zu werden«, sagt Lewin schulterzuckend. Wie ihr Vater, der in Bogotá eine erfolgreiche Kanzlei betreibt. Es war ihre Mutter, eine studierte Ökonomin, die ihre Tochter sanft in eine andere Richtung schubste. »Sie war von Anfang an überzeugt, dass ich Juwelierin werden sollte.«
label Eine Zeit lang arbeitete Catalina Lewin als Marketingassistentin beim kolumbianischen Schmucklabel »Plata a la carta«, einem Geschäft für zeitgenössische Schmuckmarken. Teil ihres Jobs seien Besuche in Designer-Ateliers gewesen. »Dort verliebte ich mich augenblicklich in die Schmuckfertigung«, schwärmt Lewin. Und so keimte in ihr die Vision auf, eines Tages eine eigene Marke zu haben.
Lewins Entwürfe tragen eine ganz individuelle Handschrift. Etliche Stücke erinnern an Teile aus dem Maschinenbau. Das »Collar Mel« etwa besteht aus Ellipsen, seitlich mit kleinen Plättchen aus Gold oder Silber bestückt. Anhänger, die funkelnd und beweglich an einer Kette baumeln. Schnörkel oder überflüssige dekorative Elemente wird man bei Lewin vergeblich suchen, alles scheint auf das Wesentliche reduziert: Ketten, Ringe, Broschen, Ohrringe.
Was sie selbst am liebsten trägt? »Ohrringe und Ringe«, sagt sie und deutet auf eine Kreation aus Gold aus der letzten Kollektion »BOLD«, die an ihren Ohrläppchen baumelt. Ein passender Name für den Mut, in Europa von vorn anzufangen und das eigene Label auf eine internationalere Spur zu bringen. »Für mich ist der Schmuck immer ein Ausdruck der eigenen Persönlichkeit.« Eine Art tragbares Ausrufezeichen!
Die Designerin und Goldschmiedin ist mit einem Architekten verheiratet.
Schaut sie manchmal zurück? Lewin schüttelt den Kopf. »Ich bin stolz, Kolumbianerin zu sein, ich spüre meine Verbindung nach Deutschland, immerhin hat es mir der deutsche Pass, den wir aufgrund unserer jüdischen Herkunft haben, möglich gemacht, nach Europa zu kommen«, sagt Lewin. Sie und ihr Mann Rodrigo Montoya haben sich sehr bewusst zu diesem Schritt entschlossen. Auch wenn es nicht einfach sei, in einem neuen Land in einer neuen Stadt noch einmal von vorn anzufangen. »Wo dich kein Mensch kennt!«
familie Zu Hause in Bogotá, einer Metropole mit acht Millionen Einwohnern in der Hochebene Cundiboyacense der Anden, ist sie behütet als Sandwichkind mit zwei Schwestern im Stadtteil Rosales aufgewachsen. Das Viertel ist bekannt für seine Backsteinhochhäuser, die Dichte der Botschaften und zahlreiche Parks und Bäche.
Hinzu kam die erweiterte Familie, bestehend aus vier Cousins und den dazugehörigen Tanten und Onkeln. Doch während Catalina Lewin in dieser Gegend aufwuchs, seien ihre Gedanken immer wieder auch nach Berlin gewandert.
Was wäre, wenn das Schicksal eine andere Wendung genommen hätte? Damals, 1938, als ihr Großvater Ludwig Lewin als 23-Jähriger auf der Flucht vor den Nationalsozialisten ein Schiff nach Südamerika bestieg. Oder 1941, als ihre Urgroßmutter Dora Lewin, eine Schneidermeisterin aus Charlottenburg, ins KZ Riga-Kaiserwald deportiert und dort ermordet wurde.
schweigen »Bei uns wurde nicht über die Vergangenheit gesprochen.« An diesem Punkt habe eine Wand des Schweigens geherrscht. Nach seiner Ankunft in Bogotá habe der Großvater nie wieder ein deutsches Wort in den Mund genommen. Nur eine ziemlich deutsche Tradition sei der Familie geblieben: Berliner Pfannkuchen und dazu Sekt.
Trübe Gedanken aber sieht man Lewins Entwürfen nicht an. Im Gegenteil. Viele ihrer Kollektionen sind von den Städten inspiriert, die sie im Laufe der Jahre besucht hat. Eine ihrer Kollektionen – »Berlin Ubahn«– ist eine Hommage an das Berlin von heute: grafische Schmuckstücke in poppig bunten Farben, die an die Linien der Berliner U- und S-Bahn-Fahrpläne erinnern.
Nachdem ihre Schwester ihre Zelte in Berlin aufgeschlagen hatte, packte im vergangenen Jahr auch Catalina Lewin die Umzugskisten. Mitten in Pandemiezeiten. »Der Grund, weshalb wir heute in Madrid leben – abgesehen davon, dass mein Mann und ich uns in diese Stadt verliebt haben –, ist unser dreijähriger Sohn.« Kolumbien sei ein sehr schönes Land, doch es gebe auch viel Unruhe und Unsicherheit. »Ich wollte ein besseres Leben für mein Kind.«
Zurzeit beschäftigt sich die Designerin mit Marketing. »Ich muss erst einmal Fuß fassen und mich finanziell solide aufstellen.« Ihr Atelier in Bogotá, »LEWIN – 015«, sowie ihr Label werden unterdessen von ihrer Mutter vor Ort weitergeführt, ihre Entwürfe werden in Werkstätten in Kolumbien produziert. »Wenn man Dinge herstellt, muss man auch wissen, wie man sie verkauft.« In Zukunft möchte sie auch andere Goldschmiede aus Kolumbien auf einer gemeinsamen Plattform vermarkten. »Es gibt unglaubliche Talente, die in Europa noch unbekannt sind.«