Bei der Delegiertenversammlung des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) am letzten Mai-Wochenende in Bern trug Jonathan Schoppig Zivilkleidung. Dies ist an sich eine Normalität und nicht der Erwähnung wert – hätte der Zürcher Jurist, der am Schabbat auch als Vorbeter der Jüdischen Gemeinde Bern fungiert, nicht in den drei Wochen zuvor die Uniform der Schweizer Armee getragen.
Dies tat er allerdings nicht als »gewöhnlicher Soldat«, der er auch ist (in der Schweiz gilt eine allgemeine Dienstpflicht), sondern er tat es als einer von zwei jüdischen Teilnehmern einer dreiwöchigen Ausbildung zum Armee-Seelsorger, die in Luzern stattfand.
PLÄNE Jonathan Schoppig und sein Kollege Zsolt Balkanyi, der Rektor der Jüdischen Schule Noam in Zürich, sind die beiden ersten jüdischen Schweizer, die für diese Ausbildung zum Seelsorger ausgewählt wurden. Im Januar 2023 werden sie ihren Dienst antreten – knapp zwei Jahre, nachdem die Armeeführung solche Pläne erstmals publik machte.
Für Jonathan Schoppig sei die Ausbildung, gemeinsam mit muslimischen und christlichen, darunter freikirchlichen Kollegen, überaus spannend und anregend gewesen, erzählt er. »Ich habe sehr viel gelernt und auch Neues über andere Religionsgemeinschaften erfahren.«
Umgekehrt konnten Schoppig und Balkanyi ihren Kollegen die Werte und Inhalte der jüdischen Religion vermitteln. Wie weit sie in ihrer kommenden Tätigkeit diese spezifisch jüdischen Bedürfnisse allerdings weiterführen können, ist unsicher.
Probleme Denn anders als in vielen anderen Ländern, die eine Militärseelsorge etabliert haben, sind Schoppig, Balkanyi und ihre Kollegen jeweils einem Armee-Bataillon zugeteilt und dort für alle Soldatinnen und Soldaten zuständig und damit auch für alle möglichen Probleme.
Die beiden jüdischen Seelsorger gehen davon aus, dass die meisten Probleme nicht in erster Linie religiöser Art sind. Gefragt, was er machen würde, wenn sich ein jüdischer Soldat mit einem Problem an ihn wenden würde, sagt Zsolt Balkanyi: »Ich würde einen Rabbiner hinzuziehen.«
Hinter der jüdischen Vertretung in der Schweizer Armee steht der SIG, der als Vertragspartner des Militärs fungiert. Deshalb hat der Dachverband die beiden Vertreter auch vorgeschlagen. Die Hoffnung, dass unter den ersten jüdischen Seelsorgern auch eine Frau sein würde, haben sich allerdings nicht erfüllt.
VERTRAG Weiter war es der SIG, der die Vereinbarung, welche die Armee mit allen Vertragspartnern abgeschlossen hat, als jüdische Vertretung unterzeichnete. In dieser Vereinbarung werden nicht zuletzt die demokratischen und pluralistischen Werte der Organisation betont. Dies sei sehr wichtig, betont Samuel Schmid, Chef der Schweizer Armee-Seelsorge: »Die Armee gibt diese Werte vor und überprüft auch, ob und wie sie eingehalten werden.«
Samuel Schmid, der der evangelisch-reformierten Kirche angehört, hält die neuen Armeeseelsorger, die ihre Ausbildung unter dem Stichwort »Diversität« absolviert haben, für eine »absolute Erfolgsgeschichte«, wie er im Gespräch sagt. Es manifestiere sich damit auch eine gewisse Öffnung der Schweizer Gesellschaft. Wichtig sei, sagt Schmid weiter, dass die religiöse Herkunft und damit der Hintergrund der ausgewählten neuen Seelsorger sichtbar seien – das gelte auch und nicht zuletzt für die beiden jüdischen Vertreter. Spezial-Kompetenz werde immer wieder gefragt sein, glaubt Schmid.
Schoppig und Balkanyi werden vermutlich am Anfang ihrer Tätigkeit weniger im Fokus stehen als die freikirchlichen oder der muslimische Seelsorger (der aus einer bosnisch-muslimischen Gemeinde stammt). Denn ihnen könnten gewisse Kreise unterstellen, die Soldaten beeinflussen zu wollen, was aber in diesem Rahmen ohnehin nicht möglich wäre.