Ältere jüdische Besucher sind vermutlich überrascht: Mitten in der Ausstellung Grenzfälle – Basel 1933–1945 sieht man ein großes Porträt des früheren Koscher-Metzgers Hermann Hess bei der Arbeit. Die Metzgerei Hess nahe der Großen Synagoge war viele Jahre lang eine Art Fixpunkt des jüdischen Lebens in der Stadt.
Es sei den Ausstellungsmachern ausdrücklich auch darum gegangen, bei diesem Thema die Befindlichkeit der jüdischen Gemeinde in jener kritischen Zeit zu dokumentieren, heißt es. Deshalb wandten sie sich an jüdische Zeitzeugen, um Gegenstände und Dokumente zu bekommen.
brief So findet sich in der Ausstellung beispielsweise neben dem Hess-Porträt auch ein Brief jüdischer Flüchtlinge an den Verwalter des »Sommer-Casinos«. Dort waren in jenen Jahren die jüdischen Flüchtlinge untergebracht, meist unter rigiden, manchmal unwürdigen Bedingungen.
Aus Anlass des Chanukkafestes 1939 bedankten sie sich beim Verwalter dafür, »dass die Schweizerische Eidgenossenschaft in Ausübung der alten traditionellen Gastfreundschaft und menschlichen Güte, politischen Flüchtlingen Asyl zu gewähren, auch uns die Möglichkeit geschenkt hat, bis zu unserer Weiterwanderung vor Not und Elend geschützt zu sein«.
Die Dankbarkeit der geretteten Menschen mag echt gewesen sein. Doch angesichts des heutigen Wissens um die nicht über alle Zweifel erhabene Flüchtlingspolitik der Schweiz wirkt das Dokument beklemmend.
Nazis Dies gilt auch für viele andere Ausstellungsstücke, die noch bis Ende Mai im Basler Historischen Museum zu sehen sind. So beschreibt die Ausstellung, wie gut und effizient die deutschen Nazis in der Grenzstadt vernetzt waren und zusammen mit ihren Schweizer Gesinnungsgenossen die »Machtergreifung«, spätestens nach dem »Endsieg«, minutiös planten.
Ein Vorgeschmack waren Hakenkreuz- und andere Schmierereien an einem jüdischen Lehrhaus, die 1934 jedoch zu einem Prozess und mehreren Verurteilungen führten. Immerhin fand die Basler jüdische Gemeinde bei ihrem Kampf gegen Ausgrenzung und Rassismus in den Behörden oft einen wichtigen Verbündeten.
Immer wieder wurden Veranstaltungen der Schweizer Nazis in Basel von mutigen Sportlern des Jüdischen Turnvereins (JTV) gestört. Dabei spielten auch die guten Kontakte der jüdischen Gemeinde zur Basler Polizei eine Rolle. Denn die wusste in der Regel im Vorfeld von solchen Veranstaltungen und informierte die jüdische Gemeinde oft darüber.
machthaber Auf der anderen Seite zeigt Grenzfälle auch längst Bekanntes: zum Beispiel, dass Teile der Basler Wirtschaft sich gut mit den Machthabern in Berlin zu arrangieren wussten. So versicherte die Basler Pharmafirma Sandoz den deutschen Behörden bereits 1934 schriftlich, man sei nun »judenfrei«. Auch andere Basler Pharmafirmen entließen, teilweise nach anfänglichem Widerstand, nach und nach in ihren Tochterfirmen in Deutschland sämtliche jüdischen Mitarbeiter.
Und als die Nazis ab 1936 begannen, jüdische Versicherungsguthaben zu enteignen, zahlte beispielsweise die Gesellschaft »Basler Leben« den deutschen Finanzbehörden die Einlagen jüdischer Kunden widerstandslos aus. Häufig geschah dies, ohne dass von NS-Seite Policen oder andere Dokumente vorgelegt werden mussten.
widersprüche Auch diese ruhmlose Seite zeigt die Ausstellung, ebenso wie die bereits erwähnten Widersprüche in der Flüchtlingspolitik. Letztere scheint die Besucher der Ausstellung noch immer zu bewegen. Denn am Ende von Grenzfälle hängen an einem Zettelbaum die Eindrücke vieler Gäste.
Auf einem Zettel heißt es dort: »Im Gedenken an unsere liebe Cousine Claudine, die als 10-Jährige nach Basel flüchtete, zwei Jahre später wieder ausgeschafft wurde. Sie lebt, 89-jährig, immer noch.«
Die Ausstellung ist noch bis zum 30. Mai im Historischen Museum Basel, Barfüsserkirche, zu sehen.
www.hmb.ch
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