Esra Weill muss nicht lange nachdenken, wann seine letzte Beschneidung gewesen ist: »Die war erst heute morgen«, sagt der 43-jährige Basler Mohel. Er betont: »Es war aber keine Brit Mila, sondern eine Beschneidung.« Dies sei ein wichtiger Unterschied, denn der beschnittene Junge war nicht jüdisch, sondern muslimisch. Stattgefunden habe die Zeremonie in der Praxis eines befreundeten jüdischen Arztes: »Wir trugen bei der Zeremonie beide unsere Kippot«, bemerkt Weill lächelnd. »Warum denn auch nicht?« Bei der Basler Muslim-Kommission wird auf Anfrage dazu betont, der Koran verlange nicht ausdrücklich, dass der Beschneider unbedingt muslimisch sein müsse.
hauptberuf Esra Weill, der im Hauptberuf Buchhändler ist, hat viel zu tun in diesen Tagen: zum einen in seinem Geschäft, dann aber auch als Mohel, als Beschneider jüdischer und auch immer wieder muslimischer Jungen. Pro Jahr nimmt er zwischen 60 und 70 Beschneidungen vor, bei der Hälfte davon handelt es sich um eine Brit Mila. Weill ließ sich vor etwa sieben Jahren in den USA und Israel zum Mohel ausbilden. Vor einiger Zeit hat er seinen eigenen, jüngsten Sohn beschnitten.
In diesen sommerlichen Tagen muss Weill mindestens so oft den Medien über seinen Zweitberuf Rede und Antwort stehen, wie er diesen aktiv ausübt. Dieser Umstand ist wohl der Entscheidung des Zürcher Kinderspitals von Mitte Juli zuzuschreiben. Überraschend hatte die Privatklinik beschlossen, aufgrund des Kölner Gerichtsurteils ab sofort keine Beschneidungen aus religiösen Gründen mehr vorzunehmen.
Inzwischen hat das Krankenhaus, dessen Leiter über das große Medienecho wohl selbst etwas überrascht war, das Moratorium wieder aufgehoben. Die Verantwortlichen wollen allerdings vor jeder Beschneidung individuell das Gespräch mit den Eltern suchen.
Das Thema beschäftigt die Schweizer Medien nach wie vor – und das mit unangenehmen Nebengeräuschen: In Leserbriefspalten und Internet-Foren sind – wie auch in Deutschland – immer wieder die üblichen antisemitischen und rassistischen Anwürfe zu lesen. Auf solche Töne weiß Esra Weill zu antworten: »Eine Brit Mila ist nicht einfach ein Eingriff«, sagte er beispielsweise in der Tagesschau des Schweizer Fernsehens, »es ist auch eine Zeremonie, bei der der Junge in die jüdische Gemeinschaft aufgenommen und willkommen geheißen wird.«
Weill stellt trotz der Kritik weder bei jüdischen noch bei muslimischen Eltern ein Zögern fest, die alte Tradition weiter durchführen zu lassen: »Beide Gemeinschaften sind nicht wirklich verunsichert«, sagt er. Nur in einem einzigen Fall habe er vor Kurzem erlebt, dass die Brit Mila nicht durchgeführt wurde: »Das war ein Paar mit einem jüdischen und einem nichtjüdischen Elternteil. Letzterer war von Anfang an dagegen, den Sohn beschneiden zu lassen – schließlich mit Erfolg.«
strassburg Keine Bedenken, seinen Sohn beschneiden zu lassen, hatte kürzlich Emmanuel Ullmann. Der 32-jährige Basler Wirtschaftsprüfer und seine Eltern stammen aus Frankreich, seine Frau ist gebürtige Straßburgerin. Also ließ die Familie für die Brit Mila vor einigen Wochen einen Mohel aus dem westlichen Nachbarland kommen.
Die feierliche Zeremonie in der Basler Synagoge ging im Familienkreis vonstatten. Seine grünen Parteifreunde hatte Ullmann nicht eingeladen. Er ist im 100-köpfigen Basler Kantonsparlament der einzige jüdische Abgeordnete der grün-liberalen GLP, einer bürgerlichen Abspaltung der Grünen Partei.
Die GLP schickt Ullmann bei den Wahlen im Oktober ins Rennen für die Basler Regierung. Er ist sensibilisiert dafür, dass »Beschneidung« auch ein Wahlkampfthema werden könnte. »Aber ich mache aus meiner Überzeugung keinen Hehl«, sagt der Politiker. Er gibt aber ebenso zu, über die vielen negativen Reaktionen im Land alles andere als erfreut zu sein: »Schlimm, was da teilweise unter dem Vorwand des Kindeswohls geäußert wird.« Dies umso mehr, so Ullmann, wenn er die Situation mit Frankreich oder auch der Westschweiz vergleicht: Dort ist das Ganze kein Thema.
rechtslage Ein großes Thema ist die Debatte dagegen für Wolfgang Fuhl, den Vorsitzenden der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden und Vizepräsident der Israelitischen Kultusgemeinde Lörrach. »Zurzeit ist in unserer Gemeinde keine Brit Mila in Sicht«, sagt er. Wäre das aber so, meint Fuhl, dann müssten die Vertreter der im Dreiländereck gelegenen Gemeinde Lörrach nach dem Kölner Urteil vielleicht überlegen, für eine solche Zeremonie nach Frankreich oder in die Schweiz auszuweichen. »Allerdings wüssten wir angesichts der gegenwärtigen fragwürdigen Rechtslage nicht, ob wir uns dann nicht strafbar machen würden mit so einem Schritt.« Auch deshalb pocht Fuhl darauf, dass der Gesetzgeber schnell eine klare Regelung schafft.
Nicht zuletzt auch deshalb haben jüdische und islamische Glaubensgemeinschaften in Baden-Württemberg in einem gemeinsamen Schreiben den Ministerpräsidenten des Landes, Winfried Kretschmann, um ein Gespräch gebeten. Wohl auch wegen der Sommerferien gibt es bis jetzt noch keinen Termin dafür.
»Ich hoffe, die ganze Aufregung wird sich bald wieder legen«, sagt Weill. »Dennoch finde ich: Es braucht eine klare Regelung. Ich setze mich deshalb für eine Zertifizierung oder sogar die Gründung eines Branchenverbandes für Mohalim, aber auch für muslimische Beschneider, ein.«
Emmanuel Ullmann regt eine gemeinsame Informationsoffensive jüdischer und muslimischer Verbände in der Schweiz an – vielleicht auch ein Beispiel für Deutschland. »So könnten auf jeden Fall Vorurteile abgebaut werden«, sagt Ullmann.