Türkei

Noah war hier

Ein Blick auf die Burg von Van bei Sonnenuntergang Foto: picture alliance / imageBROKER

Ein Bild hilft jeder Vorstellung. Mit einem hingestreckten Kamel verglich der osmanische Forscher Evliya Celebi den Burgberg von Van, der ostanatolischen Metropole unweit des Ararat, wo laut Genesis Noahs Arche mit ihren drei Decks, einer Bodenfläche von rund 8900 Quadratmetern und einem Paar von jeder Tierart gestrandet ist. Der jüdische Historiker Flavius Josephus benennt im 1. Jahrhundert gleich vier potenzielle Landeplätze, darunter den »Berg der Kordyäer« südlich des Vansees, damals Teil der Provinz Armenien, heute türkisch.

Ungemein verführerisch ist es derweil, die 1959 nahe der Stadt Dogubeyazit in der Provinz Agri entdeckte geologische Formation in Gestalt eines Schiffsrumpfes mit der Arche in Verbindung zu bringen. Dieses Bild überzeugt die geneigte Seele auf Anhieb, mögen Geologen auch klar widersprechen. Fakt ist: Or Chassadim, das Licht der Güte aus der Kabbala, scheint die ganze Gegend zu erhellen. Der Ararat (Büyük Agri Dagi), der der Provinz ihren Namen gab, beeindruckt nicht nur als höchster Berg des Landes.

Biblische Landschaft

Auf den letzten Kilometern nach Van wirkt die dünn besiedelte Region fürwahr biblisch. Dank der erhabenen Gebirgskulisse, die nahe dem Iran unwirklich wie ein Bühnenprospekt über grünen Hügelkuppen vulkanischen Ursprungs mit zahllosen Schafherden auf weiten Grasebenen unter einem schier endlosen Himmel aufragt, erscheint sie wie gerade erschaffen. Inzwischen wurde konstatiert, dass die Arche nach dem 1. Buch Mose 8,4 auf »den Bergen Ararat« auflief, womit das urartäische Bergland und gar nicht spezifisch der Ararat gemeint sein könnte.

Das Königreich Urartu, das zwischen dem 9. und 6. Jahrhundert v.d.Z. um den Vansee existierte, geistert bis heute durch das Burggemäuer der Stadt Van, des Nachts beeindruckend illuminiert. Das neue Van-Museum am Fuße der Festung bezieht dank seiner imposanten Glasfassade den mächtigen Kalkfelsen emblematisch in die Erzählung mit ein. Auf der dornröschenhaft schlummernden Vansee-Insel Akdamar sind die Urartäer ebenfalls belegt.

Hauptattraktion dort ist die armenische Kirche zum Heiligen Kreuz aus dem 10. Jahrhundert mit reichem Bildprogramm. Betrachter baden förmlich im biblischen Geschehen und betrachten Stufen der Evolution. Neben Bibelpersonal von Abraham bis Samson konnte der Bildhauer-Architekt Manuel zwar nicht so viele Tierarten porträtieren wie Noahs Arche beherbergte. Doch bezeugen die gut drei Dutzend Tiere, die er im Relief hervorhebt, die Fauna seiner Zeit. Einige sind inzwischen ausgestorben.

Jonas Wal und Van-Katzen

Durchweg ist die mittelalterliche Bau-skulptur des Gotteshauses im See so qualitätvoll wie anrührend. Nur bei der schwierigen Aufgabe, Jonas Wal lebensnah darzustellen, schöpft Manuel aus den Quellen der Fantasie. Dagegen ist die originelle »Van-Katze« mit ihren verschiedenfarbigen Augen nicht seine Erfindung. Ihr begegnet man in Van tatsächlich. Ob sie in Noahs Arche saß?

Juden waren in der Region sehr lange ansässig. Die jüdische Gemeinde in Van soll eine der ältesten weltweit sein und schon vor der Zerstörung des Jerusalemer Tempels bestanden haben. Ende des 19. Jahrhunderts haben noch rund 1500 Juden in der Stadt gewohnt. Der osmanische Autor Semseddin Sami spricht von 5000 Juden, die von 1889 bis 1898 in der gleichnamigen Provinz – den Zentren zumeist – neben gut einer Viertelmillion Muslime und fast 200.000 Christen friedlich zusammenlebten. Doch gedieh auch Argwohn.

Die jüdische Gemeinde in Van soll schon vor der Zerstörung des Tempels bestanden haben.

Viele Familien, darunter die von Eliyahu Ilim oder Shlomo Araban, beide 1951 in der Stadt Van geboren, kamen aus dem nahen Baskale. Dort stand die Synagoge. Als Schüler glaubten sie, ihre jüdische Identität verbergen zu müssen. Seinem Lehrer versicherte Shlomo Araban daher, die Ferien in Van verbracht zu haben: »Hätten wir erzählt, dass wir in Baskale waren, hätten alle gewusst, dass wir Juden sind«, sagt er in einem Interview für das 2019 erschienene Buch Jews of Turkey, Migration, Culture and Memory. 1965 lebten nurmehr 91 Juden in Van. Viele verließen das Land via Istanbul nach Israel.

Heutzutage ist Van mehrheitlich kurdisch und schrieb gerade ein bemerkenswertes Kapitel Demokratiegeschichte. Obwohl Abdullah Zeydan von der kurdischen DEM-Partei bei den jüngsten Kommunalwahlen 55 Prozent der Stimmen erhielt, erklärte man den Kandidaten der Regierungspartei mit einem Stimmenanteil von bloß 27 Prozent zum Wahlsieger für das Bürgermeisteramt. Doch Van wehrte sich. Landesweite Proteste folgten, die Wahlbehörde musste ihre Entscheidung revidieren und Zeydan ernennen. Das beruhigt auch Touristen aus dem Westen, die die reiche Kultur kennenlernen möchten.

Als Urartäer-Hauptstadt, damals Tuspa, erlebte Van eine Periode außerordentlicher Kunstfertigkeit. Das Van-Museum erschließt sie facettenreich und zweisprachig in attraktiven Arrangements. Der Bestand urartäischer Funde umfasst kostbare Schmuckstücke – assyrisch beeinflusste Armreifen, Ohrgehänge und Fingerringe – neben Stelen, Skulpturen, monumentalen Objekten. Man möchte sie geradewegs nach dem Muster der Filmkomödie Topkapi aus den Vitrinen stibitzen.

Noahs Postkarten- und Social-Media-tauglicher Landeplatz

Das fesselnde Erbe Ostanatoliens soll nun international sichtbar werden, und zwar aus spiritueller wie auch ästhetischer Perspektive. Religiöser Tourismus vermengt sich dabei mit kulturhistorischer Spurensuche, was im Türkei-Marketing eine immer größere Rolle spielt.

Aufwendig restauriert wurde der inmitten steiler Gebirgswände thronende osmanische Ishak-Pascha-Palast. Vor dem Eingang bieten Souvenirverkäufer Arche-Miniaturen aus dem Gesteinsglas Obsidian feil. Einen Besuch verdient ebenso die mächtige Igdir-Karawanserei aus dem 13. Jahrhundert. Derweil stellte das Kulturministerium Noahs so hypothetischen wie Postkarten- und Social-Media-tauglichen Landeplatz in der Provinz Agri unter Schutz.

Der Patriarch ist längst Tourismusmagnet. An der Serpentinenstraße zum Ishak-Pascha-Palast trägt ein Restaurant seinen Namen. An der Ibrahim-Cecen-Universität in Agri fand 2023 das 7. Internationale Symposium zum Ararat und der Arche statt. Wirtschaftswissenschaftler Hasan Alpago erforscht den Ararat-Effekt für die kulturelle Entwicklung der Region. 2025 soll ein neues Museum auf mehr als 7600 Quadratmetern in Form einer riesigen Arche in Agri startklar sein. Die Mehmet Eraslan Foundation, benannt nach einem türkischen Patriarchen und dem Vater von Hikmet Eraslan, Gründer der Dosso Dossi Holding, ruft es ins Leben und will alljährlich mehr als eine halbe Million Gäste sehen. Ob der Besuch sie alle erbaut?

Noah, der Untadelige und Gerechte, ist schließlich durch die Noachidischen Gebote präsent, und das hebräische Wort für »Arche«, »Teva«, bezeichnet in der Tora auch den Korb, der einst das Baby Moses rettete. Eben das Bewahrende könnte auch das Arche-Museum verkörpern.

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